Predigt zum Ewigkeitssonntag - 20.11.2005

Textlesung: Lk. 12, 42 - 48

Der Herr aber sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen. Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen. Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen. Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.

Liebe Gemeinde!

Eigentlich hätten wir uns ja gewünscht, dass unser Herz in diesem Gottesdienst ein wenig Trost erfährt. Denn wir sind heute in die Kirche gekommen, weil wir von lieben Menschen haben Abschied nehmen müssen. Vielleicht in diesem ausgehenden Kirchenjahr, vielleicht auch schon vor längerer Zeit. Darum denken wir heute an den Tod - und da möchten wir angesichts seiner furchtbaren Macht Worte hören, die uns aufbauen, Mut schenken und helfen, Frieden im Herzen zu finden.

Das sind keine solchen Worte: "... dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen." Diese Worte machen Angst, verstören uns und schwächen unsere ohnehin angeschlagene innere Kraft.

Was sollen wir also tun? Einen anderen, "schöneren" Bibeltext suchen, dass wir ihn jetzt betrachten? Ohne biblischen Bezug - "einfach so" - über Auferstehung und das Ewige Leben sprechen und nachdenken? - Ich habe noch einen dritten Weg gefunden, der hat mit dem Anlass zu tun, warum Jesus überhaupt diese drastische Geschichte erzählt hat:

Kurz zuvor hatte Jesus zu Petrus und den anderen Jüngern gesagt: "Seid bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint (Lk. 12,40). Und Petrus wollte es genauer wissen: "Herr, sagst du das zu uns oder auch zu allen?" Auf diese Frage hin erzählt Jesus vom Verwalter, der entweder "treu und klug" ist, oder ungerecht und böse. Jetzt wissen wir also, worum es Jesus geht und wir können sagen, wo die Mitte seines Gleichnis' ist, nämlich gleich am Anfang: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht.

Liebe Gemeinde, wir sollen bereit sein, wenn der Herr kommt! Auch wenn wir ja meist keine "Verwalter" sind, so haben wir doch alle mindestens einen Lebensbereich, in dem wir Verantwortung tragen: Wir sind als Eheleute oder Lebenspartner nicht nur für uns selbst, sondern auch für den Menschen mitverantwortlich, mit dem Gott uns verbunden hat. Wir sind als Mütter und Väter und auch als Großeltern in der Verantwortung für unsere Kinder und Enkel. Wir sind am Arbeitsplatz, in einem Verein oder in unserer Kirchengemeinde Menschen, von denen erwartet wird, dass sie Schaden von ihrem Aufgabenbereich abwenden, die gute Entwicklung fördern und jederzeit Rechenschaft ablegen, warum sie dieses getan und jenes unterlassen haben. Und selbst, wenn wir allein leben, tragen wir Mitverantwortung für die Menschen in unserer Verwandt- und Freundschaft und auch für die Nachbarn in unserer Nähe - zumal wenn wir Christinnen und Christen sein wollen.

Das ist in allen Bereichen des Lebens so. Weil aber heute Toten- (Ewigkeits-) sonntag ist, will ich uns einmal zwei Beispiele für diese Verantwortung im Blick auf das Sterben und den Umgang mit Menschen erzählen, die den Tod selbst vor Augen oder ihn als Angehörige erfahren haben. Und ich glaube schon, dass wir da ganz nah an dem sind, was sie heute von diesem Gottesdienst erhofft und vielleicht erwartet haben und an dem, was die ernste Geschichte Jesu uns heute nahebringen will:

