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Predigt am Sonntag "Okuli" - 3.3.2002

Textlesung: 1. Kön. 19, 1 - 8

Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.
Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iß!
Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
Und der Engel des HERRN kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.
Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

Liebe Gemeinde!

Wir dürfen ja ruhig ganz ehrlich sein. Viel können wir mit dieser uralten Geschichte nicht anfangen! Wir verstehen nicht, was ihr Hintergrund ist und nicht, wozu sie uns führen will. Sie ist aus einer ganz anderen Zeit als der unsrigen. Sie handelt von Personen, die ganz andere Probleme haben als wir. Darum hat sie uns nichts zu sagen. -

Ganz ehrlich gesprochen: So habe ich auch gedacht...zuerst. Und ich hätte diesen Text wohl auch gern zur Seite gelegt, wenn da nicht diese Szene in der Wüste wäre, die mit dem gerösteten Brot und dem Wasser...und dieser Schluß, das mit dem Sturm, dem Erdbeben, dem Feuer und dem stillen, sanften Sausen. Darin liegt vielleicht doch eine Wahrheit, die uns auch in unseren Tagen etwas sagen, ja uns helfen und vielleicht Mut geben könnte? Aber fangen wir - um dieser Züge der Geschichte willen - von vorn an:

Elia, der Prophet, hatte im Auftrag Gottes die Priester des Götzen Baal umbringen lassen. Dafür hatte ihm Isebel, die Königin von Israel und Verehrerin dieses falschen Götzen, blutige Rache geschworen. Nun fühlt sich Elia von Gott verlassen und der Wut der Isebel preisgegeben. Er will nur noch sterben. So geht er in die Wüste, setzt sich unter einen Wacholder und wartet auf den Tod. Aber der kommt nicht. Vielmehr kommt ein Engel Gottes, der ihm zu essen und zu trinken reicht, ihn wieder ins Leben holt und ihm sagt, daß er noch gebraucht wird, auch wenn er einen langen Weg vor sich hat. Und Gott selbst spricht mit ihm. Elia darf seine ganze Enttäuschung vor Gott bringen und ihm dabei die Frage aller Fragen vorlegen: Wo bist du eigentlich, Gott, wenn wir dich brauchen? Wo können wir dich sehen? Wie dürfen wir dich spüren? Wo begegnest du uns in unserem Leben? Und Elia bekommt Antwort. Er erfährt, wo Gott nicht ist, im Sturm nicht, im Erdbeben nicht und nicht im Feuer. Und er erfährt schließlich, worin sich Gott verbirgt und verhüllt: In das stille, sanfte Sausen.

Liebe Gemeinde, das ist jetzt gewiß immer noch nicht viel klarer geworden, was das mit uns zu tun hat. Aber versuchen wir doch einmal, die Personen der alten Geschichte und die Fragen, die sie behandelt in unsere Zeit zu übertragen: Elia...das könnte heute vielleicht der Mann sein, der sich wirklich seit vielen Jahren und Jahrzehnten um ein Leben bemüht hat, das Gott gefällt. Guter Kirchgänger, aktiv in der Gemeindearbeit, das Gebet ist ihm tägliche Übung, seine Kinder hat er nach Kräften versucht, zu rechten, christlichen Menschen zu erziehen... Trotzdem jagt in den vergangenen 3 oder 4 Jahren bei ihm ein Schicksalsschlag den anderen: Unglücksfälle, Krankheitszeiten, Anfeindung durch die Mitmenschen...jetzt wollen sogar die Tochter und der Schwiegersohn sich scheiden lassen. Immer häufiger fragt er in letzter Zeit in seinem Gebet: Gott, wo bist du? Schaust du eigentlich noch nach mir? Und wenn er dann noch seinen Nachbarn ansieht und wie gut es dem geht, der doch erklärtermaßen ganz und gar gottlos ist und ungläubig... Dann muß er zugeben: Dem hätte er - bei aller christlichen Sanftmut - schon manchmal einen Teil des Bösen gewünscht, das ihm in letzter Zeit widerfährt.

