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Predigt am Sonntag "Laetare" - 10.3.2002

Textlesung: Jes. 54, 7 - 10

Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, daß ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Liebe Gemeinde!

Nach einigen schwer verständlichen Texten und sperrigen Gedanken an den letzten Sonntagen hat uns das heute doch sicher gut gefallen: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen... Aber ich fürchte, auch heute wird die Betrachtung dieser Worte eher schwierig, denn sie sind wohl auch nicht nur schön zu hören und leicht verdaulich, so daß ihr Genuß keine Folgen hätte. Aber ganz konkret und deutlich:

Natürlich hören wir das gern: Gottes Gnade wird nicht von uns weichen. Und auch das geht uns leicht ins Ohr und ins Herz: Gottes Bund des Friedens mit uns steht und wird nicht hinfallen. Und schließlich kann man sich auch an dieser Aussicht nur freuen: Gottes Erbarmen ist fester und haltbarer als Berge und Hügel. Und wir hören das ja auch nicht nur; wir glauben es doch auch: So ist es! Daran kann man sich halten! Das ist mir die festeste Gewißheit.

Nur - darf ich einmal fragen: Wo sieht man dir, lieber Zuhörer heute morgen, diesen Glauben an? Und woran, liebe Zuhörerin, merkt dein Mitmensch, dein Angehöriger oder Nachbar, daß du in dieser felsenfesten Gewißheit lebst und geborgen bist? Ja, und ich will auch mich nicht ausnehmen, als wäre ich besser oder auch nur anders; ich muß mich auch fragen und fragen lassen: Wie bringst du denn dein Vertrauen, das doch angeblich in dir ist, "rüber zu den Leuten", wie man heute sagt?

Vielleicht sind diese Fragen ja immer noch nicht leicht zu verstehen. Darum will ich sie ganz in unseren Alltag hineinübersetzen: Du weißt also, daß Gottes Gnade kein Ende hat. Du hast gehört und geglaubt, daß seine Barmherzigkeit verläßlicher ist als alles andere in der Welt. Warum wirft dich dann der kleinste Schicksalsschlag aus der Bahn? Warum fängst du an zu fragen, kaum daß die Krankheit oder das Leid an deine Tür klopfen, wie sich das denn mit dem gütigen Gott reimen soll, daß er dir das schickt und dich so hart prüft?

Du kennst also Gott und vertraust ihm, dein Weg geht schon jahrelang an seiner Hand, du lebst mit ihm, du arbeitest mit ihm, du betest täglich zu ihm und dankst ihm... Du hältst ihn für die Güte und die Treue, die Liebe und das Erbarmen selbst. Warum nimmst du ihm dann nicht auch das ab: Daß er Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Warum zieht dein Glaube da eine Grenze: "Im Leben hält uns Gott - im Tod aber läßt er uns ins Nichts fallen." Wie paßt das denn zu deinem festen Vertrauen auf Gott und zu seinem Versprechen, das du doch auch heute wieder hörst: "meine Gnade ist ewig...der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen"? Sollte Gott nur bis zu unserem letzten Atemzug gnädig sein? Sollte Gottes Bund nur bis ans Grab reichen?

Und auch hier will ich mich nicht aussparen: Warum lasse ich es zu, daß mich immer wieder die Resignation beschleicht und ich dem Gedanken nachgebe, daß wirklich die Welt und Gottes Sache auf dem absteigenden Ast sind und daß ich nichts mehr machen kann und wir Christen dem nichts mehr entgegensetzen können. Wieso lasse ich mir Gottes Wort nicht gewisser sein und vertraue mehr, hoffe mehr und habe eine festere Zuversicht? Warum erlaube ich jedem Kirchenaustritt, jeder Abkehr von einem Gemeindekreis und jeder höhnischen Äußerung über meine Arbeit, mich in tiefes Grübeln, in Selbstzweifel und Fragen nach Gott und seiner Macht zu stürzen? Weiß ich denn nicht, daß Gott dem Geist der Welt und seiner Macht nur noch eine kleine Zeit zugestanden hat? Weiß ich denn nicht, daß einmal Gottes Sieg vollkommen sein wird, den er in Jesus Christus auf Golgatha schon lange erstritten hat? Und weiß ich nicht, daß wir als Christen gar nicht ohne Kreuz und Angst und Kummer sein können? Weil wir nunmal Nachfolger dieses Jesus sind, der ans Kreuz gehängt wurde, der mit allen Ängsten vertraut gewesen und in allen Kummer eingeweiht war?

