Predigt zum 1. Christtag - 25.12.2003

Wir lassen uns einstimmen auf die Worte der Predigt durch ein paar Verse aus dem Titusbrief:

Textlesung: Tit. 3, 4 - 7

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.

Liebe Gemeinde!

Ich will von einem Baum erzählen, genau genommen von einer Fichte. Die Geschichte ist wahr, aber ich habe sie selbst nur erzählt bekommen, nicht erlebt - so ist das eine oder andere vielleicht durch meine Phantasie hinzugekommen. Aber sie wissen ja: Der Kern der Sache ist wichtig, und der ist von einem, der dabei war, verbürgt:

Die Geschichte beginnt vor fünf oder sechs Jahren. Zwei Männer sind in den Wald gefahren, um Holz zu machen. Auf einmal muss der Fahrer einen Bogen steuern. Mitten in der ausgefurchten Fahrrinne wächst ein Bäumchen. Die besagte Fichte, nur etwa so (ca. 50 cm zeigen) groß. Der Fahrer ist dem Bäumchen ausgewichen, weniger um die kleine Fichte zu schonen, als ganz automatisch, wie wenn man ein ernsthaftes Hindernis umfährt. Wie oft müssen hier schon Waldarbeiter das Steuer herumgerissen haben, denn der Weg ist recht häufig befahren. - Das Bäumchen aber steht noch. Steht mitten in der Fahrrinne, an gefährlichem Ort. Die beiden Männer kommen an ihr Ziel, schlagen ihr Holz, laden auf und machen sich auf die Heimfahrt. Nach kurzer Zeit kommen sie wieder an die Stelle. Der Beifahrer sieht das Bäumchen schon von weitem, denn auch er hat die kleine Fichte auf der Herfahrt bemerkt. Halt an, ruft er dem am Steuer zu und der bremst und steht mit dem Vorderrad eine Handbreit vor der Fichte. Der Beifahrer ist ausgestiegen, nimmt den Spaten vom Wagen, sticht ein und hebt das Bäumchen mitsamt der Wurzel heraus. "Was willst du mit dem krummen Ding", meint der Fahrer. Und er hat recht. Der andere sieht es jetzt auch. Der kleine Baum ist schlecht gewachsen, an einigen Stellen kahl und dazu krumm und schief. Aber sei es, weil er ein weiches Herz hat oder weil er jetzt schon ausgestiegen ist, - der Baum wird auf den Wagen gelegt. Zu Hause im Vorgarten pflanzt er ihn ein. Dort hat er Licht. Dort hat er Luft... Er geht an. Er wächst gut. Er bekommt beste Pflege. Mit den Jahren bessert sich der schiefe Wuchs. Die kahlen Stellen verschwinden. Ja, man muß sagen, es wird ein ganz prächtiger Baum daraus - und sie würden das auch sagen, denn er steht in diesen Tagen als Weihnachtsbaum in einer Kirche ganz hier in der Nähe? Ein wunderschöner Christbaum ist aus dem "krummen Ding" von einst geworden. Seine Geschichte habe ich ihnen erzählt. Genau so ist's gewesen.

Liebe Gemeinde, warum diese Geschichte - an Weihnachten? Weil ein Christbaum aus der kleinen schiefen Fichte geworden ist? Nein! Das wäre zu oberflächlich. Ich möchte sie einladen, tiefer zu schauen:

Einmal muß ich an das Kind in der Krippe denken. Das ist ja auch ein armseliger Anfang. Wer von uns hat im Viehtrog begonnen? Und das ganze Drumherum paßt doch dazu: Ein Stall in der überfüllten Stadt Bethlehem, ein mieser Verschlag, durch die Ritzen pfeift der Wind, wahrscheinlich strenger Tiergeruch in der Luft. Und die Hirten, die da kommen, nicht die edlen Gestalten, die wir von den Bildern und Weihnachtskrippen her kennen - zerlumpte Figuren, Krüppel darunter, die Ärmsten von Bethlehem. Aber bei diesem Kind sind sie richtig, sie passen in die Szene dieser Arme-Leute-Geburt. - Denn immerhin: Gerade ihnen hatte die Botschaft des Engels gegolten: "Euch ist heute der Heiland geboren." Ich stelle mir vor, dass nun doch im Gesicht einiger dieser Hirten der Zweifel geschrieben steht: Das soll Gottes Sohn sein, dieses Kind in der Viehkrippe, mit solchen Eltern - Habenichtse wie wir... Und vielleicht hat sich in ihren Köpfen ein solcher Gedanke geregt: Was kann aus diesem Kind schon werden!? Sehen sie, das ist wie mit dem Bäumchen im Wald, - diese windschiefe kleine Fichte in der Fahrrinne: Was soll daraus schon werden? "Was willst du mit dem krummen Ding?" - Aber wir müssten uns diesen Baum heute ansehen!

