Predigt zum Letzten Sonntag nach Epiphanias - 16.1.2005

Liebe Gemeinde!
Bitte entschuldigen sie, dass ich am Anfang dieses noch jungen Jahres, wo es ja doch um neues Leben geht, von einem Toten reden will. Es handelt sich um einen Leichnam, den man gerade entkleidet, um ihn zu waschen. Es raschelt im Rockfutter. Man denkt an Geld, irgend etwas Wertvolles. Eine Schere wird geholt, das Futter aufgetrennt. Zutage kommt ein Zettel - nichts weiter. Was steht darauf? Was war dem Toten so wichtig, dass er es eingenäht hat, um es immer bei sich zu tragen? Als die Leichenwäscher den Zettel untersuchen, stellt sich heraus: Es ist der knappe Bericht eines Erlebnis', die Schilderung einer Gottesbegegnung. Auf dem Papier stand: "Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine Stunde nach Mitternacht: Feuer! 'Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs', nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Gott Jesu Christi. Freude, Freude, Freude - Tränen der Freude."

Es gibt diesen Zettel. Diese Worte sind wirklich aufgeschrieben worden. Der Tote war Blaise Pascal, ein großer Mathematiker, der vor 300 Jahren lebte. Ein sehr persönliches Vermächtnis. Was können wir damit anfangen?

Nun vielleicht gab es auch bei ihnen schon ein solches Erlebnis - eine Begegnung mit Gott, die sie am liebsten aufgeschrieben hätten, wenn ihnen nur die rechten Worte dafür eingefallen wären. Aber wer kann das schon in Sprache ausdrücken: Diesen Augenblick, in dem man plötzlich weiß - sicherer als alles - da ist ein Gott. Mein Suchen ging nicht in die Leere. Ich bin auf dem richtigen Weg. Wie kommt es eigentlich zu solchen Gottesbegegnungen? Zu dieser Frage will ich ihnen den heutigen Predigttext vorlesen. Vielleicht finden sie darin sich und ihre eigenen Erlebnisse wieder. Und wenn nicht, wenn sie Gott noch nicht begegnet sein sollten, - vielleicht macht die folgende Geschichte sie wacher, empfänglicher, empfindsamer, so dass sie Morgen oder Übermorgen tatsächlich Ähnliches erleben. - Hören wir auf Verse aus dem 2. Mosebuch im dritten Kapitel:

Textlesung: 2. Mose 3, 1 - 14

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, daß der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich ge- kommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, daß ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, daß ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: "Ich werde sein", der hat mich zu euch gesandt.

Das muss man schon beachten: Mose ist nicht etwa beim Gebet, nicht im Haus Gottes oder bei irgendeiner religiösen Verrichtung, als es geschieht. Mitten in seinem Alltag passiert es. Das war für einen Hirten wie ihn ja wohl das tägliche Brot, dass er die Schafe hütete. Und dann das: Ein brennender Strauch, der sich nicht verzehrt, das Feuer, gespeist aus einer unsichtbaren Kraft. Und da haben wir auch die Auskunft, wie es zur Begegnung mit Gott kommt: "Mose, Mose...". Er wird beim Namen gerufen und das verlangt Antwort. "Hier bin ich!" - Wann hat Gott zuletzt dich und mich gerufen und unseren Namen genannt? Und ich bin ganz sicher, das war sogar mehr als unser Name, den wir da gehört haben: Seinen Auftrag an den Menschen, sein Gebot zur Liebe, seine Sendung in die Welt und unter die Menschen. Haben wir geantwortet: "Hier bin ich"? Oder nicht vielmehr: "Ich bin zu jung, zu alt, ich will nicht, kann nicht, dafür ist später noch Zeit."

Mose ist bereit. Und so kommt Gott ihm nah. Außerdem ist er neugierig: "Ich will doch hinübergehen und diese wunderbare Erscheinung ansehen, warum der Dornbusch nicht verbrennt."

Sind wir auch neugierig? Sind unsere Sinne wach genug, die Wunder Gottes zu spüren? Erkennen wir ihn, wenn er vor uns steht? Oder sind wir allzu beschäftigt mit unserem Kram? Kreist unser Interesse nur um uns selbst. Haben wir den Blick frei für Menschen und Dinge um uns? Ein Mose, der nur vor sich hingestarrt hätte, wäre der göttlichen Erscheinung nicht gewahr geworden.