Mir fällt bei "Elia" auch noch die Frau ein, die über den vielen Erlebnissen mit der Härte und Gleichgültigkeit der Menschen ihrer Umgebung, heute nahe daran ist, ihren Christenglauben wegzuwerfen. Sie arbeitet in einem sozialen Beruf. Wie oft schon hat sie versucht, den jungen Leuten, die sie in einer Wohngruppe betreut, auch vom christlichen Standpunkt aus Rat und Hilfe zu geben. "Warum schlägst du immer zurück, wenn du geschlagen wirst", hat sie etwa einmal gesagt. "Weil sonst bald alle auf mir rumtrampeln", hat sie zur Antwort bekommen. Und - das schlimme war - sie mußte dem Recht geben, der das sagte. So ist es doch wirklich. Wer sich nicht wehrt, wird an die Wand gedrückt. Die ganze Gesellschaft, für die sie die jungen Menschen vorbereitet, funktioniert schließlich so. Nach oben kommen doch nicht die freundlichen, deren Handeln von der Nächstenliebe bestimmt ist, sondern die mit den Ellenbogen, die über Leichen gehen können. Schon oft, sehr oft hat sie darüber mit Gott gerungen: "Warum gibst du nicht denen wenigstens dieselben Chancen, die es mit fairen Mitteln und dem Handeln in deinem Sinn versuchen?"

Und sicher hat jetzt jede und jeder von uns so seine Gedanken, die in ihm hochkommen, wenn wir Elias Klage hören: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele... Wer hat noch nicht gefragt: Gott, wo bist du eigentlich gewesen, als mir das neulich passiert ist, was mir noch heute so schwer aufliegt? Oder: Gott, warum hast du das zugelassen, daß mir der liebste Mensch schon so früh gestorben ist und ich jetzt so furchtbar allein bin? Oder es fällt uns schon seit Jahrzehnten schwer, vor all dem Leid, dem Elend in der Welt, Gott gegenüber den Namen "Vater" auszusprechen oder ihn mit Güte und Liebe zu reimen. Mancher wird auch schon gedacht haben oder denkt schon immer so: Gott hat vielleicht einmal die Welt geschaffen - aber inzwischen greift er nicht mehr ein und wirkt auch nicht in dieser Welt. Ja, vielleicht ist er wirklich abgereist und weilt gerade in einer anderen Welt - wie ja sogar manche Theologen meinen! Und dieser Gedanke schließlich ist auch recht verbreitet, auch wenn wir wissen, daß er nicht besonders christlich ist: Aber mal ganz ehrlich - hätten wir nicht schon manchmal unser Unglück gern einem Nachbarn gegönnt, bei dem immer alles so glatt läuft?

Liebe Gemeinde, ich glaube wirklich, daß uns dieser alte Text, auch wenn er insgesamt sehr schwer zu verstehen ist, doch dazu etwas sagen kann. Mindestens zwei Hinweise sind es, die uns und den beiden, von denen wir erzählt haben, weiterhelfen können. Der erste Hinweis ist dieser: Elia wird trotz allem von dem Gott ernährt und bewahrt, den er nicht mehr begreift, den er weit weg glaubt und von dem er meint, daß er ihn längst vergessen hat. Gott schickt ihm einen Engel mit einem gerösteten Brot und einem Krug Wasser! Aber Gott ernährt nicht nur seinen Leib. Er läßt ihm auch das Wort ausrichten, das seine Seele zum Leben zurückführt: "Steh auf und iß! Du hast einen weiten Weg vor dir!" Hier erfährt Elia, daß er noch gebraucht wird! Gott hat ihn ja gar nicht abgeschrieben, wie er dachte. Gott hat noch etwas vor mit ihm, und er will ihm Aufgaben zeigen, die nur er - gerade er - erfüllen kann!