Noch etwas anderes sagt mir die Geschichte vom Bäumchen: Ich höre den Fahrer des Wagens sagen: "Was willst du mit diesem armseligen Baum?" Und irgendwie hat er ja recht damit. Da wären im Wald Tausend andere Bäumchen gewesen, alle schöner gewachsen, alle gefälliger für's Auge. Der Mann mit dem Spaten sticht aber ausgerechnet diesen Baum aus dem Boden. Dieser soll es sein, gerade der - kein anderer! Seltsam dieses Verhalten! Eigentlich gegen jede Vernunft. Woher kommt diese Vorliebe für diese kleine krumme Fichte?

Und jetzt sehe ich mir wieder die Weihnachtsgeschichte an. Tausend Möglichkeiten hätte Gott gehabt, in dieser Welt geboren zu werden, alle schöner, alle gefälliger für's Auge. Er will aber gerade im Viehstall beginnen. Er will ausgerechnet in einer harten Futterkrippe liegen. Seine ersten Gäste soll das Lumpenpack der Hirten sein. Seltsam diese Geburt. Woher kommt diese Liebe Gottes zum Geringen, zum Niedrigen und Armen?

Ich weiß es nicht. Auch der Mann der das schiefe Bäumchen aus dem Wald holte, hätte nicht sagen können, warum es gerade dieses sein musste... Ich weiß aber, was daraus werden kann! Und ich denke, das könnte gerade die Menschen, froh machen, die sich nicht für die besten halten, die wissen, wie arm, wie unzulänglich und innerlich schief und krumm sie sind. Für die selbstsicheren Macher, für alle, die genau wissen, wo's im Leben lang geht, wie man zu etwas kommt und wo das meiste herausspringt, ist das keine Botschaft. Die können darüber allenfalls den Kopf schütteln: Dieses hilflose Kind im Trog bei den Tieren soll der Retter der Welt sein?

Die andern aber, die arm sind, elend, schuldbeladen und hilflos, sich selbst oft eine Last, die wenig Erfolgreichen, die Ängstlichen, denen so vieles schiefgeht - die begreifen, was hier geschieht - oder sie erahnen es doch wenigstens: Gott wird Mensch - ja, aber nicht nur das, er wird einer der Ärmsten, der Elendesten. Gerade denen will er ganz nahe sein, einer von denen will er werden. Und er bleibt es doch auch: Der Mann, der aus diesem Kind wird - immer hat er mit den Außenseitern, den Sündern, den Zöllnern und den Dirnen zu tun. Für die macht er sich stark. Die nimmt er unter seine Obhut. Er liebt das Schiefe, das Krumme, das eigentlich keine Chance hat. Die Vornehmen, die Reichen, die damals das Sagen hatten, nahmen ihm das übel: "Was willst du ausgerechnet mit diesem Abschaum?" Aber er bleibt bei ihnen. Und bei ihm bleiben die Menschen nicht, was sie sind. Die er annimmt wachsen über sich hinaus: Der Zolleinnehmer, der ein Leben lang nur betrogen und über's Ohr gehauen hat, zahlt alles zurück und folgt ihm nach. Die Ehebrecherin, die seine Vergebung erfährt, kann sich bessern. Der arme Fischer, der Jesu Ruf folgt, wird sein Jünger und Zeuge. Bei ihm wird der Unzulängliche recht, das Schiefe gleich, das Krumme gerade, auch wenn man's am Anfang nicht gedacht hat. Auch wenn es vielleicht Jahre dauert...wie bei dem Baum von dem ich erzählt habe.

In einem Punkt hinkt der Vergleich: Die krumme Fichte, das jämmerliche Bäumchen konnte sich nicht wehren, ausgegraben zu werden, eingepflanzt und gepflegt. Wir können es.

Aber sagen sie selbst, welche Chance hätte der kleine Baum gehabt - in der Fahrrinne, mitten im Wald? Wie mag unsere Chance sein, wenn wir uns nicht - irgendwann - in die Obhut dessen ziehen lassen, der selbst so elend anfängt? Der Stall, der Trog und all das ärmliche Drumherum wollen's uns leichter machen, mit ihm neu zu beginnen: Ärmer und elender ist ja keiner von uns!

Vielleicht begreifen wir jetzt besser - wenn wir sie noch einmal hören - was uns die Worte aus dem Titusbrief sagen wollen und vielleicht gelingt es ihnen jetzt, uns froh zu machen:

2. Textlesung: Tit. 3, 4 - 7

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.