Predigt am "Gründonnerstag" - 28.3.2002

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Textlesung: Hebr. 2, 10 - 18

Denn es ziemte sich für den, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, daß er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete. Denn weil sie alle von einem kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, und spricht (Psalm 22,23): »Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen.«

Und wiederum (Jesaja 8,17): »Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen«; und wiederum (Jesaja 8,18): »Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.«

Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mußten.

Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an.

Daher mußte er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes.

Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.

 

Liebe Gemeinde!

Ich habe selten so lange vor einem Bibeltext gesessen und gegrübelt, bis ich auch nur eine Ahnung hatte, worum es hier geht und gar was man hierzu predigen soll. Eigentlich hat mich nur ein einziger Satz so richtig angesprochen - und zwar der allerletzte: "Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden." Aber von hier aus erschließt sich nun doch auch manches andere an diesen Worten. Ich glaube inzwischen, nach einigem Ringen mit diesen Versen aus dem Hebräerbrief, wir sollen hier verstehen, daß Jesus Christus wirklich einer von uns war und vor allem einer für uns. Wenn wir einmal von daher kommen und den Text noch einmal von vorn nach hinten lesen, dann begreifen wir es: Jesus mußte leiden - damit wir sehen, er ist vom Leid und von Schmerzen bedroht wie wir. Jesus kommt von Gott, wie auch wir von Gott kommen - darum ist er unser Bruder und wir alle Geschwister. Weil wir aus Fleisch und Blut sind, darum hat Jesus auch Fleisch und Blut angenommen. Weil wir den Tod leiden müssen, mußte auch er in den Tod gehen, um ihn für immer zu überwinden. Weil wir in Sünden sind, mußte auch Jesus uns gleich werden, um wie ein guter Priester alle Schuld von uns zu nehmen. Und schließlich heißt es ganz am Schluß - und daran ist mir heute das Licht aufgegangen: Jesus kann uns nur helfen, weil er auch unsere Versuchungen und unsere Leiden an seinem Leib erfahren hat.

Liebe Gemeinde, gewiß spüre ich das: Diese Worte und besonders diese Gedanken bleiben schwierig, fremd und wenig eingängig. Darum verlasse ich jetzt diese Verse....und wende mich ihnen von einer anderen Seite her zu. Vielleicht wird dann doch klarer, was sie uns sagen wollen und welche wichtige und hilfreiche Botschaft in ihnen liegt.

Wenn ich jetzt ein paar Beispiele aus dem Leben zu diesen schwierigen Versen stelle, dann werden sie gleich spüren: Ich gehe damit nicht nur "von einer anderen Seite her" an diese Worte heran, sondern genau von der anderen Seite:

Wieviel, liebe Gemeinde, geben sie denn darauf, wenn ihr Pfarrer, den sie als einen guten Prediger und tiefsinnigen Theologen kennen, aber als einen Gärtner von eher bescheidenem Rang, wenn dieser Pfarrer an einem schönen Frühlingstag an ihrem Gartenzaun stehenbliebe und sie, die gerade beim Bohnenlegen sind, folgendermaßen belehrte: "Die Bohnen müssen, wenn sie gut keimen sollen, vorher drei Tage in Rotwein eingelegt werden."? - Sie müssen nicht antworten, ich kann mir denken, was sie sagen würden.

Weniger zum Lachen - denn leider traurige Realität - ist mein zweites Beispiel: Was halten sie von einem Minister für Wirtschaft, der nie irgendein Studium absolviert hat, das auch nur entfernt mit seinem Sachgebiet zu tun hat. Oder was geben sie auf die Schulpolitik eines Kultusministers, der in seinem Leben niemals auch nur einen Tag in einer Schule unterrichtet hat?

Oder - und dieses Beispiel kommt jetzt den meisten von uns noch näher - wie finden sie das, wenn an ihrem Arbeitsplatz der Abteilungsleiterposten frei wird und man setzt statt eines erfahrenen Beamten oder Angestellten, der seine Sache von der Pieke auf gelernt hat, einen noch nicht 25jährigen Hochschulabsolventen auf die Stelle, der keine Ahnung hat, nur Abitur, ein Universitätsexamen - und vielleicht noch gute Beziehungen?

Kehren wir jetzt wieder zu den Versen aus dem Hebräerbrief zurück. Ich glaube, jetzt verstehen wir, worum es hier geht: Denn worin Jesus selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.

