Predigt am Sonntag "Palmarum" - 24.3.2002

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Textlesung: Hebr. 12, 1 - 3

Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, laßt uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und laßt uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande geringachtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken laßt.

Liebe Gemeinde!

Sie greifen heute um sich: die Mutlosigkeit und die Resignation. Und man muß Verständnis dafür haben, wenn etwa ein Ingenieur von 32 Jahren - nachdem er 200 Bewerbungsschreiben losgeschickt und immer noch keine Stelle hat - die Hoffnung sinken läßt und das Schreiben aufgibt. Noch dazu, wenn er beim Arbeitsamt gesagt bekommt, er wäre mit seinen 32 Jahren halt schon "schwer vermittelbar"! Und man kann auch begreifen, wenn der Arbeitslose nach einer gewissen Zeit den Mut verliert, sich zu Hause vergräbt und seine Minderwertigkeitsgefühle pflegt. Und wer versteht nicht, wenn Umweltschützer irgendwann ihren verzweifelten Kampf gegen die Interessen der Politik und der Wirtschaft einstellen - auch wenn sie wohl meist recht haben?
Im religiösen Bereich ist das nicht anders: Da kommen junge Leute etwa im letzten Sommer vom Evangelischen Kirchentag zurück in ihre Kirchengemeinden. Sie haben Kirche einmal ganz anders erlebt: Liturgische Nächte, Tanz und Fröhlichkeit unter den Christen, neue Formen des Abendmahls, Gemeinschaft, die ansteckt... Dann erfahren sie wieder die "Normal-Gemeinde", oft sehr starr, ein Gottesdienst, der selten begeistert, wenig Wandel, kaum Bewegung... Dann ziehen sie sich nach und nach aus der Gemeinde zurück, wollen mit "der Kirche" nichts mehr zu tun haben, oder suchen ihr Heil bei Jugendreligionen, in der Esoterik oder Schlimmerem. Und wir können das mitfühlen, wenn die Frau, die seit Monaten ohne Besserung im Krankenhaus liegt, so spricht: "Nun ist es schon eine so lange Zeit! Nie war ich so weit unten wie jetzt. Mein Glaube an Gott bricht nach und nach zusammen. Ich traue ihm nichts mehr zu." Und ich muß auch an die denken, die wir Erwachsenen durch unser Beispiel zu Gott führen sollen, denen wir Hilfe sein sollen zu einem Leben an der Hand Jesu Christi: unsere Kinder, Konfirmanden und Patenkinder. Was sehen sie, die Anfänger im Glauben, oft an uns? Und was sehen sie nicht? Und was haben wir bei der Taufe als Eltern und bei der Übernahme des Patenamtes versprochen? Wer wundert sich denn, wenn junge Menschen sagen: "Das kann keine wichtige Sache sein, das kann keine Lebenshilfe bedeuten, wenn meine Eltern, meine Paten so wenig Interesse dafür aufbringen." - Womit soll man denen Mut machen, die so entmutigt sind? Was könnte hilfreich sein und Hoffnung wecken?

Unser Predigtwort nennt zwei Möglichkeiten: Die "Wolke von Zeugen" und "Jesus Christus, den Anfänger und Vollender des Glaubens", auf den wir schauen sollen. "Wolke von Zeugen"... Das meint Menschen der Vergangenheit und der Gegenwart, die ihren Glauben auch in schweren Lebenslagen bewährt und bewahrt haben. Ja, auch in der Gegenwart, denn es gibt sie doch, die Leute, die auch kein noch so großes Leid aus der Nähe Gottes treibt. Und es gibt auch die Menschen in unserer Zeit, die ihre feste Zuversicht in Gott nicht aufgeben - und wenn sie barfuß durch die Hölle gehen müßten. Und ich kenne doch auch einige, die sich beim Bau des Reiches Gottes in dieser Welt von Rückschlägen, Desinteresse der Mitmenschen, Spott und Verächtlichmachung nicht den Schneid abkaufen lassen. Und ich darf Menschen in meiner Nähe haben, die nicht käuflich sind, die niemals ihre Karriere, ihre materielle Sicherung, einen Vorteil über das stellen würden, was ihnen ihr Glaube an Jesus Christus gebietet. Es gibt solche Menschen. Sie gehören in die "Wolke von Zeugen". Das ist das eine, was Mut und Hoffnung geben kann.

Das andere, der andere ist Jesus Christus selbst: Irgendwie hat er uns mit seinem Leben - gerade mit dem Ende seines Weges, den wir in diesen Tagen bedenken - gezeigt: es geht wohl nicht ohne Leiden ab. Daran kommt keiner vorbei. Aber wir lernen auch an seinem Beispiel, daß man den Glauben dann nicht verlieren muß, weil nach dem Leiden immer noch etwas anderes wartet: seine Freude, Auferstehung, das wirkliche Leben, Ewigkeit, die er uns erworben hat. Das mag, wenn man es in die eigene Resignation hineingesagt bekommt, ein wenig wie Vertröstung klingen: "Später einmal wird alles besser, drüben im anderen Leben!" Aber so ist es gar nicht gemeint - jedenfalls nicht nur. Vielmehr will und kann mich das auch schon heute aus meiner Hoffnungslosigkeit herausreißen: "Weil ich weiß, daß es einmal besser werden soll und muß, darum setze ich schon jetzt darauf und handle so, wie es meiner gewissen Zuversicht entspricht."

