Predigt zum Sonntag "Judika" - 28.03.2004

Textlesung: Hebr. 5, 7 - 9

Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.

Liebe Gemeinde!

Ganz ehrlich gesagt, kann ich mir kaum einen fremderen Gedanken vorstellen als diesen: Dass einer an dem, was er leiden muss, gehorsam lernen soll, wie wir es hier hören! Vertrauter wird mir dieser Gedanke auch nicht dadurch, dass es Jesus ist, der hier von seinem, von unserem himmlischen Vater dieser Leidenserziehung unterzogen wird. Vorbild ist Jesus ja allemal für uns, seine Geschwister. Aber wollen wir es ihm hierin gleichtun? Wollen wir auch am Leid Gehorsam lernen?

Lieber würden wir doch dieses Thema abtun und uns anderen Dingen zuwenden, über die der Hebräerbrief hier spricht. Aber wir merken das schnell, sehr viel angenehmer sind die anderen Gedanken auch nicht: Bitten und Flehen, lautes Schreien und Tränen, Gott zum Tod dargebracht... Was soll's da denn sein? - Aber halt, da ist noch etwas: "Jesus ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt." Aber diese Ehre gibt Jesus Gott nun wieder so, dass er gehorsam im Leiden ist... Es führt scheinbar kein Weg daran vorbei: Es geht heute darum, dass wir lernen, gehorsam zu sein, auch wenn wir leiden müssen.

Müssen wir leiden? - Manche Menschen schon! Aber vielleicht würden wir doch sagen, die so richtig großes Leid haben, sind heute sicher nicht hier in der Kirche. Denn Leid...das ist doch eher schwere Krankheit, ein ganz schlimmes Schicksal, große Trauer und Verlassenheit, wenn ein Mensch von uns gegangen ist, tiefe seelische Depression, Hoffnungslosigkeit vor einem ganz dunklen Verhängnis... Wir, die heute hier sitzen, sind dagegen doch gut dran. Uns plagen vielleicht die Beschwernisse des Alters, wir machen uns Gedanken um die Ausbildung unserer Kinder oder Enkel, wir sorgen uns angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung oder um den eigenen Arbeitsplatz oder den eines Angehörigen... Und es ist sicher richtig, dass es hier Unterschiede gibt. Manchmal mögen wir von diesen kleinen Beschwerden ja gar nicht im Zusammenhang mit wirklichem "Leid" sprechen. Und trotzdem! Sagen sie ihrem Arzt einmal, sie hätten da so ein kleines Stechen im Rücken...ein richtiger Schmerz wäre es ja nicht, aber es wäre doch unangenehm.... Er wird ihnen antworten: Schmerz ist alles, was nicht so ist, sich nicht so anfühlt, wie es sein soll! Genau so ist das beim Leid: Auch schon kleine Beschwerden, Sorgen, Ängste verursachen uns Leiden! Denn sie lenken uns ab von den guten, schönen Dingen des Lebens, sie binden unsere Gedanken, sie machen uns unglücklich und nehmen uns die Freude daran, in dieser Welt zu sein. Also noch einmal: Müssen wir leiden? - Ja, wir alle haben Leid und es ist uns gegeben, "dass wir daran Gehorsam lernen."

Wie gehen wir denn meist um mit dem Leid? Wir verdrängen es nach Kräften, wir versuchen, nicht daran zu denken, wir lenken uns ab... Jedenfalls kommt uns kaum in den Sinn, das Leid ganz bewusst zu sehen und anzunehmen. Und schon gar nicht bringen wir es mit Gott, unserem Glauben an ihn und mit seinem Handeln an uns zusammen. Da wäre ja schließlich der Gedanke gar nicht mehr so fern, Gott wollte uns möglicherweise mit dem Leiden bestrafen - und das mögen wir als gut evangelische Christen nicht denken! - Aber ich sehe da noch einen gewaltigen Unterschied: Wenn Gott uns bestrafte, dann zeigte er uns nur, dass wir falsch gehandelt haben und dass er Macht über uns hat und uns auch Unglück oder böses Geschick senden kann. Vor allem ist Strafe immer nach rückwärts gewandt: Wir haben uns falsch verhalten, haben Schuld auf uns geladen, einen Fehler gemacht - jetzt kommt die Rechnung.

Beim "Gehorsam" geht es um etwas ganz anderes: Vielleicht schickt Gott uns auch hier schwere Tage, durchwachte Nächte, drückende Sorgen oder auch Zeiten der Krankheit... Aber das hat eine Absicht! Und die liegt vorn, sie will uns über uns selbst hinaus und zurecht bringen, will uns führen und uns helfen, dass wir unser Verhalten überprüfen und uns ändern. Wenn wir also das Leid, das uns drückt, so nehmen, dass wir an ihm zum Gehorsam finden, dann geht es um etwa Gutes, eine Haltung, die unser Leben, unsere Freude, die Erfüllung unserer Tage fördert, uns glücklicher und zufriedener machen will.