Das könnte denen unter uns etwas sagen, die doch auch immer meinen, Gott wäre fern und würde sie nicht sehen und in ihr Leben nicht eingreifen und schon gar nicht etwas zum Guten wenden. Es könnte ihnen sagen: Schau doch auch einmal wieder, wieviel Kräfte du doch hast, was dir - bei allem, was schief geht - gelingt, wieviel Segen dem schweren Geschick auf der einen Seite doch auf der anderen gegenübersteht! Auch der Mann, von dem ich erzählt habe, kennt nicht nur schwere Schläge des Schicksals! Es gab auch schöne Tage in den letzten paar Jahren. Und die Frau in der Sozialarbeit hat auch manchen Erfolg gehabt neben den Fehlschlägen, die sie und die jungen Leute, die ihr anvertraut sind, erleiden mußten. - Ja, und wir? Nehmen wir deutlich genug die Freude unserer Tage wahr - neben den trüben Stunden, die wir haben? Erkennen wir, wie viele Menschen in unserer Nähe sind, die uns so nötig brauchen, die sich ein Leben ohne uns nicht vorstellen könnten, selbst wenn sie davon ja nicht oder nur selten reden. Sehen wir also, um einmal das Bild aufzunehmen, das geröstete Brot und den Krug mit Wasser, den Gott uns reicht? Und hören wir seinen Zuspruch: Steh auf und geh! Du wirst gebraucht! Du hast noch einen weiten Weg vor dir!?

Und der zweite Hinweis, den wir bekommen, ist dieser: Gott ist ein für alle mal nicht im Sturm, im Erdbeben und im Feuer! Das heißt, er spricht nicht so, wie wir uns das von ihm wünschen, ja manchmal fordern! Gott haßt die Gewalt! Er blendet und betäubt nicht mit Blitz und Donner. Er tritt nicht mit der Macht auf, die allen Widerstand wegfegt. Er will uns mit sanftem Sausen gewinnen. Er will mit freundlichen Worten erreichen, daß wir ihm das Herz schenken. Er tritt auch nicht in Konkurrenz mit dem lauten Geschrei etwa der Medien, die unsere Aufmerksamkeit gefangennehmen. Er tut uns auch kein Wunder zulieb, nur daß wir zu ihm überlaufen und den Mund vor Staunen auftun und die Augen aufreißen. Gott arbeitet langsam an seinen Menschen und an der Welt, aber er arbeitet!

Und dieser Gott hat auch den Nachbarn schon lange im Blick, dem wir vielleicht einmal eine Erfahrung mit seiner harten, zurechtbringenden Hand wünschten. Aber er wird über ihm wohl nicht Feuer regnen oder ihm das Haus über dem Kopf einstürzen lassen. Eher wird er ihm eines Tages durch seine beharrliche Liebe zu stark geworden sein. Oder er wird ihn durch seine Güte überwinden oder mit seiner Treue - trotz aller eigenen Untreue - überwältigen. Und, wenn wir ganz ehrlich sind, haben wir selbst doch auch schon manchesmal in unserem Leben eine härtere Hand Gottes verdient und dürfen doch froh sein, daß er nur mit einem sanften Wink auf unsere Sünde und Bosheit geantwortet hat.

Liebe Gemeinde!

Denken wir doch nur nicht, Gott wäre abwesend in dieser Welt oder wir und was wir tun und treiben, anderen zufügen oder selbst erleiden, wäre ihm gleichgültig. Gott weiß wo wir sind, wie wir uns fühlen und auch was wir uns eigentlich von ihm wünschen. Wir mögen im Glück sein - in dem wir ihn ja allzu rasch vergessen, oder mögen uns in die Wüste unserer Enttäuschung verkrochen haben wie Elia. Gott sieht uns und weiß genau, wie wir uns fühlen. Und er legt uns das Brot hin und stellt uns den Krug vor und sagt zu uns: Steh auf und iß! Ich brauche dich doch! Geh, dein Weg ist noch weit!

Und denken wir nicht, der große Gott müßte im Sturm sein oder im Feuer. Herzen und die Liebe gewinnt man nicht mit Gewalt. Gott will uns mit beharrlichem aber sanften Drängen auf seine Seite ziehen. Und so hält er's auch mit denen, die - wie wir meinen - die ganze Kraft seiner Faust verdienen. - Und wenn es nur das wäre, was wir heute diesem alten, schwer verständlichen Text entnehmen können. Wäre es so wenig?