Bloß, wie bekomme ich die? Sicher nicht, wenn ich meinen Blick immer und immer wieder auf die Zeitgenossen richte, die so ganz und gar nicht im Sinne des Glaubens leben, den sie laut Karteikarte bekennen. Das zu tun, haben wir aber eine starke Neigung: "X oder Y ist doch auch Christ; wie kann der seine Raffgier, die Ausbeutung seiner Angestellten, das Verhalten seinen Eltern gegenüber, den Betrug in seiner Ehe usw., wie kann der das mit seinem Christentum vereinbaren?

Was dabei herauskommt ist ja meist nicht: "X oder Y ist halt ein schlechter Christ", sondern leider oft: "das Christentum, das Y oder X ein solches Verhalten erlaubt, muß schlecht sein!" Und schnell ist einer dann soweit, daß er zu sich spricht: "Ich muß eigentlich dumm sein, wenn ich mir einen solchen Lebenswandel nicht auch gestatte. Also: Weg mit den christlichen Skrupeln und Vorbehalten."

Oder das geht so: Der Nachbar ist kein erklärter Bekenner des christlichen Glaubens. Ihm aber geht es gut. Sein Weg geht - äußerlich betrachtet - immer schön bergauf. Schicksalsschläge bleiben ihm erspart. Er wird zusehends reicher, wohlhabender, nie kreuzt ein Leid seinen Weg... Und wir selbst müssen vielleicht durch ein Tief nach dem anderen. Ein Verlust trifft uns, ein schwerer Abschied, dann Kummer und Leid...wir sehen gar keinen Lichtstrahl in all dem Dunkel. Da fragen wir dann schon, warum? Da kommen uns dann auch Zweifel: Ob da wirklich eine höhere Gerechtigkeit über alledem herrscht und regiert? - Aber da fragt uns jetzt dieses Wort zum heutigen Sonntag: Warum schauen wir nicht einmal - und immer, wenn uns Mutlosigkeit überfällt - auf die "Wolke von Zeugen" und den Bezeugten selbst: Jesus Christus.

Liebe Gemeinde, ich will jetzt einfach einmal antworten, warum ich glaube, daß wir lieber woanders hin sehen: Es ist letztlich einfacher, nur auf das zu vertrauen, was man fühlen, sehen, greifen und bezahlen kann. Das ist - wie selbstverständlich - in guten Tagen so: Ein großes Haus für soundsoviel Hunderttausend Euro, ein dickes Bankkonto, eine Menge Land...das scheint uns eine solide Basis für das Leben in dieser Welt. Und die Bedeutung des Materiellen, ja geradezu die Anbetung der käuflichen Güter und Sachen scheint in unserer Zeit noch immer größer zu werden, je mehr die Menschen ihren Halt an den inneren Werten verlieren. Aber alles wird anders, wenn's einmal nicht mehr nach Plan und Wunsch geht, wenn Krankheit, Tod und Leiden uns erschüttern, wenn der Weg steil wird und dornig und der Wind uns entgegenbläst. Das heißt, dann müßte es anders werden: Wir müßten erkennen, daß all der Kram, mit dem wir uns behängt haben, das Haus mit seinen 10 Zimmern, die sechsstellige Zahl auf dem Konto nicht helfen kann, daß wir falsch liegen mit unserer Orientierung am Materiellen... Aber wir können das dann nicht mehr, oder nur sehr schwer und verbunden mit vielen Schmerzen. Irgendwie fehlt dann die Übung, an Dinge zu glauben, die man nicht greifen kann, auf die "Wolke von Zeugen" zu hören und auf den Herrn Jesus Christus zu sehen. Und das will ich auch noch sagen: Unser Predigtwort spricht in diesem Zusammenhang von Sünde: Darum wollen wir jede hemmende Last und die uns so leicht umstrickende Sünde ablegen... Und das ist auch wirklich unsere Sünde, wenn wir in Zeiten des Glücks und der Freude dem Geber aller Gaben den Dank versagen - und das tun wir! Und Schuld ist auch, wenn wir nur dem äußerlichen Besitz nachlaufen, wenn wir die Spanne Zeit in dieser Welt so bis zum Rand mit Kurzweil und Zerstreuung anfüllen wollen, wenn wir dem "Woher" und "Wohin" unseres Lebens so gar keine Beachtung mehr schenken. Aber es gibt sie - bei aller Mutlosigkeit, allen berechtigten Sorgen und allem, was uns die Hoffnung nehmen will - es gibt sie: die "Wolke von Zeugen"! Und den Herrn Jesus Christus, den Ursprung und Vollender des Glaubens, den gibt es auch! Und auch unserem Leben ist heute von diesem Herrn ein neuer Anfang gesetzt und der heißt: Was auch immer du erdulden mußt, wo auch immer du hindurchgehst, wieviel Kummer und Leid dich auch immer beschwert, wie angefochten dein Mut sein mag und wie angeschlagen deine Hoffnung...du hast einen Vater im Himmel, der meint es gut mit dir, heute, jetzt, in Zukunft und in alle Ewigkeit. Nur dieser Glaube hilft dir gegen die Resignation. Er allein kann dir Kraft zum Aushalten geben, wenn du aufgeben willst.
Und - Gott sei Dank! - es gibt auch noch die Menschen, die dafür stehen und zeugen: Die ihre Zuversicht in Gott nicht am Altar der Güter und des weltlichen Besitzes geopfert haben, die ihre Hoffnung nicht beim ersten Windstoß fahren lassen, die uns so trösten können und Mut machen...es gibt sie noch - und ihnen allein ist die ewige Nähe Gottes verheißen.

Schauen wir nach diesen. Lassen wir uns helfen von ihnen.
Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, laßt uns ablegen alles, was uns beschwert!
Laßt uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Gedenkt an ihn, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken laßt.