Predigt am 16. So. n. Trinitatis - 15.9.2002

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Liebe Gemeinde!
Heute möchte ich ihnen ein wenig praktisches Wissen weitergeben. Und - wie könnte es anders sein - geht es um die Predigt im Gottesdienst. Was ich ihnen da sage, kommt wohl in den meisten Gemeinden auch im Konfirmandenunterricht vor. Darum lade ich jetzt auch unsere KonfirmandInnen ein, recht gut zuzuhören:

Es gibt sechs Reihen von Predigttexten, sie "halten" sozusagen immer für sechs Kirchenjahre...dann beginnt es mit der ersten Reihe der Texte wieder von vorn. Wir sind jetzt gerade ganz am Ende der sechsten, also der letzten Reihe. Da kann man sich vielleicht ja denken, daß da ganz am Schluß der rund 350 vorgeschlagenen Texte, die mehr oder weniger unbekannten, ja vielleicht auch unbedeutenden Stücke der Bibel dran sind. Genau wie am Anfang, in der ersten Reihe so wichtige Geschichten wie "Der barmherzige Samariter" oder die "Stillung des Seesturms" stehen. Um so erstaunter war ich - und damit kommen wir zurück zur heutigen Predigt - als ich den für heute vorgesehenen Predigttext gelesen habe. Es sind nur drei Verse, aber ich finde sie so wesentlich, daß ich sie in die erste Predigttextreihe setzen würde. Hören wir uns diese Verse einmal an:

Textlesung: Hebr. 10, 35 - 36 (37 - 38) 39

Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm« (Habakuk 2,3-4). Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.

Besonders dieser Vers hat es mir angetan: Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Die Mahnung zur "Geduld" ist mir daran so wichtig. Manchmal meine ich, die Ausdauer, das "bei der Sache bleiben", der lange Atem im Glauben wäre noch bedeutsamer - gerade heute! - als der Glaube selbst. Ich möchte drei oder vier Beispiele aus dem Leben erzählen, um zu erklären, wie ich das meine:

Da ist ein junges Mädchen, zwei Jahre ist sie schon konfirmiert. Der Konfirmandenunterricht damals hat ihr etwas gegeben. Sie hat sogar zum Glauben gefunden, das hat sie selbst gesagt. Jesus, seine Art zu leben und was er für uns alle getan hat, das hat ihr imponiert. Sie möchte die Verbindung zur Kirche und zu ihrer Gemeinde nicht abreißen lassen. Irgendwie ahnt sie, wenn sie das nicht mehr schafft - hin und wieder den Gottesdienst zu besuchen - dann wird bald der Kontakt zur Gemeinde und zur Sache Jesu verloren gehen. Und auch ihr Glaube ist dann gefährdet, das spürt sie. Sie weiß, ihre Geduld und Ausdauer sind gefordert. Sie weiß, wenn sie jetzt nachläßt, dann steht viel auf dem Spiel: Der Glaube, das Vertrauen zu Gott und ein gutes, erfülltes Leben an seiner Hand. Geduld braucht sie, Ausdauer, langen Atem!
Da ist ein älterer Mann. In letzter Zeit hat ihn das Schicksal in eine harte Schule genommen: Der Lebensgefährte ist ihm gestorben und die Einsamkeit wird ihm oft unerträglich. Er ist noch nicht so weit: Er ist längst noch nicht "drüber weg", wie man so sagt. Und er bekommt das nicht mit dem "gütigen Vater im Himmel" zusammen, an den er ja glaubt. So ist er drauf und dran zu verzweifeln. Ja, er ist wirklich in großer Gefahr, seinen Glauben aufzugeben und sein Inneres abzuschließen gegen alle Einflüsse und auch allen Trost Gottes. Ihm will der Glaube ausgehen, weil er nicht mehr geduldig sein kann und keine Ausdauer mehr aufbringt. Das Dunkel, durch das er hindurchmuß, ist zu lange für ihn. Hoffnung brauchte er, daß am Ende des Tunnels wieder Licht ist. Langen Atem brauchte er!

Und da ist ein Mann in der Mitte des Lebens. Er kommt aus einem "frommen Elternhaus", wie man das nennt. Der Glaube an Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, war ihm einmal Mittelpunkt seines Lebens. Der Gott, der klein und ohnmächtig wird, um nur durch seine Liebe die Herzen der Menschen zu gewinnen, war ihm einmal begreiflich, war...

