Predigt am 15. Sonntag n. Trinitatis - 8.9.2002

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Textlesung: 1. Mos. 2, 4 - 15
Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land.

Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.

Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.

Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme. Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila, und dort findet man Gold; und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.

Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaute und bewahrte.

Liebe Gemeinde!

Alle Texte dieses Sonntags, die für die Predigt, die Schriftlesung, der Wochenspruch, der Eingangspsalm und auch das Wochenlied haben mit dem einen Thema zu tun: Gottes Sorge und Fürsorge für uns. Hier - in der Geschichte vom Garten Eden - geht es sozusagen um die Urgeschichte dieser Fürsorge Gottes für seine Schöpfung: Das Paradies soll die Heimat des Menschen sein, dort soll es ihm an nichts fehlen, dort soll er sich wohlfühlen und für immer glücklich und versorgt sein.

Damals ist es der Ungehorsam der Menschen, der alles zerstört. Bald wird auf dem Baum des Lebens die Schlange ihren Auftritt haben. Die Menschen werden das tun, was sie nicht sollen. Gott wird sie aus dem Paradies vertreiben und den Engel mit dem Schwert davorstellen, daß sie nie mehr zurückkehren so lange sie leben.

Aber bleiben wir im Garten Eden! Noch ist ja alles in guter Ordnung. Der Garten ist schön. Alles ist da, was der Mensch zum Leben braucht: Bäume, "gut davon zu essen". Genügend Wasser, sie zu befeuchten. Gott ist da - ganz in der Nähe: er setzt den Menschen ins Paradies, es zu bebauen und zu bewahren - und wie wir bald erfahren, geht Gott selbst in der Abendkühle in seinem Garten spazieren. Fragt man da nicht, warum die Menschen das alles aufs Spiel setzen? Was liegt an der "Erkenntnis von Gut und Böse", daß sie dafür alles gefährden und schließlich alles verlieren?

Nein, man kann das nicht verstehen. Es ist und es bleibt ein Rätsel. Warum nur hat der Mensch alles leichtfertig vertan und verspielt...damals...

Wie ist das bei uns, heute? Es ist kein Paradies, in dem wir beginnen - oder doch? Immerhin leben wir auf der reichen Seite des Erdballs. Von Anfang an geht es uns besser, als den meisten anderen der sechs Milliarden Menschen, die den Erdkreis bewohnen. Wir haben in die Schule gehen, einen Beruf lernen dürfen und haben eine Arbeit, die uns ernährt. Und selbst wo das anders war, hungern mußten wir - wenn wir den Krieg nicht miterlebt haben - wahrscheinlich nie. Und wir sind aufgewachsen in einem Land, in dem wir, wenn wir krank oder behindert sind, immer noch aufgefangen werden in einem Netz der Versorgung und der Fürsorge. Leben wir also nicht doch - zumindest gemessen an rund ¾ der Weltbevölkerung in paradiesischen Umständen? Und müssen wir das - wenn wir Christen sind - nicht immer auch zusammenbringen mit der Sorge Gottes für uns, mit seiner Liebe, die uns vor so vielen anderen bevorzugt und mit guten Gaben überschüttet hat?

In welchem Baum windet sich bei uns die Schlange? Warum gefährden wir unser Paradies?

Es ist nicht die "Erkenntnis von Gut und Böse", die uns reizt. Nein, wir wissen längst, was wir sollen und was gut für uns wäre. Aber wir tun es nicht! Wir suchen - gerade wie die ersten Menschen - immer noch genau das, was uns verboten ist, was wir nicht tun sollen, was Gott sich vorbehalten hat und woran der Mensch nicht rühren soll. Aber ich will deutlicher sprechen:

Wir wissen, daß Gott uns versorgen will. Wir wissen, daß wir ohne ihn nichts tun können. All unser Leben kommt von ihm her. Unser Leib, unsere Seele - aus seiner Hand hervorgegangen. Wir vermögen nichts ohne ihn, wir sind nichts, wenn er uns fallen läßt. Wir wissen das alles mit unserem Kopf, und unsere Ohren haben sein "Sorget nicht!" wohl gehört. Und doch wollen wir unser Leben selbst machen! Wir schaffen und schuften dafür, unsere Habe zu vergrößern, unseren Besitz zu mehren, unseren Einfluß auf die Menschen zu steigern, Sicherheit zu gewinnen... Und wir kennen doch Gottes Gebot genau: Ihr sollt euch auf mich verlassen, ihr sollt mir vertrauen, ich ernähre euch, ich halte euch im Leben und selbst im Sterben. - Da flüstert uns die Schlange zu: Sollte Gott gesagt haben...?