Dieser Jesus ist eben kein "Ungelernter" auf seiner Stelle. Er spricht zu uns nicht über Dinge, von denen er keine Ahnung hat. Er hat sich nicht durch eine Vorbildung auf ganz anderem Gebiet oder gar durch Beziehungen in seinen Posten geschlichen. Dieser "Heiland" hat seine Aufgabe in dieser Welt von Anfang an gelernt: Er, der am Holz eines Kreuzes stirbt, hat schon in seinen ersten Erdentagen das Holz eines Futtertroges zur Wiege gehabt. Er ist von klein auf vertraut mit allem, was er in seinem "Beruf" je brauchen wird: Kaum geboren verfolgt man ihn. Schon als Säugling angefeindet von den Königen der Welt. Nichts ist ihm fremd, was auch nur irgendwie zu seinem Auftrag gehört: Mit den Außenseitern der Gesellschaft hält er's. Den Sündern und den Armen ist er gut. Den Aussätzigen und Kranken wird er ein Arzt. Er ist ein Herr, der sich mit Dirnen und Zöllnern an einen Tisch setzt. Und mehr noch, viel mehr: Er gibt auch das nicht ab, was sonst nicht die Herren, sondern allenfalls die Knechte tun: Er wäscht seinen Jüngern die Füße! (Schriftlesung: Joh. 13,1-15) Er erspart sich nicht vornehm, wenn es gefährlich wird: Er läßt sich vor die Hohenpriester zerren und von den Soldaten des Pilatus bespeien und verspotten. Schließlich geht er in den Tod. Sein Lebensweg in dieser Welt vollendet sich: Vom Holz der Krippe zum Holz des Kreuzes - und dann in der Auferstehung und der Herrlichkeit!

Wahrhaftig: Er ist versucht worden, wie wohl nie ein anderen Mensch - und er hat bestanden, widerstanden und ausgehalten. Darum kann er jetzt uns helfen, wenn wir versucht werden - und das werden wir:

Ich denke an die unter uns, die gerade in diesen Tagen oder gerade heute abend so weit sind, daß sie alle Hoffnung für ihr Leben fahren lassen wollen: "Das wird nicht mehr. Ich wollte einmal so viel erreichen, ich hatte so viel vor... Ich werde das nie mehr schaffen!" Das Beispiel Jesu könnte diesen Menschen sagen: Unser Weg führt manchmal ganz tief hinunter und wir müssen auch eine ganze Zeit lang dort in der Tiefe bleiben, aushalten... Aber dort ist nicht das Ende des Weges. Nach dem Leid kommt die Freude. Nach den Tränen der Trauer gibt es wieder eine Zeit, in der wir lachen können. Selbst der Tod ist nur ein Anfang - des Lebens nämlich!

Und ich denke an alle, die mit einer Krankheit geschlagen sind oder einer Behinderung, die sie von einem normalen Leben oder von der Gemeinschaft mit anderen abschneidet oder ihnen die Lebensfreude nimmt. Auch wenn wir davon nicht genesen können, nicht heil und gesund werden, so wird es uns doch helfen, wenn wir wissen: Gerade denen, die krank sind, die von ihrem Schicksal ein Leiden oder sonst eine schwere Last auferlegt bekommen haben, ist dieser Jesus Christus besonders nah. Und er hilft auch tragen. Er gibt Kraft auch für den viel schwereren Weg, den leidende Menschen gehen müssen. Und seine Verheißung haben sie auch: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Und schließlich denke ich an die Menschen, denen aller Sinn und alle Erfüllung ihrer Tage abhanden gekommen ist. Vielleicht weil ihnen der Partner gestorben ist, der Mitte ihres Lebens war. Vielleicht weil sie über einem anderen Verlust oder weil sich ihre Wünsche und Pläne zerschlugen, allen Mut und alle Energie verloren haben? Nicht erst morgen, heute abend noch kann es beginnen: Daß sie wieder Hoffnung schöpfen, daß sie eine neue Aufgabe sehen, daß sie - vielleicht gestärkt durch das Abendmahl, das wir heute feiern wollen - wieder tapferer und zuversichtlicher voranschreiten.

Das alles kommt zuletzt von daher: Unser Herr hat selber gelitten und ist versucht worden, darum kann er denen helfen, die versucht werden. Jesus Christus hat alles selbst, buchstäblich am eigenen Leib, durchgemacht und durchlitten, was uns nur immer an Schwerem im Leben begegnet. Darum ist er der richtige Begleiter, Berater und Helfer bei allem, was schwer für uns ist und uns Leiden schafft. Wenn er uns manches auch nicht abnehmen will, unsere Schuld will er von uns nehmen. Das ist ja sein Beruf als Heiland gerade der Sünder. Im Hebräerbrief heißt das so: Daher mußte er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Um unsere Schuld also müssen wir uns nicht mehr sorgen. Wird er uns das Leid und unsere Last nun auch vielleicht auch nicht von der Schulter nehmen, so wird unser Leben mit ihm an der Seite doch leichter und auch besser zu ertragen. Er spricht uns seinen Trost zu. Wir haben sein Vorbild in allem, was uns ängstet und schreckt. Er bleibt bei uns und ist immer nur so weit entfernt wie ein Gebet.

Und vergessen wir auch das nicht, denn es ist das beste, was Jesus Christus uns schenkt - und der Hebräerbrief drückt es so aus: Weil wir nun von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mußten. Wir sind für Gottes Herrlichkeit bestimmt. Darin liegt der letzte Sinn des Auftrags, den Jesus Christus in dieser Welt erfüllen sollte. Darum wird er einer von uns, damit wir einmal in Ewigkeit ihm gleich sind. Das ist und bleibt der helle, der herrliche Hintergrund unseres Lebens, so dunkel und schwer es auch manchmal sein mag.