Predigt am Sonntag "Rogate" - 5.5.2002

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Textlesung: 2. Mose 32, 7 - 14

Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat.

Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, daß es ein halsstarriges Volk ist. Und nun laß mich, daß mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen. Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, daß er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und laß dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.

Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.

Liebe Gemeinde!

"Rogate" heißt dieser Sonntag, "betet"! Wir wollen das nicht aus den Augen und Ohren verlieren! Denn leicht ließe sich bei dieser Geschichte vom "halsstarrigen Volk Israel" auch über die Starre der Christen unserer Zeit reden. Und vielleicht würde ich - wenn wir hier von der Anbetung des goldenen Kalbs hören - ja auch gern über die Götter und Götzen unserer Tage sprechen, vor denen wir die Knie beugen...

Nein, es geht um das Beten, um die Macht der Fürbitte, die hier Mose für sein Volk übt. Und es geht darum, daß Gott durchaus auch von seinem Zorn ablassen will und sich umstimmen läßt - wenn wir es richtig anfangen. - Aber wie kann das geschehen?

Schauen wir zuerst einmal danach, wir wir bis heute meist beten, was wir vor Gott bringen, wie wir bitten und für andere vor Gott eintreten. Fragen wir also, wie wir das halten mit dem Gebet:

Da gibt es die Christen, die sehr vorsichtig und ganz bescheiden beten. Sie wollen - wenn sie die Hände falten - Gott sozusagen nicht stören. Er hat doch auch sicher genug mit den zahllosen anderen Menschen zu tun, die in viel größerem Leid sind, deren Anliegen viel wichtiger und deren Not viel bedrängender ist. Wenn ihre eigene Gesundheit nur leidlich gut ist, wenn ihr Lebensunterhalt gewährleistet und sie eigentlich zufrieden sein könnten...dann wollen sie von Gott ja gar nichts weiter verlangen. Aus dem Vorrecht, Gott wie ein Kind bitten zu dürfen, wird bei diesen Menschen die Erfüllung einer Pflicht. Aus der Verheißung, daß Gott auch erhört und Bitten erfüllen will, wird ein demütiges Zurücktreten hinter den anderen, die Gott doch viel nötiger haben. Statt sich nach den vorzüglichen Speisen am Tisch des Vaters zu strecken, sind sie mit einer Bettelsuppe zufrieden.

Aber es gibt auch die anderen, die Eiligen, die ungeduldigen Beter: "Gott, du mußt mir das gewähren!" - "Du kannst mich doch nicht länger im Unglück lassen!" - "Schon so lange warte ich auf deine Hilfe!" Und oft werden diese Gebete noch von einer kleinen Erpressung begleitet, die den Wünschen und Forderungen Nachdruck verleihen soll: "Wenn du jetzt nicht bald hilfst, dann will ich nicht mehr an dich glauben!" - "Da du dich ja doch nicht um mich kümmerst, werde ich mein Beten einstellen!" Aber auch mit vermeintlichen Gaben an Gott, wollen manche ihn beeinflussen und ihren Wünschen vorspannen: "Wenn du mir mein Anliegen erfüllst, dann hast du in mir deinen besten Kirchgänger gewonnen!" - "Nur dies eine Mal gib mir, was ich von dir möchte, dann werde ich ein besserer Mensch, du wirst sehen!"

Diese Christen sind nicht nur ungeduldig, sie versuchen nicht nur Druck auszuüben, sie sind auch zu eigennützig und bedenken nicht, daß ihr Schicksal verbunden ist mit dem vieler anderer Menschen, die genau wie sie Bedürfnisse und Wünsche haben, die vielleicht wie sie selbst genau dasselbe von Gott erbitten. Und unsere Not hat ja immer auch mit den Mitmenschen zu tun! Wenn einer um sein Wohl bittet, dann wird ein anderer vielleicht in Schwierigkeiten kommen. Das Glück des einen ist ja manchmal gerade die Not des anderen. Es ist oft wie in dem bekannten Beispiel: Der Tourist, der einen erholsamen Urlaub machen will, bittet um Sonnenschein, der Bauer wünscht sich Regen, daß die Ernte gerät. - Nicht daß wir Gott überhaupt nicht bitten sollen, aber alles und alle hängen miteinander zusammen. Das müssen wir auch sehen.

Schließlich gibt es noch jene, die ihr Beten aus dem einen oder anderen Grund lange schon aufgegeben haben: "Gott hört nicht", sagen sie. "Er ist taub und stumm." Oder sie drücken es so aus: Gott scheint abgereist, fern von mir und meinen Bitten. Warum also noch beten? Warum Zeit dafür verschwenden, ins Leere hinein zu rufen?

Und manchmal ist auch der Ärger, die Wut und die Verzweiflung über ein schweres Geschick oder ein Unglück beteiligt, das uns betroffen hat: "Mit einem Gott, der so etwas zuläßt, mit einem Gott, der mir so viel Trauer und Leid zufügt, will ich nichts mehr zu tun haben!"

