Predigt am 18. So. n. Trinitatis - 29.9.2002

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Textlesung: Eph. 5, 15 - 21

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und nutzt die Zeit; denn es ist böse Zeit. Darum seid nicht töricht, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern laßt euch vom Geist erfüllen. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde!

Ich habe selten so lange gezögert wie bei dieser Predigt, bevor ich sie aufgeschrieben habe. Mir scheint das, was ich ihnen heute weitersagen möchte, sehr hart, sehr direkt und sehr persönlich. Ich fürchte, es wird eine Predigt, die hart an die Schmerzgrenze reicht. Andererseits will ich Gedanken äußern, die wichtig sind, die helfen wollen - in einem Bereich, in dem viel auf dem Spiel steht, ja eigentlich alles! - Darum wage ich es jetzt, sie so anzusprechen:

"Seid nicht dumm! Seid klug! Nutzt die Zeit, die euch bleibt, denn die Tage sind böse! Seid nicht töricht, sondern begreift endlich, was der Wille des Herrn ist!" Das ist der Predigttext für heute, etwas freier übersetzt. Seid nicht dumm, liebe Hörer, Du, Du und Du...

Ich glaube, viele sind dumm. Vielleicht auch unbedacht, träge, leben so in den Tag hinein, verstehen einfach nicht, worum es geht in diesem Leben, verstehen aber sehr viel von unnützem Kram, von Äußerlichkeiten, von Sachen zum Kaufen, von Dingen, die vom Eigentlichen doch nur ablenken: Was wird es Gott einmal interessieren, ob du jedes Spiel deines Fußballvereins gesehen hast? Was wird Gott einmal dazu sagen, daß du an Erntedank wirklich nur zwei Euro für die Hungernden in der Welt übrig hattest? Wie wird bei ihm dein sonntäglicher Frühschoppen und dein Mangel an Interesse für sein Wort die ganze Woche über ankommen? Wie soll sich Gott über das bißchen Dank freuen können, das du ihm opferst, der Gott, der dir doch alles gegeben hat: Dein Leben, deine Nahrung, Kleidung, Begabung, alle Liebe, die du erfährst, all deine Güter, Vergebung deiner Schuld in Jesus Christus, jeden Tag einen neuen Anfang, ewige Heimat in seiner Nähe...und noch so viel mehr!

Zugegeben: Wir haben es schwer, das wirklich Wichtige, das wahrhaft Entscheidende nicht aus den Augen zu verlieren. Was gaukelt uns etwa die Zeitung vor, was wesentlich wäre?: Die Reise des Kanzlers nach irgendwo. Die Börsenkurse auf dem Aktienmarkt. Die Lebensmittelpreise. Der erste Film von...., der Thronfolger des englischen Königshauses und so vieles mehr, von dem du nicht leben kannst und vor allem nicht sterben. - Oder die Massenmedien, besonders das Fernsehen: Schlager in der Hitparade, heute ganz oben, morgen vergessen; Unterhaltung, die keine Fragen nach dem Lebenssinn aufkommen läßt, vielmehr einlullt; seichte Shows, die den Eindruck erwecken, das Leben kenne nur Glanz und Flitter. Und unsere Alltagsgespräche: Wo sprechen wir uns auf unseren Glauben an? Wo ringe ich mit meinem Ehepartner, oder anderen Mitbewohnern meines Hauses um die Fragen nach Sinn, nach dem Heil in Christus? Wo hat in der letzten Woche auch nur einer an mir gespürt: Der redet von seinem Christentum her, dem liegt daran, daß auch andere von seiner Mitte, seinem Herrn erfahren?

Das alles muß man beklagen. Da ist etwas eingerissen unter uns Christen im "Christlichen Abendland", das ist einfach erschreckend - aber es erschrickt eigentlich keinen mehr, und das ist vielleicht das Schlimmste: Wir merken's gar nicht, wie - im wahrsten Sinne des Wortes - gott-los unsere Zeit ist, wie wenig Raum wir ihm lassen, dem Schöpfer, dem Erhalter, deinem Heiland, unserem Richter... Die Tage sind böse, so heißt es. Ich denke, sie sind entartet, aus jeder Ordnung gefallen, sie drehen sich nicht mehr um ihren Mittelpunkt, ja, unser Leben kreist um Kram, um Sachen, um Zerstreuung, Vergnügen, oberflächlichen Genuß - nur nicht um Gott, seinen Ursprung und Vollender. Deshalb gerät uns das Leben auch aus den Fugen und eilt plan- und ziellos auf sein Ende zu, ja, es ist oft schon eigentlich zuende, während wir noch am Leben sind: Kein Wachstum, bringt es mehr hervor, keine Entwicklung, keine Veränderung, keine Frucht. Unser Leben hat seine schöpferische Kraft verloren, weil es seine Mitte, den Schöpfer, verloren hat.

