Predigt zum So. "Misericordias Domini" - 26.4.2009

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Textlesung: Jh. 10, 11 - 16 (27 - 30)

Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.

Liebe Gemeinde!

Schon wenn man die ersten beiden Sätze dieser Verse hört, denkt man gewiss, es ginge nur um Jesus Christus und nicht etwa auch um uns: "Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe." Und es ist ja auch kein Zweifel, dass mit dem "guten Hirten" unser Herr gemeint ist. Und trotzdem: Ich glaube, es geht in allen biblischen Texten, allen Geschichten von und über Jesus immer auch um uns. Wenn er unser Herr ist, dann hat das, was er redet und tut ja doch immer auch mit uns, seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern zu tun. Oder im Bild dieser Verse gesprochen: Wenn uns der gute Hirte führt, dann werden wir nicht nur in seiner Nähe leben, sondern uns auch sein Wesen, seine Güte, seine Liebe und seine Treue absehen und in unserem Reden und Handeln zeigen und weitergeben.

Wenn er der "gute Hirte" für alle Menschen ist, der sogar sein Leben für uns gibt, dann sollen wir auch einer des anderen Hirtin und Hirt sein, einander fürsorglich begegnen, einander führen und leiten, helfen und fördern und einander auch einmal zurecht bringen. Wohlgemerkt niemals überheblich, nicht von oben herab, sondern so, dass einmal der eine des anderen Hirt ist und beim nächsten Mal ist es umgekehrt. Güte und Liebe werden sich nicht über einen anderen erheben. Eine Nachfolgerin, ein Nachfolger des guten Hirten sucht immer das Beste für die Mitmenschen.

Und in diese Gedanken hinein hören wir jetzt dieses Wort: "Mietling" - und es spricht mit uns, auch wenn es ein wenig altertümlich ist und nicht mehr so häufig in Gebrauch. Aber wenn das Wort auch immer weniger verwendet wird, so sind die Mietlinge heute doch deutlich auf dem Vormarsch. Manchmal meine ich, es gäbe in unserer Zeit immer mehr und mehr von ihnen - und auch viel zu viele!

Aber wie würden wir die "Mietlinge" in unseren Tagen bezeichnen?

Ich denke da an Menschen, denen das Geld die Hauptsache ist. Sie haben aber kein inneres Verhältnis zu den Schafen ... oder sagen wir jetzt lieber: zu den Menschen. Ja, ihre Mitmenschen interessieren sie überhaupt nicht. Ihr eigener Nabel ist die Mitte der Welt. Was ihnen nützt ist gut. Ob es den Nächsten wohl geht oder ob sie leiden, geht ihnen nicht nah. Teilen, von ihrem Überfluss abgeben, käme ihnen niemals in den Sinn. Sie sind halt das genaue Gegenteil von einem "guten Hirten". Der nämlich hat Interesse an den Mitmenschen. Der denkt immer auch von ihnen her und fragt bei allem auch, was sie brauchen und nötig haben. Wenn sie leiden, dann leidet er mit. Wenn sie weinen, dann weint er mit ihnen. Gewiss kann er sich auch freuen, wenn sie fröhlich sind und es macht ihn froh, wenn sie Glück und Erfolg haben.

Liebe Gemeinde, was sind nun wir: Gute Hirten oder Mietlinge?

Ich glaube, wir haben immer von beiden etwas. Keiner ist ganz "Guter Hirte" und niemand ganz "Mietling". Und - Gott sei Dank - das ist auch nicht ein für allemal festgelegt. Wir sind ja Menschen, die noch unterwegs sind, die sich verändern können, die jeden Morgen neu und an jedem Kreuzweg ihres Lebens eine Entscheidung treffen können. Wie gut ist das doch! Wie viele Möglichkeiten und Chancen liegen doch in unserer Hand! Ich meine immer, das ist eines der größten Geschenke unseres Lebens, dass wir nie die Menschen bleiben müssen, die wir heute - und vielleicht schon seit Jahren und Jahrzehnten - sind. Immer wieder ist ein neuer Anfang möglich. Immer wieder können wir mit dem brechen, was wir lange Zeit waren und in eine ganz andere Zukunft auf-brechen! Und wie viel Glück und Freude kann darin liegen!