Ein Mann hat - kurz vor seinem 80-sten Geburtstag - einen Schlaganfall erlitten. Er wird von seiner Tochter, einer gläubigen Christin, fast täglich im Krankenhaus besucht. Bald spürt sie, dass die Kräfte des Vaters immer mehr nachlassen und sie ahnt, dass er wohl nicht mehr nach Hause kommen wird. Der Vater kann zwar nicht mehr sprechen, aber es ist ganz deutlich, dass er alles hört, was sie sagt. Täglich wird das Gefühl bei ihr stärker, dass sie mit ihrem Vater auch über den Tod sprechen sollte, über ihren Glauben an die Auferstehung und ihre Hoffnung auf das ewige Leben. Aber das ist so schwer! Nie, solange sie denken kann, war das ein Thema in ihrer Familie. Das galt als eine ganz persönliche Sache. Selbst mit der Mutter, die vor 10 Jahren schon gestorben ist, hat sie niemals darüber sprechen können. Wie eine innere Blockade war das. Aber jetzt? Täglich mehr meint sie, es wäre nun doch an der Zeit, dem Vater etwas von dem Trost abzugeben, der ihr im Glauben geschenkt wurde. Täglich mehr hat sie den Eindruck, es läge auch die Frage nach dem Tod und dem Danach im Blick ihres Vaters, der körperlich immer mehr abbaut. Ja, sie sollte, sie müsste ... Aber wie fängt sie an? - Seid bereit zur Rechenschaft über euren Glauben, sagt Jesus.

Eine Frau hat ihren Mann verloren. Viel zu früh, wie wir ja immer sagen, wenn die 70 noch nicht erreicht waren oder wenn wir doch noch so viele Pläne zusammen hatten. Sie leidet furchtbar daran, nun so allein zu sein. Sie möchte es manchmal hinausschreien, wie sehr ihr der Gefährte fehlt und wie einsam sie jetzt ist. Aber sie bleibt stumm. Trotzdem hat sie die Kontakte zu ihren Freunden und Nachbarn nicht eingeschränkt oder gar beendet. Sie trifft sie bei ihren täglichen Gängen auf den Friedhof, wo sie oft stundenlange stumme Zwiesprache mit ihrem Verstorbenen hält. Sie geht auch in ihre Kirche und nimmt weiter den Gemeindekreis war, den sie seit vielen Jahren besucht. Und sie wartet darauf, dass einer einmal mehr herausbringt als das, was sie in den ersten Tagen nach seinem Tod sicher hundert Mal gehört hat: „Herzliches Beileid" und „mein ehrliches Mitgefühl" und andere Worte, die man halt so sagt, weil es sich so gehört und man es so gelernt hat. Wenn ihr doch nur eine einmal davon reden würde, wie sie den Verlust ihres Mannes oder eines anderen geliebten Menschen im Glauben verarbeitet hat. Denn das kann sie nicht, noch nicht. Dafür wünschte sie sich so sehr eine Hilfe, einen Hinweis und ein Wort, an dem sie sich in dieser schweren Zeit festhalten kann, wie an einem Geländer. Noch hat es niemand gewagt, davon zu sprechen, wie sehr ihm das Gebet geholfen hat, die Trauerzeit zu bestehen. Und noch keine hat auch davon geredet, dass sie sich in der Zeit nach dem Abschied an einen guten Bibelvers geklammert hat, vielleicht an einen solchen: „Jesus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben." Oder an diesen: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum wir leben oder sterben, wir sind des Herrn!" Noch hat niemand zu dieser Frau von solchem Trost gesprochen. - Jesus aber will uns dahin führen, dass wir in jeder Stunde bereit sind, das Wort zu sagen, dass gesagt werden muss - und hilft.

Und ich denke, wir alle können schon bald oder irgendwann in die Lage kommen, dass wir solch einen Trost oder ein hilfreiches Wort brauchen, nötiger als Brot! Oder es mag auch noch viel häufiger so sein, dass wir dieses Wort sprechen müssten, sollten ... Und wir wissen, dass es einem anderen vielleicht den Glauben und mit dem Glauben das Leben zurückschenken könnte!

Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht.

Liebe Gemeinde, ich will dieses Wort heute einmal so sagen: Wer ist der treue und mitfühlende Christ, den der Herr als seinen verantwortlichen Nachfolger brauchen kann, dass er seinen Mitmenschen zur rechten Zeit sagt, was sein Glaube ist, was ihn getröstet hat und worauf er sich im Blick auf den Tod verlässt. Selig der Mensch, den sein Herr, wenn er kommt, in dieser Verantwortung stehen sieht.

Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.
Wenn uns der Glaube an die Auferstehung geschenkt ist, wenn wir die Hoffnung auf das ewige Leben haben, dann wollen wir davon jederzeit, jedem Menschen, der es braucht, weitersagen.
AMEN