Predigt am 16. Sonntag n. Trinitatis - 26.09.2004

Textlesung: 2. Tim. 1, 7 - 10

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluß und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Liebe Gemeinde!

Was sind das doch für gewichtige Worte! Fast möchte man es gar nicht erst versuchen, ihnen mit einer Predigt von vielleicht 15 Minuten Länge gerecht zu werden. Denn was soll man weglassen? Worüber mehr, worüber weniger reden? Ich denke, wir verlieren jetzt keine Zeit mehr, fangen einfach vorne an und hoffen, dass Gott selbst sein Wort in unsere Worte legt und uns Ohren und Herzen öffnet:

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Es ist viel Furcht in uns, unter uns! Da ist die Furcht schon des Kindes, wenn es mitbekommt, dass sich seine Eltern trennen wollen. Was wird aus mir, fragt es, oder fühlt es doch, wenn es noch kleiner ist. Wer wird für mich da sein? Werde ich Papa oder Mama gar nie mehr sehen?

Da ist die Furcht des Jugendlichen, dass er nach der Schule keinen Ausbildungsplatz bekommt - und wenn, dass er am Ende doch auf der Straße steht und nie mehr hineinfindet in die Gesellschaft, die sich durch ihre Arbeit ernährt und ihr Recht auf Achtung und Anerkennung bestätigt. Nur, was soll er machen, wenn ihm - ohne eigene Schuld - der Zugang verweigert wird, für ihn keine Arbeit da ist und sein Erwachsenenleben mit Arbeitslosigkeit beginnt?

Da ist die Angst der Menschen in den Mittleren Jahren, ihr Leben verfehlt, nicht das aus sich gemacht zu haben, was ihre Neigung, ja, vielleicht ihre Bestimmung gewesen wäre. Und jetzt ist es zu spät ...

Und da ist die Furcht der Alten, die letzte Wegstrecke nicht in Würde, selbstverantwortet und -versorgt gehen zu können. Vielmehr abhängig zu sein, vielleicht in einem Heim fern von ihren Lieben dahinzuvegetieren, der Pflege fremder Menschen bedürftig.

Liebe Gemeinde, dieser Geist der Furcht stammt nicht von Gott! Von ihm kommen uns Kraft, Liebe und Besonnenheit! Das heißt nun nicht, dass nicht eintreten könnte, was die Menschen an Ängsten und Befürchtungen umtreibt, lähmt und beschäftigt. Das heißt aber, dass hinter allem und in allem auch Gottes Kraft nahe ist und uns hilft, dass wir alles bestehen, was ja doch Gott selbst uns schickt. Und diese Kraft wird immer reichen. Und die Liebe wird hinzukommen - vielleicht dass wir andere Menschen finden, die Gott bewegt hat, die uns beistehen, wenn uns das trifft, wovor wir Angst haben. Und die Besonnenheit können wir vielleicht selbst aufbringen, wenn wir spüren: Ich bin nicht allein mit meinen Sorgen, in meiner Lebenslage, in meiner Angst. Wir müssen dann nicht kopflos werden und die Hoffnung und die Fassung verlieren, sondern wir können in jeder Situation das tun, was mit Gottes und der Menschen Hilfe hinausführt.

Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn ...

Ich finde, auch das trifft uns genau - mitten ins Herz, hoffe ich. Denn die Scham ist groß heute und sie verhindert oft, dass die Christen von dem sprechen, was ihr Glaube ist und wie ihr Herr heißt. Dabei will ich noch nicht einmal sagen, dass dieser Glaube schwach ist und sie nicht mehr wissen, nach wem sie heißen und wem sie nachfolgen sollen. Aber sie reden nicht davon. Und sie zeugen nicht dafür. Und ich habe Beispiele. Wo hören wir einmal so etwas: "Dass ich wieder gesund geworden bin, das verdanke ich Gott und dem Gebet, auch dem so vieler Menschen, die für mich gebetet haben." Wo sehen wir den Menschen, der bei einem schweren Unfall einigermaßen heil davonkam, irgendwann später einmal in seiner Kirche? Dass er so zeigt, wem er die wunderbare Bewahrung verdankt und dass er das weiß? Und wann zuletzt hatten wir wirklich den Eindruck, das schnell gesagte "Gott sei Dank", wäre nicht nur eine Floskel, die man halt in bestimmten Momenten hervorholt, wie das gedankenlos hingeworfene "Mahlzeit" in den Kantinen, bei dem kaum noch jemandem der ursprüngliche Wunsch, "Eine von Gott gesegnete Mahlzeit" in den Sinn kommt. Doch, ich wünschte uns einen bewussteren Umgang mit den vielen nur noch achtlos hingenommenen Geschenken, Hilfen und Bewahrungen durch Gottes Liebe. Und eine gewisse "Unverschämtheit", davon zu sprechen und für den zu zeugen, dem wir das verdanken, wünsche ich uns auch.