Nun hat er selbst so viel erreicht im Leben. Und er hat gelernt, worauf es in dieser Welt ankommt, wenn man hochkommen will. Daß man Macht braucht, Beziehungen, daß man am längeren Hebel sitzen muß, will man nach oben und will man oben bleiben. Ja und da paßt ihm jetzt sein Glaube an den Herrn, der ohnmächtig sein wollte, nicht mehr hinein. Er ist in großer Versuchung, das gar als Dummheit zu betrachten, daß einer, der Gewalt hätte ausüben könnte, darauf verzichtet hat. Dieser Mann brauchte Zeit, sich neu zu besinnen. Er müßte seine ganze Orientierung verändern. Er müßte sich neu ausrichten. Dazu brauchte er Geduld, langen Atem.

Und dein und mein Beispiel könnte ich noch erzählen: Wo's unser Glaube an Gott schwer hat oder hatte...wie du damals so krank gelegen hast und deinen Gott und seinen Willen nicht mehr verstehen konntest, wie dir neulich diese Sache passiert ist, die dir so wehgetan hat und an deren Folgen du heute noch leiden mußt und auch, was mir immer wieder einmal fragwürdig und zweifelhaft ist, an der Botschaft, die ich verkündigen soll, fällt mir jetzt ein... Wir alle waren schon einmal in einer Lebenssituation, wo uns besonders diese Dinge nötig waren: Geduld, Ausdauer, langer Atem!

Ich finde das schon einmal sehr wohltuend, daß in der Bibel Menschen wie wir vorkommen und ihren Platz haben, Leute also, die keine unerschütterlichen Glaubenshelden sind, denen man vielmehr immer wieder Mut zum Durchhalten machen muß: Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Doch, ich finde das schon viel, daß wir ja sagen dürfen zu uns, so wie wir sind: Eben angefochten, feige, manchmal drauf und dran unseren Glauben fahren zu lassen, ängstlich, ohne Hoffnung, verzweifelt... Mit Leuten wie uns wird in der Heiligen Schrift gerechnet. Ja, wenn wir noch auf das Beispiel Jesu sehen, dann dürfen wir sagen: Es ist ganz und gar keine Schande, wenn wir auch einmal verzagt sind, auch einmal Furcht haben, auch einmal die Hoffnung verlieren. ER war auch einmal so weit in Gethsemane: "Vater, ist's möglich, so laß diesen Kelch vorbeigehen..." Und noch tiefer hinunter mußte er auf Golgatha: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Doch - wir dürfen - auch als Christen - einmal so tief unten sein, daß uns der Glaube ausgehen möchte. Unser Herr selbst mußte da auch hindurch.

Aber, liebe Gemeinde, genau darin liegt auch der stärkste Trost in aller Anfechtung: Der Herr, der menschgewordene Gott, ist selbst in alles Leid dieser Welt hinabgestiegen. Er hat allen Kummer erduldet, der nur je auf uns warten mag. Er hat jedes Kreuz getragen und kennengelernt, das wir nur je schleppen müssen. Wir sind also niemals allein mit unserem Leid. Wir sind nicht ohne Hilfe, wenn wir Kummer haben. Wir stehen mit unserem Kreuz nicht ohne seinen Beistand da. Und selbst am Rande der Verzweiflung ist er noch da und hält uns - wir dürfen uns darauf verlassen!
Liebe Gemeinde, ich glaube, so gewinnen wir Geduld und Ausdauer: Ja sagen zu allem Schweren, was uns betrifft und uns den Mut nehmen will. Ja, zu allen Anfechtungen, allen Fragen und Zweifeln, die uns kommen mögen. Christen sind keine Übermenschen. Christen sind nicht stärker als die andern, die keine Hoffnung haben. Christen wissen aber, daß ihr Herr auch in der Not, in Leid, in der Krankheit, beim Sterben und allem, was uns sonst schwer wird, an ihrer Seite ist. Daß er hindurchhilft und uns nicht fallenläßt.

Wie viele Menschen haben mir schon erzählt, wie deutlich sie die Nähe des lebendigen Herrn gespürt haben, als es ihnen so schlecht ging und sie meinten, die Welt ginge über ihrem Leid und ihren Schmerzen unter. Im Leiden selbst schenkt uns Gott Ausdauer und bewahrt uns den Glauben.

Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Wir sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.

Ich wünsche ihnen allen, dann wenn sie es am nötigsten haben, Geduld, Ausdauer, langen Atem und diesen Glauben.