Bei Mose lernen wir noch etwas anderes. Er spricht die Gefühle Gottes an. Er zeigt uns einen Weg, das Herz des Vaters zu erreichen. - Wie macht er das?

Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum setzen wir nicht auch einmal unser Flehen ein? Und warum sind wir uns denn zu gut, den "Vater" auch einmal anzubetteln, wie es die Kinder tun - und wie wir es in unserer Kindheit vielleicht selbst mit unserem menschlichen Vater getan haben?

Aber Mose hat geht noch weiter: Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, daß er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden?

Hier wird doch sogar Gottes Stolz angesprochen! Mose tut, als stünde hier Gottes Ehre auf dem Spiel und als machte er sich jetzt vor den Ägyptern lächerlich, die er doch erst seinen gewaltigen Arm hat spüren lassen!

Wir denken hier vielleicht: Ist das nicht völlig unangemessen, so mit Gott umzugehen? Ist er denn ein Mensch, daß er von solchen Dingen wie Stolz und Ehre beeinflußt werden kann?

Liebe Gemeinde, vielleicht haben wir auf der anderen Seite wirklich nie ernst genug genommen, daß Gott unser Vater sein will! - Wie hat uns Jesus zu beten gelehrt: "Vater unser..." Wie hat er selbst zu unserem Gott gesagt: "Abba, lieber Vater!" Und wie stellt er uns Gott in seinen Gleichnissen und Geschichten immer wieder vor? Erinnern wir uns an den verlorenen Sohn, den der Vater trotz all seines Versagens schon mit ausgebreiteten Armen erwartet? Denken wir an den Hausvater in der Geschichte von den Arbeitern im Weinberg, der zuletzt jedem so viel gibt, daß er und seine Familie leben kann oder an den gütigen Herrn, der seinem Knecht eine ungeheuer große Schuld erläßt. Warum wollen wir da nicht glauben, daß Gott seinen Menschenkindern gegenüber wie ein Vater sein will? Warum billigen wir ihm also nicht Gefühle zu und daß er sich umstimmen lassen könnte?

Wie hieß das vorhin: Und nun laß mich, daß mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge... Paßt das Zornig-werden nicht auch gut zu Gott, dem "Vater"? Und wenn Mose nun entgegnet: Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast... Nimmt das nicht auch den Gedanken auf, daß Gott, als Vater seiner Menschen, auch einmal erinnert werden muß, was er den Kindern versprochen hat? Und schließlich rundet sich das Bild vom "Vater" im Himmel, wenn es am Ende heißt: Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.

Wie kann also ein Gebet aussehen, das die Fürbitte des Mose zum Vorbild nimmt?

Ein solches Beten rechnet damit, daß Gott wie ein menschlicher Vater auch Gefühle hat, daß er Zorn und Traurigsein kennt, daß er enttäuscht ist über Kinder, die sich von ihm abwenden, daß er sich aber auch freuen kann, wenn sie zu ihm zurückkehren. Ja, vielleicht ist es überhaupt gut, an unseren menschlichen Vater zu denken, wenn wir mit unseren Bitten vor Gott kommen. Nicht daß wir Gott das Gesicht unseres Vaters geben, aber doch die Wärme, die Liebe und die Empfindungen für uns. Das wird uns helfen, ihn auch so anzusprechen, wie er es haben will: Daß wir ihn ruhig auch einmal erinnern, was er uns doch zugesagt hat, daß wir uns vielleicht auf unsere Taufe oder Konfirmation berufen, wo er uns seinen Segen und seine Begleitung versprochen hat. Und rechnen wir auch damit, daß Gott sich wie ein Vater auch einmal von unseren Tränen, unseren Bitten oder unserem Dank bewegen läßt, ja, daß es ihn sogar reuen kann, was er doch eigentlich mit und an uns tun wollte.

Erinnern wir uns, was das Volk Israel seinem Gott angetan hat: Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat. Selbst eine solche Sünde will der Vater verzeihen! Kann es denn dann etwas geben, was uns Gott nicht vergeben, nicht schenken will, wenn wir ihn nur recht bitten, wie Kinder den Vater?

Liebe Gemeinde, laßt uns das Beten lernen oder neu aufnehmen, wie es uns Mose lehrt: Nicht ungeduldig und eilig, nicht mit Druck oder gar Erpressung, aber doch in der festen Gewißheit, daß Gott wie ein Vater fühlt und liebt, daß ihm auch der Zorn nicht fremd ist, daß er aber auch erinnert werden will, was er uns versprochen hat. Und vergessen wir vor allem nicht, daß beharrliches Bitten sogar erreichen kann, daß Gott von dem abläßt, was er erst für uns bestimmt hat und uns Bitten und Wünsche erfüllt - eben wie ein Vater.