Aber das bleibt alles so theoretisch! Schauen wir doch einmal hinein ins richtige Leben. Sehen wir uns an, wie ein und die selbe Sache, so oder auch ganz anders aufgefasst werden kann:

Eine Frau, wir nennen sie einmal Martha, hat in den letzten Wochen zwei Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Ihre Tochter hat sich - obwohl sie ohne Partner ist - eine eigene Wohnung genommen und sie hat auch gesagt warum: "Ich möchte endlich mein eigenes Leben führen und nicht mehr eines, das deiner Ansicht nach richtig für mich ist." Kaum Tage später hat Martha ihre beste Freundin verloren. Und was sie geäußert hat, klang ähnlich wie die Worte ihrer Tochter: "Eine Freundschaft ist etwas auf Gegenseitigkeit! Bei uns beiden aber muss es immer nach dir und deiner Sicht gehen! Ich möchte jetzt einfach einmal probieren, ob ich nicht auch ohne dich auskomme." Wir können uns denken, das hat Martha sehr hart getroffen. Sie konnte auch zunächst nicht anders, als sich unschuldig von Gott bestraft zu fühlen: Sie hatte sich doch immer so bemüht...um die Tochter, die Freundin. Was waren die beiden doch so undankbar und wie einsam und abgemeldet fühlte sie sich jetzt. Aber nach einiger Zeit, als sie ein paar Nächte drüber geschlafen hatte...da meldeten sich doch auch ganz andere Gedanken: Vielleicht war sie ja wirklich schwierig zu ertragen mit ihrer Art, die Tochter bis weit ins Erwachsenenleben hinein zu bevormunden, zu gängeln und in ihren Entscheidungen nicht frei zu lassen. Und nicht anders bei ihrer Freundin: Die war doch auch ein eigener Mensch...und wenn sie nachdachte, musste sie schon zugeben, dass es eigentlich immer nach ihrem Kopf gegangen war: Martha hatte bestimmt, wohin ihr gemeinsamer Spaziergang führte, Martha hatte jedes Gespräch an sich gerissen und immer das letzte Wort gehabt. Martha antwortete, wenn ein dritter beide etwas gefragt hatte. Inzwischen - ganz allmählich - empfindet Martha nicht mehr nur als Strafe, was sie erfahren musste. Ja, nach und nach kommt ihr auch in den Sinn, ob nicht etwas Gutes in dem liegen könnte, was geschehen ist. Vielleicht sollte sie wirklich lernen, anders mit ihrer Tochter umzugehen? Und die Freundin? Die verdiente doch auch mehr Beachtung ihrer Persönlichkeit und Zutrauen in ihre Meinung. Wenn Martha nun noch den Weg zu ihrer Tochter und ihrer Freundin fände, wenn es ihr gelänge, einmal ohne den Anspruch, immer im Recht zu sein und alles richtig gemacht zu haben, mit den beiden zu reden, dann hätte sie an ihrem Kummer etwas gelernt, was ihr im Grunde nur nützt und ihr Leben bereichert und zu ihrem Nutzen verändert.

Liebe Gemeinde, als Christen können wir das durchaus "Gehorsam" nennen, Gehorsam gegenüber Gott. Er will ja doch, dass wir nicht bei unserem falschen Verhalten stehen bleiben - besonders da, wo es die Gemeinschaft mit anderen Menschen betrifft. Ich bin aber davon überzeugt, dass in vielen Dingen, die wir "Leid" nennen, eine solche Aussicht verborgen ist, ein Handeln unsererseits, zu dem uns Gott mit dem Leiden bringen will, führen will... Er hat nicht zuerst vor, uns zu bestrafen, unsere Sünde, unsere Fehler heimzusuchen, uns klein zu machen und seine Macht über uns zu zeigen. Gott ist unser Vater! Und der Vater will immer das Beste für seine Kinder.

So hat Jesus, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.

Vielleicht war das im Garten Gethsemane, dass Jesus verstanden hat, du bist nicht von Gott verlassen und bestraft. Vielleicht war es das, womit ihn der Engel damals stärkte, dass er ihm die Sicht öffnete: Dein Leiden ist für etwas gut! Wir müssen sagen: Es war für uns und alle Welt gut! In seinem Leid lag unser Heil. Wenn wir das an ihm gesehen haben, dann wollen wir jetzt lernen, dass auch in unserem Leid immer eine gute, väterliche Absicht liegt. Gott will uns weiterbringen. Über alles, was uns hält und im Sinne der Welt reden und handeln lässt, hinaus! Wir sind seine Kinder. Er hat ein Ziel mit uns: Sein Heil! Wir sollen ihm nicht verloren gehen, sondern dieses Ziel erreichen. Wenn er uns dazu auch einmal Sorgen, Beschwerden, Kummer oder gar Unglück schickt, dann wollen wir es als seinen Ruf verstehen, ihm gehorsam zu werden und das zu tun, was er von uns möchte. Am Ende wird alles unserem Heil dienen. Wir wollen Vertrauen haben.