Predigt zum Sonntag "Exaudi" - 12.5.2002

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Liebe Gemeinde!

Das sind wunderbare, große, ja gewaltige Worte, die uns für diesen Sonntag zum Hören verordnet sind. Sie sind aber auch schwer zu fassen! Und sie enthalten eine große Fülle von Gedanken. Für alle ist gar kein Platz in dieser Predigt! Also wollen wir uns beschränken: Auf einen Satz ziemlich in der Mitte dieser Verse. Der ist schon groß genug! Aber hören wir einmal diesen ganzen schönen Text:

Textlesung: Röm. 8, 26 - 30

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Was mich besonders angesprochen hat, war dieses Wort: Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen... Das faßt man wirklich nicht im Nu! Oder man sagt es so dahin: Gewiß, alles was geschieht, wird schon einen Sinn haben, wird am Ende gut ausgehen, Gott wird schon wissen, warum er uns dies und das schickt, warum dieses oder jenes passiert. Aber glauben wir das auch noch, wenn es uns selbst widerfährt? Können wir uns das noch sagen, wenn es wirklich ganz schlimm, ganz unbegreiflich und schrecklich ist? Und vor allem: Tröstet uns dann dieser Gedanke noch?

Das muß man wohl einmal ganz konkret und deutlich sagen: Wenn uns Gott ein Kind nimmt, es in der Blüte der Jahre sterben läßt durch Krankheit oder Unfall... Oder wenn unser Partner, den wir als gesunden und vitalen Menschen geheiratet haben, plötzlich durch ein schweres, vielleicht unheilbares Leiden behindert ist und zum Pflegefall wird. Oder wenn uns die Liebe unseres Lebens verläßt, wenn unsere Partnerschaft zerbricht und Kinder nicht mehr wissen, zu wem sie gehören. "Wir wissen aber, daß uns alles zum Besten dienen muß..." Wissen wir das wirklich???

Manchmal nehmen wir dann unsere Zuflucht zu Gedanken und Floskeln, die dann halt dran sind: "Gott weiß, wozu es gut war!" - "Vielleicht ist unserem so früh verstorbenen Kind ja schwereres Schicksal erspart geblieben!" - "Wenn es Gottes Wille ist, dann müssen wir das halt tragen!" Vielleicht kommt uns auch ganz tief drinnen die Ahnung, Gott wollte uns mit dem strafen, was er uns auferlegt? Vielleicht sprechen wir dann von einem "Wink" Gottes, der uns zurechtbringen sollte?

Alles das ist sicher nicht auszuschließen: Ich weiß ja wirklich nicht, was meinem Kind, das Gott hat sterben lassen, noch alles geschehen wäre, hätte sein Leben länger gedauert. Und gewiß ist "alles Gottes Wille und er weiß, wohin er uns damit führen will". Und selbst das stimmt: Gott kann auch strafen und er will auch zurechtbringen und er gibt manchmal - Gott sei Dank! - einen "Wink"! Aber, wissen wir darum, daß uns alle Dinge zum Besten dienen müssen? Und glauben wir das wirklich? Und können wir von daher alles bejahen und annehmen, was uns geschieht?

An dieser Stelle der Predigt wollte ich eigentlich eine Geschichte erzählen, eine, die vorführt, wie ein ganz schlimmes Schicksal zum Schluß noch eine günstige Wendung genommen hat. Aber das bestreitet ja eigentlich niemand, daß es so etwas gibt. Die Frage ist ja doch: Wird mein vielleicht schlimmes Geschick noch diese Wendung kriegen?

Oder ich hätte ihnen gern ein Beispiel dafür gegeben, daß ein Mensch selbst sein Unglück oder gar den Tod aus Gottes Hand nehmen konnte und darin doch einen guten Sinn erkannt hat. Aber auch das glauben sie ja sicher, ohne daß ich eine Erzählung von einem anderen Menschen bemühe. Denn das ist es doch: Alle Geschichten, die ich erzählen könnte, blieben uns doch immer fremd, wären nicht unsere Geschichte, nicht die Beschreibung unseres Leids, nicht gerade unser schlimmes Geschick! Denn das meinen wir ja auch immer: Uns ergeht es besonders hart! Wir sind noch viel schwerer geschlagen, als viele andere! Darum fällt es gerade uns so schwer, einen Sinn in unserem Leid zu entdecken! Und ganz und gar unmöglich erscheint es uns, daß in dieser Welt irgendeine Rechnung offen bleiben könnte: Krankheit, Leid, Behinderung müssen ihren Ausgleich finden! Guttaten, Liebe, aufopfernde Pflege müssen belohnt werden! Das kann, das darf nicht sein, daß einer stirbt, ohne daß er noch die Frucht seiner Mühe um die Mitmenschen geerntet hat! Und umgekehrt: Das können wir nicht verstehen, ja, es nährt unseren Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes, wenn einer dieses ganze Leben über nur Behinderung oder Not tragen muß oder wenn ein Leben vorbei ist, noch ehe er oder sie richtig zu leben begonnen hat. - "Wir wissen aber, daß denen die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen..." Noch einmal: Wissen wir das wirklich?