Ich möchte ihnen heute einmal von einem erzählen, der das wahr gemacht hat: Das Aufbrechen aus einem Leben, das ihn nicht mehr befriedigt hat, ja, in dem er einfach nicht mehr zu Hause sein konnte. Ich nenne ihn einmal Markus und lasse ihn in der Mitte des Lebens, also gerade 50 Jahre alt sein:

Markus ist Mechaniker und arbeitet in einer mittleren Firma. Bis vor kurzem war sein Leben sehr bestimmt von seinen eigenen Interessen und den Gedanken an seine Familie, an seine Frau und die beiden erwachsenen Söhne. Auch blieb er am Arbeitsplatz mehr für sich, vermied nach Kräften Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen in der Kantine und gehörte in der Freizeit meist sich selbst und seinen Hobbys, dem Lesen und der Naturfotografie.

Neulich war er auf einer Beerdigung. Sein Schulfreund, den er beim Klassentreffen vor 10 Jahren zuletzt gesehen hatte, war an schwerer Krankheit früh verstorben. Bei der Predigt in der Trauerhalle sprach der Pfarrer vom Leben und vom Glauben eines Christen. Und dann las er ein Stück aus der Bibel, das Markus noch aus seiner Konfirmandenzeit kannte: "Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater."

Es war ganz seltsam. Diese Worte redeten auf einmal mit Markus. Irgendwie schienen sie gerade für ihn gesprochen. Schon auf der Heimfahrt von der Beerdigung und dann in den nächsten Tagen musste er immer wieder darüber nachdenken: "Ich bin der gute Hirte ... der Mietling aber kümmert sich nicht um die Schafe ..." Und dann irgendwann waren sie da: die Erinnerungen. An den Schulfreund, von dem ihm wieder einfiel, dass er sehr kirchlich gewesen war und in seiner Kirchengemeinde mitgearbeitet hatte. Aber er dachte auch an seine eigene Konfirmandenzeit, in der ihm das schon einmal so nahe gegangen war: Dass dieser Jesus Christus wirklich sein Leben für die Menschen gegeben und dass er wie ein guter Hirte alles, bis zum letzten für seine Schafe getan hat. Und es kam ihm auch wieder in den Sinn, dass er es ihm immer gern gleich getan hätte, wenigstens ein bisschen - und dass er kein Mietling hatte werden wollen. "Mietling" ... Was war er eigentlich heute? Kümmerte er sich um seine Mitmenschen? Eigentlich hatte er immer gern seine Ruhe gehabt! Seit bald 30 Jahren war er in der Firma, aber mit manchen, die er täglich sah, hatte er noch nie ein Wort gewechselt. - In den Wochen nach der Beerdigung ging eine Wandlung mit Markus vor. Er fühlte sich dabei selbst eher wie ein Beobachter. Es war, als hätte ein anderer sein Leben in die Hand genommen: Er fragte mittags, ob er sich zu Kollegen am dem Tisch setzen durfte, mit denen er noch nie gegessen hatte. Und er wechselte auch alle paar Tage die Tische, an denen er sich niederließ. Er fragte auch so dies und das und sprach nicht nur über das Wetter und die Wirtschaftskrise. Und so mancher Kollege erzählte von sich. Wie es ihm ging und was ihn ärgerte. Manchmal erfuhr Markus in einer Mittagspause fast ein ganzes Leben! Nach und nach fragte er auch einmal zurück und sprach auch von sich. Mit der Zeit veränderte sich auch die Beziehung zu den anderen Menschen. Es war auf einmal ehrliches Interesse bei ihm daran, ob die Tochter des Kollegen die Lehrstelle bekommen hatte oder der Sohn eines anderen beim Hausbau vorankam. Und er genoss es auch, dass die anderen sich nach ihm erkundigten. In dieser Zeit nahm Markus auch wieder Kontakt zu seiner Kirchengemeinde auf. Was der Pfarrer am Sonntag predigte war ihm immer wieder ein Ansporn, auf dem neuen Weg zu bleiben: Mehr Anteil am Leben, am Glück und Leid anderer zu nehmen. Inzwischen kann er selbst gar nicht mehr verstehen, dass er sich einmal von anderen so zurückgezogen hatte. Er hat entdeckt, wie viel Freude auch darin liegt, sich um die anderen Menschen zu kümmern und mit ihnen im Austausch zu bleiben. Und er wundert sich, dass ausgerechnet eine Beerdigung ihm den Anstoß gegeben hat, sich zu einem ganz neuen Leben aufzumachen.

Liebe Gemeinde, guter Hirte oder Mietling? Gott sei Dank, alles ist offen. Niemand ist für immer festgelegt. Wir können uns entwickeln, verändern ... Noch heute kann es beginnen, dass wir füreinander werden, was Jesus Christus für uns alle ist: Der gute Hirte! AMEN