Predigt zum Sonntag "Invokavit" - 29.02.2004

Textlesung: Hebr. 4, 14 - 16

Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.

Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.

Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.

Liebe Gemeinde!

So ein wenig fühlt man sich hier wie in ein Gespräch mit einem sehr klugen Menschen versetzt, der allerdings einfach nicht unsere Sprache spricht. Wie das schon anfängt: "Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben..." Und wie das weitergeht: "...der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit..." Und schließlich, wie das endet: "Lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade..." Gestelzt klingt das und es ist schwer eingängig. Es fällt uns nicht leicht, diese Verse wirklich zu verstehen und noch schwieriger erscheint es, dass sie unser Herz erreichen. - Was können wir tun, denn wir ahnen doch, dass uns diese Worte der Heiligen Schrift etwas zu sagen haben? - - -

Ich bin diese Verse immer wieder entlanggegangen und da haben sie auf einmal doch zu sprechen angefangen. Für mich sind es vier Gedanken, an denen sich ihre Aussage und ihr Sinn festmachen: Bekenntnis...mit leiden...hinzutreten...Barmherzigkeit und Gnade finden. Aber der Reihe nach:

Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis... Dabei geht mir durch den Kopf, wie wenig man doch meist unserem Reden abhören kann, dass wir zu den Leuten Jesu Christi zählen. Da denke ich nicht an die Floskeln, die wir so gern im Mund führen: Um Gottes Willen, oder: Gott sei Dank! Das ist ja oft nur dahingesagt. Wer von uns meint da wirklich, was seine Worte aussprechen? Ein echtes, ehrliches Bekennen mit den Lippen ist heute wirklich selten. Wann haben sie je so etwas gehört?: "Ich arbeite am Sonntag nicht, weil das für mich der Tag des Herrn ist. Der ist mir zur Ruhe und zur Besinnung geschenkt und nicht dafür, das aufzuarbeiten, was in der Woche liegen geblieben ist." Oder so etwas: "Ich möchte mich an dem Gespräch über Frau B. nicht beteiligen. Ich weiß zu wenig von den Hintergründen dessen, was sie getan hat. Ich will auch nicht urteilen - das steht nur Gott zu!"

Aber auch unsere Taten reden von dem, was unser Herz bekennt - oder sie tun es nicht. Wenn ich mich "Christ" nenne, dann werde ich z. B. gar nicht anders können, als mich meinem Nächsten gegenüber um die Liebe zu bemühen, die ich meinem Herrn absehen kann. Und wenn Jesus mein Bruder ist, dann werden damit die anderen Menschen zu meinen Geschwistern - und damit reimt sich so manches an meinem Tun und Lassen nicht.

Das Festhalten am Bekenntnis also ist das erste, was wir wieder lernen müssen. Dass sich unser Denken, Reden und Handeln mit dem deckt und vor dem bestehen kann, was unser Herz doch unbedingt glaubt: Jesus Christus ist mein Herr und Bruder!

Aber nun hören wir: Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit... Und ich finde das sehr tröstlich! Wir leben mit all unserem Versagen, unseren Fehlern, Schwächen und Unzulänglichkeiten als Christen eben nicht unter den Augen eines unerbittlichen Richters, der das Buch unseres Leben vor sich aufgeschlagen hat und dort seine schwarzen Striche macht... Wir haben einen Gott, der uns schwache Menschen lieb hat. Unser "Hoherpriester" Jesus hat uns das an so vielen Beispielen deutlich werden lassen: Die Ehebrecherin, eine gewiss schuldige Frau, verdammt er eben nicht. Und als er in Jericho einzieht, führt ihn der Weg nicht zum Tempelvorsteher oder Bürgermeister, sondern ins Haus des kleinen Zachäus, des mit Recht verachteten, betrügerischen Zöllners, der ja auch selbst bekennt, dass er unzähligen Menschen ungerechfertigt das Geld aus der Tasche gezogen hat. Und auch in Jesu Geschichten sind es die Leute, um die es ihm besonders geht, die Schuld und Strafe auf sich gezogen haben. Denken wir nur an den verlorenen Sohn. - Aber Jesus lässt die Menschen eben nicht so, wie sie sind. Ihre Schwäche ist es gerade, warum er sie sucht und anspricht. Aber bei ihm bleiben sie nicht, wie und wer sie immer gewesen. Er wendet sich ihnen zu. Er ist vielleicht der erste seit Jahren für diese Menschen, der sie überhaupt ansieht, anspricht und wahrnimmt, dass es sie gibt. Er interessiert sich für sie. Er sieht in ihnen nicht die Menschen, die sie jetzt sind, sondern jene, die aus ihnen werden sollen...und mit seiner Hilfe auch werden können! Er leidet mit ihnen an dem, was sie jetzt noch sind - und das spüren sie. Es tut ihm weh, dass sie auf einem falschen Weg gehen oder Sünde tun. Aber er bleibt bei ihnen. So verändert er die Menschen. Und so, liebe Gemeinde, will er auch an uns tun. Er leidet auch mit uns, wenn wir uns nicht gefallen und nicht so sind, wie wir gerne wären und sein sollten. Er verdammt uns aber nicht. Er verhaftet uns nicht da, wo wir heute stehen, sondern zeigt uns das Ziel, das wir erreichen können und er geht den Weg dorthin mit uns.

Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade... Da sind nun doch wir dran. Das ist unsere Sache: Hinzutreten...zuversichtlich sein... Wenn der verlorene Sohn nun nicht die Straße bis zur Tür des Vaters gegangen wäre? Wie hätte ihn der Vater in die Arme schließen können? Wenn Zachäus auf Jesu Wort hin: Ich will heute in deinem Haus zu Gast sein, die barsche Antwort sagte: Ich will dich aber nicht empfangen! Wie soll der kleine Zöllner zur Reue und zum neuen Leben finden? Und die Ehebrecherin? Als die Männer, die sie beklagt hatten, das Weite suchen, hätte wohl auch sie sich aus dem Staub machen können. Nur zu verständlich wäre das ja gewesen. Aber sie bleibt. Sie tritt buchstäblich herzu zu Jesus, weil sie spürt, es ist nicht alles, sich jetzt zu retten und noch einmal davongekommen zu sein. Es braucht noch dieses Wort, sie braucht es: "Ich verdamme dich auch nicht. Sündige hinfort nicht mehr." Und sie konnte es nur hören, dieses lösende Wort, weil sie die Reue hintrieb zu Jesus. So sollen wir es auch halten: Hinzutreten..., voll Hoffnung, dass sich bei Jesus unser Leben nachhaltig ändert. Wir müssen keine Angst haben. Er verdammt uns nicht, er schenkt uns vielmehr das Leben, eines das uns frei und froh werden lässt.

Und davon spricht auch das vierte und letzte, was uns heute vorgelegt wird: ...damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden. Und es ist eine Verheißung, ein Versprechen, das nicht im Vorhinein schon sicher wäre, so wie wir vielleicht ein Brot kaufen oder eine Dienstleistung erwerben können, wenn wir nur das nötige Geld dafür in der Tasche haben. Nein, am "Thron der Gnade" hören alle unsere Sicherheiten auf. Dort stehen wir mit leeren Händen, dort gibt es keine Verdienste, die wir vorweisen könnten, dort ist kein Handel möglich: Ich bringe dies und bekomme dafür das... Und doch werden wir so nicht wieder von dort fortgehen, wie wir hingegangen sind! Der verlorene Sohn findet die Liebe des Vaters, er darf wieder in seinem Haus bleiben, was der Vater hat, gehört auch dem Sohn. Der Zöllner empfängt die Vergebung all seiner Schuld, darum kann er so sprechen: "Ich will's denen vierfach zurückgeben, die ich betrogen habe." Und die Ehebrecherin? Sie nimmt von Jesus den neuen Anfang mit und gewiss auch den Vorsatz, nicht mehr zu sündigen, neuer Schuld aus dem Weg zu gehen. Alle drei aber wussten es vorher nicht, was sie am "Thron der Gnade" erwartet. Für alle war es ein Wagnis mit unbestimmtem Ausgang.

Und so ist es auch der letzte Gedanke, den wir von heute mitnehmen wollen: Barmherzigkeit unseres Herrn, Gnade des Vaters im Himmel sind niemals Lohn, sondern bleiben immer eine Verheißung. Nichts ist sicher. Nichts bringen wir mit, was diese Gaben aufwiegen könnte. Verdienste gibt es nicht. Belohnung ist uns nicht versprochen - wofür auch? Es ist ein Risiko den Weg zur Gnade bis zu Ende zu gehen. Wir werden es sehen, was wir empfangen!

Aber wir haben auch Hilfe: Da ist Jesus Christus, der uns immer wieder mit seinem Wort anspricht. Der in uns jeden Tag neu die Sehnsucht danach weckt und lebendig hält, uns aufzumachen zum Vater, wie es der verlorene Sohn tut, auf den Baum zu steigen am Weg, den Jesus kommen wird wie Zachäus oder hinzugehen zu ihm, um sein befreiendes Urteil über uns zu hören, wie die Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde.

Wir wollen uns rufen lassen. Wir wollen den Weg gehen, den uns diese Worte zeigen: Bekennen, erfahren, dass Jesus mit uns leidet, hinzutreten und Barmherzigkeit und Gnade finden. Und wir wollen es tun voller Zuversicht, dass uns am Ende des Wegs Vergebung, Erfüllung unserer Sehnsucht und ein neues befreites Leben voller Sinn und Freude erwartet.