Predigt zum 1. Adventssonntag - 28.11.2004

Textlesung: Jer. 23, 5 - 8

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, daß ich dem David einen gerechten Sproß erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: "Der HERR unsere Gerechtigkeit". Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, daß man nicht mehr sagen wird: "So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!", sondern: "So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte." Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Liebe Gemeinde!

Zweimal hören wir es hier: "Siehe, die Zeit wird kommen!" "Siehe", so beginnen viele Verheißungen Gottes. Und was wird hier verheißen?: Ein gerechter Spross Davids, ein König, der mit Gerechtigkeit und Recht regieren wird, einer der hilft und dafür sorgt, dass die Menschen sicher in ihrem Lande wohnen ... Damals, zur Zeit des Propheten Jeremia, war die Sehnsucht des Volkes Israel groß, dass sie nach Krieg und Verschleppung wieder unter einem König geeint in Frieden und Sicherheit leben konnten. Dieser erwartete König war der Messias, der Gesalbte Gottes.

Wir Christen hören solche Worte immer auf Jesus hin - und besonders in der Adventszeit, in der wir auf ihn warten und uns auf sein Kommen vorbereiten. Und da gehen unsere Gedanken ja jetzt leicht dahin, dass wir fragen, welche Hoffnung wir denn noch für unser Leben haben, welche Verheißung sich für uns erfüllen soll, wenn Gott zu uns so spräche: Siehe, es kommt die Zeit ...

Sicher haben wir eine andere Sehnsucht, ganz andere Wünsche als die Menschen Israels vor 2500 Jahren. Dem einen von uns wird da wohl zuerst die Gesundheit einfallen, die sich hoffentlich bald wieder bessert. Einer anderen kommt in den Sinn, dass sie sich wünscht, dass ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt und sie nicht ihre Stelle verliert - wo sie doch schon über 50 ist und nichts anderes mehr kriegen wird. Junge Leute denken daran, dass sie den Weg ins Leben finden wollen, in einen Beruf, der sie erfüllt und ernährt. Sie möchten einen guten Partner haben, der sie liebt und ihnen treu ist. Menschen in den mittleren Jahren haben da schon wieder andere Ziele: Sie sorgen sich um die eigene Alterssicherung und darum, wie sie bei allem Stress in Arbeit und Freizeit noch zur nötigen Ruhe und Entspannung finden. Wenn sie Kinder haben, dann ist ihnen deren Zukunft ein Anlass für Wunsch und Befürchtung. Und die Alten - die haben oft Angst vor der Einsamkeit oder dass ihnen die eigenen Kräfte ausgehen und sie hilfs- und pflegebedürftig werden. - So hört jede und jeder von uns dieses Wort Gottes anders: "Siehe, die Zeit wird kommen!" Aber was sagt es uns. Und vor allem: Kann es uns helfen, stärken, trösten und froh machen, je nach dem, was wir brauchen?

Liebe Gemeinde, alles wird darauf ankommen, dass dieses Wort unseren Glauben findet! Zwar wird sich erfüllen, was es verheißt - es ist ja ein Wort Gottes! - aber ob es uns Zuversicht ins Herz gibt, das wird davon abhängen, dass wir ihm Glauben entgegenbringen. Das ist so wie mit der Liebe: Wenn wir dem Menschen, der uns sagt, ich liebe dich, nicht vertrauen, dass es wirklich so ist, dann wird uns seine Liebe nicht wärmen, nicht verändern, nicht froh und nicht glücklich machen. Und umgekehrt stößt auch unsere Liebe ins Leere, wenn der geliebte Mensch uns das nicht abnimmt, wenn wir ihm von unserer Liebe reden. So ist es auch hier: "Siehe, die Zeit wird kommen!" Wenn wir unserem Gott das nicht glauben, dass noch etwas aussteht, dass er uns nicht in unseren Sorgen und Nöten hängen lässt, dann wird es für uns so sein, als hätte Gott uns diese Verheißung nie gegeben. Dann ist sie kraftlos, kann nichts für uns ausrichten, nichts zum Besseren wenden. -

Aber wie gewinnt man diesen Glauben? Genügt es denn, wenn wir uns nur mühen, wenn wir uns einreden: Du musst aber, Gott hat es doch versprochen! - Ich kenne einen anderen Weg zum Glauben und ich weiß, dass andere hier diesen Weg auch wissen und schon gegangen sind: Es ist die Erinnerung!

Den ersten Schritt auf diesem Weg gehen wir dann, wenn wir nicht stehen bleiben bei dieser Verheißung, "die Zeit wird kommen", sondern unsere Gedanken schweifen lassen ... in die Vergangenheit, zu früheren Wünschen, Kummer oder Sorgen ... Wir haben doch schon erfahren, dass Wünsche wahr wurden! Wir haben doch erlebt, dass wir Sorgen überwunden und Not bestanden haben. Und ich bin sicher, viele nicht nur einmal in ihrem Leben! Und wenn wir noch ein wenig tiefer dringen, dann müssen wir sagen: Aus unserem Vermögen ist das nicht gekommen, wenn ein Wunsch sich erfüllt hat! Und unsere eigene Kraft wäre viel zu schwach gewesen, Nöte und Ängste zu bannen! - Aber was war es dann, wer war es?