Liebe Gemeinde, ich denke wir haben jetzt alle gemerkt, daß unser genußvolles Hören der Worte Gottes auch im gelebten Leben seinen Niederschlag finden muß! Das paßt ewig nicht zusammen, daß wir hier die Gnade Gottes loben, die niemals vergeht - und doch dort schon zu zittern beginnen, wenn der kalte Wind eines schweren Geschickes weht. Und es paßt nicht zu Gottes Verheißung von der Auferstehung und dem neuen Leben, wenn wir vor dem Tod und seiner grausamen Gewalt mit unserem Glauben halt machen. Und es paßt nicht, den Mut zu verlieren oder gar zu verzweifeln, wenn unsere Beziehung zu Gott auch einmal die Widerstände der Menschen spüren muß. - Aber wie wird es passend? Wie deckt sich endlich, was wir hören, was wir doch glauben und was wir leben und was die anderen an uns ablesen können?

Liebe Gemeinde, ich ziehe jetzt hier kein Rezeptchen hervor, wie wir alle uns schnell bessern können: Man nehme dies und das, tropfen- oder schluckweise, in innerlicher Anwendung, zweimal täglich, morgens und abends... Nein, ich kann das nicht. Es wird nämlich bei jeder und jedem von uns ganz anders sein, was uns hilft. Jede und jeder braucht, um in diesem Bild zu bleiben, ein anderes Medikament und eine andere Anwendung. Und auch die Dosis, die jeder nötig hat, wird ganz unterschiedlich sein.

Der wunderschöne Text, den wir heute am Anfang gehört haben, weist uns einen anderen Weg: Er spricht uns einfach etwas zu! Und das sehr eindringlich und schön! Kehren wir noch einmal in unser Bild von der jetzt fälligen Arznei zurück, dann könnten wir sagen: Uns wird zugesprochen, daß wir gesund werden! Gott, der hier unser Arzt ist, verheißt uns Heilung, Zukunft und Leben! Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Wir sollen gesund werden! Wir dürfen in Ewigkeit genesen! Stellen sie sich doch nur einmal vor, wir würden bei unserem Arzt so etwas gesagt bekommen: Es kann dir nichts geschehen. Du wirst wieder gehen können, wieder alles essen dürfen, deine Krankheit wird weichen und du kommst wieder ganz in Ordnung. Wenn wir unserem Arzt vertrauen, müßte er uns dann noch einen Rezeptzettel schreiben? Wenn es keinen besseren Arzt gäbe, würden wir dann so schnell wieder zu zweifeln beginnen? Der Arzt, der uns hier behandelt und uns das verspricht, ist der beste Arzt! Es ist unser treuer Gott: Meine Gnade soll nicht von dir weichen, spricht der Herr, dein Erbarmer. - Es wird nur darauf ankommen, daß wir ihm glauben, unserem Gott, unserem Arzt, unserem Erbarmer... Und zu diesem Glauben wird jeder nur selbst und auf seine Weise finden. Uns allen ist Genesung verheißen. Wir alle hören die wunderbaren, befreienden Worte Gottes. Wir alle müssen erkennen und bekennen, daß wir oft nicht so leben und das nicht ausstrahlen, was dieser befreienden Botschaft entspricht. So wollen wir das also sehen und bekennen und wollen uns bemühen, jede und jeder auf seine Art, endlich so zu reden und zu handeln, wie es geheilten, befreiten, erlösten Menschen wohl ansteht.

Dem einen wird es dazu helfen, wenn er Gott im Gebet um mehr Zuversicht und Kraft bittet. Einer anderen dient vielleicht ein Blick auf wirklich leidende Menschen und ernstlich Kranke, daß sie begreift, wie gut es ihr doch vergleichsweise geht. Einem dritten mag die geübte Dankbarkeit tägliche Erinnerung sein, wie viel Schönes, Ermutigendes, Beglückendes er doch auch auf seinem Weg durchs Leben erfährt.

Wie schön wäre es, wenn dann wirklich auf unserem Gesicht schon heute ein Glanz künftiger Genesung läge. Wie man vielleicht einem Menschen, der eine Zeit krank war, doch schon ansieht, daß er auf dem Weg der Besserung ist. Wir jedenfalls sind es, unsere Heilung steht bevor, denn unser Arzt sagt uns heute:

Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.