Es ist vielleicht hilfreich, wenn wir hier doch den ganzen Vers hören, auch noch seinen Rest: "...denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind." Ich will jetzt sicher nicht auch noch über diese schwierige Sache reden, ob nur einige Menschen "berufen" sind und andere sozusagen von vornherein nur wie Statisten durch diese Welt gehen, ohne daß sie eine Chance hätten, Gottes Reich zu sehen. Darüber wollen wir ein andermal nachdenken. Aber, wichtig ist doch das: Es geht um eine "Berufung"! Es steht also noch etwas aus - und mehr als dieses Leben! Und wenn wir uns noch ein wenig weiter in diesen Worten umschauen, die wir vorhin gehört haben, dann entdecken wir noch andere Hinweise: Von Christus als "dem Erstgeborenen unter vielen Brüdern" ist da die Rede. Wofür sollte Christus "zuerst geboren" sein, wenn nicht für die Auferstehung, für Gottes neue Welt? Und von "verherrlicht" wird hier gesprochen. Was sollte diese "Herrlichkeit" anderes sein, als das Ewige Leben, von dem wir im Glaubensbekenntnis zeugen? Und die "Heiligen" werden hier genannt und es sind Christen wie du und ich gemeint, aber eben Gott geheiligte Menschen, die er dem Tod nicht überlassen wird, die er vielmehr für immer in seiner Nähe haben will.

Vielleicht wird jetzt deutlich, daß unsere Sicht meist zu kurz ist, wenn wir solche gewaltigen Worte hören: "Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen..." Dabei nur auf dieses Leben zu schauen, ist zu wenig! Nun die Spanne zwischen Geburt und Tod zu wägen, mit ihr zu rechnen und Gut und Böse darin zu verrechnen, ist zu wenig! Wir sind "berufen" zu einem ewigen Leben. Wir haben eine unaussprechliche "Herrlichkeit" vor uns. Wir sind Gott "heilig", er läßt uns nicht in die Verlorenheit fallen!

Liebe Gemeinde, eigentlich müßten wir endlich anfangen, unser Leben, auch das, was wir an anderen erfahren, vor diesem Hintergrund der Ewigkeit zu sehen. Das ergibt ein anderes Urteil, wenn ich beim Tod eines Menschen den Strich ziehe und die Summe darunterschreibe, oder wenn ich die Rechnung in eine herrliche Zukunft hinein offen lasse!

Ich weiß wohl, unsere so diesseitig orientierte Welt, macht es uns schwer, dieses zukünftige Leben in unser Denken einzubeziehen. Gottes neue Welt spielt ja einfach keine Rolle mehr in den gesellschaftlichen Bezügen, in denen wir stehen. Wo wird denn heute - außer in den Kirchen vielleicht - von der herrlichen Aussicht gesprochen, auf die wir Christen uns freuen dürfen? Und wo - außer beim Abschied an den Gräbern - lassen wir diesen Gedanken wirklich in uns eindringen, daß wir ihn ernstnehmen, daß wir uns ganz fest auf ihn verlassen, daß wir ihn - glauben?

So will ich jetzt diesen Vers noch einmal sagen und ihn dabei ganz klar und ausdrücklich vor den Hintergrund der Hoffnung stellen, die uns verheißen ist: "Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen..." Denn wir sind berufen, ewig zu leben. Wir sind Gott heilig, niemals wird er uns dem Tod überlassen! Wir sollen in einem Leben, das nicht enden wird, "verherrlicht" werden, wie schon Christus, der "Erstgeborene vieler Brüder" verherrlicht ist!

Spüren sie, wie das unser ganzes bisheriges Denken und Dünken verändert? Spüren sie, wie sich jetzt alles Leben, alles Leid und alle Behinderung in dieser Welt anders ansieht? Wenn eine Ewigkeit bei Gott aussteht, dann kriegt noch die schwerste Krankheit ein kleineres Gewicht! Wenn wir zu mehr als dieser Zeit zwischen Geburt und Tod berufen sind, dann wiegt die Spanne Leben, die nach unserem Gefühl meist "viel zu kurz war", viel leichter: Der Mensch, der so früh hat gehen müssen, hat doch jetzt eine große, herrlich Zukunft vor sich! Ja, man könnte es vielleicht sogar einmal so sehen: Nach nur so kurzer Erdenzeit schon verherrlicht! Kaum in dieser Welt leben müssen, und schon heimgehen dürfen! Aber, wie gesagt, das fällt uns schwer, so zu denken! Aber wir dürfen es! Wir sollen es! Das ist der Sinn dieses Verses: "Wir wissen, daß uns alle Dinge zum Besten dienen müssen!" Das Beste kommt noch! Wir sind berufen. Die Herrlichkeit bei Gott wird alles anders, vielleicht fad oder unwichtig erscheinen lassen, was uns hier so Gedanken macht, so beschäftigt und vielleicht ungerecht vorkommt.

Dieser Glaube ist nicht leicht. Er ist eine Zumutung. Aber er ist möglich und er ist wahr - er hat die sicherste Grundlage, die es gibt: Gottes Wort. Ich wünsche uns, daß wir das für uns ganz persönlich glauben können: Alle Dinge, die wir erleben, auch die schwersten, müssen uns dienen! Nichts und niemand kann die Verheißung zunichte machen: Wir sind für eine Ewigkeit bestimmt!