Er aber sieht hin. Und da ist noch ein Hinweis für uns: "Ich will doch hinübergehen ...", sagt Mose. Und was er sagt, heißt wörtlich: "Ich will von meinem Weg abbiegen''. Wer also vom üblichen Weg einmal abweicht, wer aus seinem Trott herauskommt, der tritt auf Gott zu. Also: Verlasse die ausgetretenen Bahnen deines Denkens und Handelns - und du wirst Gott schauen! Seine Wunder warten abseits deiner gewohnten Pfade.

Die alte Geschichte, die Sache mit Mose, ist ja recht interessant, aber wie soll die Begegnung mit Gott denn heute in deinem und meinem Leben geschehen? Gehen wir doch einmal den Versen entlang, übertragen wir den Inhalt in unsere Zeit, sehen wir, ob uns das eine Antwort gibt:

Irgendwo in meinem Alltag widerfährt mir diese Geschichte, nichts Weltbewegendes - der Blick eines Menschen trifft mich. Ich lese darin Not: "Hilf mir, ich komme mit meinem Leben nicht mehr zurecht." Nein, er sagt kein Wort, aber trotzdem bin ich sicher, der braucht mich, der möchte sich aussprechen, den muss ich ein Stück Wegs begleiten. Da höre ich den Ruf Gottes, wie er meinen Namen nennt. Da vernehme ich seinen Anspruch: "Lass dich erweichen, du sollst für diesen Menschen etwas tun, dich hat er nötig, dich und keinen anderen!"

Sicher kann ich dann stur vor mich hinsehen, kann sagen, was geht's mich an, der soll selber sehen, wo er bleibt; jeder für sich - Gott für uns alle, oder was mir sonst so einfällt. Aber auch das ist möglich: "Gott, hier bin ich!" Ich will mich auf den anderen einlassen. Ich biege ab von meinem Weg, runter vom ausgetrampelten Pfad. Aber, das kann man doch nicht machen!, sagt mein Verstand. Was werden die Leute sagen?, gibt mir mein Gefühl zu denken. Wie wird das ausgehen?, lässt sich meine Angst hören. Abseits vom gebahnten Weg geht man schwerer und nicht so sicher. Aber dort warten die Wunder. Dort begegne ich Gott.

Aber ich will die Sache auch so erzählen, dass sie dich ganz persönlich angeht: Da steht in deinem Leben irgendwann die Entscheidung an, worauf sollst du bauen: auf deine Leistung, auf den Besitz, auf die Sicherheit von dem, was du dir zurücklegst? - Ja, oder du gibst dich vertrauensvoll in die Hände Gottes, nimmst ernst, wenn er dich sein Kind heißt, lässt ihn für dich sorgen und nimmst im Glauben von ihm, was immer er für dich bereithält. Ja, das ist eine schwere Wahl! Da hörst du nun deinen Namen und Gottes Auftrag für dich: Zeichen der Hoffnung in dieser Welt zu setzen, die vor Gier nach Macht und Mammon aus allen Fugen gerät. Einen anderen Maßstab anlegen, als ihn diese Welt hat, die selbst den Menschen nur noch nach Leistung und Nutzen beurteilt. Das Gesetz der Liebe zu leben unter den Leuten, die den nicht mehr zu kennen scheinen, von dem alle Liebe herkommt. - Wie gesagt, du kannst wählen, kannst auf den Boden vor dir schauen, auf den eigenen Bauch - oder du hebst den Blick, lässt dich von Gott in die Weite seines Auftrags stellen, an dieser Erde und ihren Menschen. Wie gesagt, das ist nicht leicht! Denn du schreitest dann nicht auf der breiten Straße, die dir die Masse geebnet hat - die führt in anderer Richtung. Aber vielleicht gelingt es dir ja, den ausgetretenen Pfad, den du schon lange - zu lange - gehst, zu verlassen und die Füße loszubekommen vom bequemen Weg, auf dem sich's so gemütlich einherschreitet. Vielleicht schaffst du es abzubiegen, wie es Mose tat: "Ich will doch hinübergehen ...". Dort werden dir Wunder begegnen. Dort wartet Gott! Auf dich!

Pascal wurde das wichtiger als alles. Er schrieb auf, was er mit Gott erlebt hatte, nähte es in seinen Rock ein. Das sollte ihm nie mehr verloren gehen: "Feuer! 'Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs', nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Gott Jesu Christi. Freude, Freude, Freude - Tränen der Freude."

Liebe Gemeinde, was muss das für ein wunderbares Erlebnis sein, Gott zu begegnen, wenn ein Mensch darüber so ins Stammeln gerät! AMEN