Gott hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluß und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus ...

Wenn es hier noch eine Steigerung gibt, dann würde ich sagen: Mit der Gnade und dass sie allein uns selig macht, haben wir die größten Schwierigkeiten. Dabei glauben wir schon, dass Jesus Christus allein unser Heil ist, dass er für uns gestorben und auferstanden, dass die Vergebung unserer Schuld und die Aussicht eines ewigen Lebens beim Vater allein sein Verdienst ist ... Vieles aber ist unserem Leben abzulesen, das zeigt ganz deutlich, dass wir anders tun, als wir glauben!

Wie soll man denn z.B. begreifen, dass wir Gott immer wieder in unserem Gebet unsere Leistung hinhalten, für die er uns doch wirklich einmal unsere Wünsche zu erfüllen hätte? - So beten sie gar nicht, meinen sie? Wie sieht es damit aus: "Dass es die Frau Soundso derart schlimm getroffen hat, kann ich einfach nicht begreifen! Die ist doch so aktiv in der Gemeinde und wirklich eine Seele von Mensch! Wie kann Gott ihr jetzt so viel Unglück schicken?" - So haben sie noch nie geredet, auch nicht so ähnlich?

Jedenfalls haben wir wirklich keinerlei Ansprüche Gott gegenüber, die wir geltend machen könnten. Wir sind Bettler vor ihm und nichts anderes. Und noch das beste Leben kann dem Opfer unseres Herrn nichts hinzufügen, wofür Gott uns dann eine gnädigere Behandlung oder die Erfüllung größerer Wünsche schenken müsste! Es ist eben so: "Gott hat uns selig gemacht!" Wir kommen immer schon her von seiner Gnade, sind immer schon durch Christus angenommene Sünder, haben schon das Anrecht auf Gottes ewige Nähe in Händen, sind schon auferstanden durch den Tod Christi am Kreuz - uns zugute! "Gottes heiliger Ruf" ist nun, so zu denken, zu reden und zu handeln, dass uns die Menschen ansehen und abspüren, dass wir das wissen.

... unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Hier wollen wir einmal nicht schauen, wie wir sind und vor diesem Wort dastehen. Wir wollen fragen, wie wir sein könnten, sein sollten, wenn wir davon ausgehen: Dem Tod ist die Macht genommen, ein unvergängliches Wesen ist uns geschenkt, schon heute!

Das Kind, von dem ich anfangs sprach, das seine Eltern auseinander gehen sieht, wird es noch nicht können, aber der Jugendliche, zumal wenn er konfirmiert ist, kann es, müsste es können: Gelassen sein allem gegenüber, was diese Welt und das Leben uns an Lasten auflegt, an Hindernissen aufbaut und an Aufgaben stellt. Wir sind nicht allein! Und wir sind immer schon hindurch! Gott sieht nach uns. Er wird früher oder später den Weg öffnen, der hindurchführt. Im Glauben an Jesus Christus haben wir die Welt und noch das schwerste Leben überwunden.

Ich will nicht verharmlosen. Es ist schrecklich, wenn ein junger Mensch beim Start in ein selbstverantwortetes und selbstbestimmtes Leben nur Zurückweisung erfährt. Aber die Arbeit z.B. ist nicht das ganze Leben. Und ein Blick in irgend ein Entwicklungsland oder auch ein neues Mitgliedsland der EU kann deutlich machen: Die Chancen bei uns sind immer noch viel besser als irgendwo dort.

Auch die Menschen in den Mittleren Jahren, die meinen, sie hätten nicht ihr eigenes Leben gelebt, die Alten, mit dem Gespenst der Einsamkeit und Pflegebedürftigkeit vor Augen, dürfen gelassen sein: Alles ist schon überwunden. Alles Schwere drückt uns nur noch auf Zeit. Am Ende steht das von allen Ängsten, aller Sinnlosigkeit, aller Krankheit und Behinderung befreite Leben bei Gott, durch unseren Herrn Jesus Christus - unvergänglich, ewig!
Ich wünsche uns, dass dieser Glaube und diese Zuversicht uns von heute an begleiten. AMEN