Liebe Gemeinde, ich nehme an, sie versuchen diese schmerzhaften Gedanken mitzudenken, vielleicht konnten sie das sogar annehmen, dazu ja sagen und möchten sich heute vornehmen, für sich diesem Gott, der uns gemacht hat, mehr Raum und Beachtung zu schenken? Und das ist ja auch nicht hoffnungslos! Wie viele Möglichkeiten haben wir, das Steuer unseres Lebensschiffes herumzureis-sen: Wäre das wirklich zu viel, wenn du dir schon morgen früh eine kleine Weile der Stille einrichtest? Fünf Minuten Bibellese, die Losung des Tages, ein kurzes Gebet...? Und das hast du doch in der Hand! Wer will dich daran hindern, es morgen schon so zu halten? Die Gewohnheit, die keine fünf Minuten Zeit läßt? Was ist es, fünf Minuten früher aufzustehen, und wieviel Segen und Bereicherung kann von dieser stillen Zeit ausgehen! Die Mitarbeit in der Gemeinde, in ihren vielen Kreisen fällt mir noch ein. Auch die Teilnahme an unserem Bibelkreis oder der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes - nicht nur zu den Festtagen! - sind Möglichkeiten gegenzusteuern, gegen den Trend unserer Zeit, gegen den Sog einer Wirklichkeit, die Gott einfach nicht mehr wahrnimmt, die ihn ausklammert, totschweigen will und armseligen Ersatz als Götzen anbietet. Ich glaube, wir müssen das einfach einmal sehen und begreifen, wie weit sich unsere Welt und wir selbst von Gott entfernt haben, wie sehr verstrickt in diesen Prozeß der Verdrängung Gottes und seines Willens wir selbst sind und wie gedankenlos wir hinnehmen und fördern, was Christen nicht hinnehmen und schweigend dulden dürfen!

Daß sie mich recht verstehen, liebe Gemeinde: Ich bejammere nicht unseren Gott. Nicht um seinetwillen beklage ich unsere Gottesferne. Ich habe keine Angst, daß er nicht doch am Ende sein Reich auf dieser Erde errichten wird. Ich habe aber Angst, daß wir nicht dabei sein werden! Ich klage über uns selbst, wenn wir sein Angebot nicht wahrnehmen. Ich bejammere dich und mich, wenn wir die Zeit nicht nutzen, die wir haben, für unseren Gott und unseren Nächsten zu leben. Wer sind wir, daß wir Gottes Willen aufhalten könnten? Wer sind wir, daß unser Wollen oder unser Weigern das Kommen seiner neuen Welt unterdrücken könnten? Wer sind wir, daß wir es in der Hand hätten, dieser Erde ihr Ziel zu setzen oder zu nehmen? Aber welche Chance ist das auch: Dabeiseindürfen! Dieses Angebot gemacht zu bekommen: Die Jahre nicht sinnlos zu vertun, keine Stunde zu vergeuden, Fülle und Inhalt in seine Tage zu bringen, der Verheißung eines ewigen Lebens gewiß sein dürfen...
Liebe Gemeinde, ich habe mir die persönlichsten Fragen, die härtesten Gedanken bis zum Schluß dieser Predigt aufgehoben: "Seid nicht dumm, sondern begreift endlich, was der Wille des Herrn ist!" So hieß es vorhin direkt genug. Fahren wir mit dem Predigttext fort: Nutzt die Zeit, die euch bleibt! Ich frage mich und möchte jeden hier fragen: Wie oft in unserem Leben haben wir diese Gedanken nach Gott und seiner Bedeutung für uns schon vertagt? Wie oft haben wir schon gesagt: Später, wenn ich erst das Haus gebaut habe, wenn ich erst meinen Platz in der Welt gefunden, wenn ich erst die Pensionierung hinter mir habe... Und wie oft, lieber Zuhörer, hast du es schon erlebt, daß dieser oder jener Termin verstrichen ist, ohne daß etwas geschah, ja, ohne daß sich auch nur die kleinste Veränderung eingestellt hätte? Nutzt die Zeit, die euch bleibt! Weißt du, wie viele Male dir Gott noch einen neuen Anfang schenkt? Weißt du, wie oft er dir noch Zeit läßt, ihm bei dir den Raum zu geben, der ihm als Schöpfer zukommt? Weißt du, wann für dich der "Zug abgefahren", die Chance verpaßt und die Tür endgültig verschlossen sein wird?

Nein, ich will keine Angst machen, vielmehr Mut und Hoffnung: Denn wir haben noch Zeit! Wir können noch begreifen! Wir dürfen noch anfangen! Und wenn es heute wäre.