Ich glaube, wenn wir ganz ehrlich sind und den Dingen wirklich auf den Grund gehen, dann werden wir es wissen: Da hat Gott in unser Leben eingegriffen, da hat er seine Hand über uns gehalten, uns ein Stück getragen, unser Herz stark gemacht und uns die Geduld und die Ausdauer geschenkt, die wir brauchten. Und vielleicht haben wir damals ja auch gesagt: Gott sei Dank! Und das war keine Floskel, kein so dahin gesprochenes Wort gewesen.

Diese Erinnerung wird uns helfen, auch für das, was wir uns gegenwärtig wünschen, mit Gottes Hilfe zu rechnen. Aus der Erinnerung wird uns die Stärke erwachsen, auch in unseren heutigen Befürchtungen und bösen Erwartungen auf Gott zu hoffen. Wenn wir uns des früheren Beistands Gottes erinnern, werden wir uns nicht beirren lassen, dass es stimmt, was wir im Kirchenlied singen: "Er hilft, wie er geholfen!" (EG 329,3) "Siehe, die Zeit wird kommen!"

Aber wir sind damit ja noch nicht zufrieden. Gerne wüssten wir auch, wie es sein wird, was wir genau erwarten dürfen. Das Volk Israel zur Zeit des Propheten, der hier zum Mund Gottes wird, wollte einen König, wollte Frieden und endlich wieder äußere Ruhe nach bewegter Zeit. Und diese Wünsche sind wahr geworden. Zwar ganz anders, als es die Menschen erwartet haben, aber doch so, dass man in Israel wieder ruhig und sicher wohnen konnte.

Und bei uns? Ganz gewiss wird sich nicht alles so erfüllen, wie wir es ersehnen, wie wir es wollen und wünschen. Vielleicht werden manche die unter uns, die so gerne gesund würden, nicht genesen. Aber sie lernen durch Gottes Hilfe mit ihrer Krankheit oder Behinderung leben. Und es gibt trotz aller Einschränkungen auch für sie wieder Lebensfreude und in aller Beschwerde glückliche Zeit!

Und vielleicht wird die Frau, von der ich vorhin gesprochen habe, den Arbeitsplatz verlieren, aber - selbst wo sie das nie gedacht hätte - findet sie doch noch eine andere Stelle und sogar eine, an der die Arbeit Spaß macht und sie sich wohl fühlt.

Die jungen Leute, die sich um ihre Zukunft sorgen, werden oft einen ganz anderen Weg machen, als sie sich das erträumt haben. Aber es wird ein gangbarer Weg sein, einer der vielleicht - nach menschlichem Urteil - über viele Umwege führt, aber doch einer, der ein Ziel hat, so dass man am Ende sagen kann: Es war doch gut so.

Und die Alten? Wohl werden manche noch schwere Stunden zu bestehen haben. Aber gerade, wenn man schon älter ist, muss einem doch alles, was diese Welt bringt, nicht mehr schrecken. Wir wissen es doch: Gottes neue Welt kommt. Sie ist uns versprochen durch Jesus Christus. Was könnte uns angesichts der Herrlichkeit, die uns erwartet, denn noch wirklich tief erschüttern? Dies alles wird enden. In Gottes Reich werden wir all dessen nicht mehr gedenken. Dort wird nur noch Freude sein, ungeahntes Glück, wir werden sicher wohnen - ewig!

Heute haben wir am Adventskranz die erste Kerze angezündet. Die schöne, die besinnliche Zeit vor Weihnachten hat begonnen. Ich könnte mir denken, die Wochen auf das Fest hin eignen sich besonders gut dafür, in einer täglichen stillen Zeit über diese Fragen nachzudenken: Was sind meine Wünsche, was ist meine Sehnsucht, meine Angst, meine Sorge ...? Aber auch: Wo hat mir Gott schon beigestanden, meinen Wunsch erfüllt, meine Furcht in Freude verwandelt?

Vielleicht kann dann in einer solchen Stunde beim milden Schein einer Kerze doch auch bei uns Hoffnung einziehen und der Glaube, dass wir ja nicht allein sind, nicht verlassen und ohne Hilfe. Und vielleicht wird dann unserem Herzen die Gewissheit geschenkt: Es ist ja doch für mich gesorgt, ich bin bei meinem himmlischen Vater geborgen, er sieht nach mir, er führt mich, er lenkt mein Leben, wenn ich das will, weil er mich liebt. Ich werde sicher wohnen - hier und einmal dort!