Und wir wissen auch, daß Gott einen Tag gemacht hat, der uns zur Besinnung auf ihn dienen soll. Einen Tag zum Innehalten, zum Wahrnehmen, wo ich bin und wohin ich gehen möchte, gehen soll... Einen Tag auch, der mich zurechtbringen kann, wenn ich mich auf bösen Wegen verlaufen habe, der mir in Stillewerden und im Hören auf Gottes Wort das Ziel meines Lebens neu vor Augen stellen möchte. Aber wir vergeuden oft genug diesen Tag. Wir arbeiten auf, was in der Woche liegen geblieben ist. Wir nutzen die Freiheit, die uns der Sonntag schenkt, nur für uns allein, nicht für die Menschen, die neben uns leben. Wir kommen nicht zur Ruhe, schon gar nicht zum gesammelten Hinhören auf das, was Gott will. Wir schlagen die Stunden tot und sie bringen uns nicht näher zu Gott, schon gar nicht zurück zu ihm, wenn wir uns von ihm entfernt haben. Und wo das alles für uns hier nicht zuzutreffen scheint, wir setzen uns doch alle viel zu wenig in unserer Familie und Umgebung dafür ein, daß die Menschen, die zu uns gehören, den Sonntag wieder achten, sein Geschenk der Stille und der neuen Ausrichtung nutzen, den siebten Tag "heiligen", wie es Gottes Gebot verlangt. Und hier spricht uns auch nicht der Gedanke frei, daß jeder schließlich "nach seiner Facon selig werden muß"! Denn wir sehen wohl, wie sehr wir selbst die Ruhe und Besinnung brauchen - und wir nehmen sie uns doch nicht. Und wir erfahren es täglich, wie haltlos und ohne Sinn auch die Menschen in unserer Nähe durchs Leben gehen - und wir wagen doch nicht, sie auf Gott, auf den Glauben oder auch nur das Angebot des Sonntags anzusprechen.

Und schließlich, um nur noch dies zu nennen, wissen wir, daß wir - wie schon die ersten Menschen - einen Auftrag in dieser Welt bekommen haben, eine Aufgabe von Gott, die wir erfüllen sollen und mit seiner Kraft auch können. Hat Adam noch gehört: Du sollst den schönen Garten bewahren und bebauen, so sagt Gott zu uns vielleicht: Dir habe ich die Gabe geschenkt, andere zu trösten und ihnen zu einem glücklicheren Leben zu helfen. Oder: Dir ist gegeben, anderen Freude zu machen, sie zur Gemeinschaft zusammenzuführen und ihre Einsamkeit zu vertreiben. Und wieder anderen hat Gott vielleicht dies aufgetragen: Verantwortung für die zu übernehmen, die das selbst nicht vermögen, die zu begleiten, die durch Leid oder Trauer mit ihrem Leben allein nicht zurechtkommen, solange mit ihnen zu gehen und sie zu stützen, bis sie wieder eigene, kräftigere Schritte machen können. Wir aber haben oft genug auf die Schlange gehört, die uns von Selbstverwirklichung spricht und davon, daß jeder sich selbst der Nächste und seines eigenen Glückes Schmied wäre.

Aber auch hier wissen wir es: Gott hat uns nicht allein für uns selbst gemacht. Wir sind für die Gemeinschaft geschaffen! Und das ist mehr als unsere Ehe, unsere Partnerschaft und mehr auch als unsere Familie! Das beste Bild für das Leben, das Gott gemeint hat, ist gewiß der Leib und seine Glieder oder in seinem übertragenen Sinn Jesus Christus und die Gemeinde. Dort nämlich - und nur dort - ist die Liebe zu haben und zu erfahren, die auch dann noch gilt und trägt, wenn unser Partner nicht mehr bei uns ist und unsere Familie sich auflöst, dort nämlich sind die Worte zu hören, die nie vergehen und die Liebe zu spüren, die niemals endet.

Liebe Gemeinde, noch einmal: Wie ist das bei uns? Warum gefährden wir unser Leben im Paradies, in dem wir bei ehrlicher Betrachtung doch wirklich leben dürfen? Es gibt viele Gründe dafür. Alle haben ihren tiefsten Grund darin, daß wir allein unser Leben im Sinn und im Blick haben, es allein, ohne Gott und die Mitmenschen machen wollen. War die Einflüsterung der Schlange bei den ersten Menschen noch die Versuchung, Gut und Böse zu erkennen, so heißt sie heute: Unsere Bestimmung und Aufgabe in der Gemeinschaft der Menschen zu vergessen und sich ins eigene Leben zurückzuziehen. - Aber die Chancen stehen gut, daß wir nein sagen und der Schlange nicht folgen:

Immer noch leben wir wie im Paradies, wenn wir unsere Lebensbedingungen mit denen so vieler anderer Menschen auf diesem Globus vergleichen. Und wir wissen, was unser Auftrag, unsere Aufgabe von Gott ist oder wäre! Schließlich haben wir unsere Gemeinde, in der wir Gottes Sorge und Fürsorge für uns ganz besonders deutlich spüren und erfahren, in der wir auch dem Sonntag seinen besonderen Sinn geben, sein Wort hören und den Menschen begegnen können, an die uns Gott gewiesen hat und die gerade uns und unsere Gaben brauchen.