Predigt am 15. So. nach Trinitatis - 29.9.2019

Textlesung: Lk . 17, 5 - 6

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer, und er würde euch gehorchen.

Liebe Gemeinde!

Das waren nur zwei Verse! Für solch ein Thema: Der Glaube! Und vor allem: Was hat die Bitte der Jünger eigentlich mit der Antwort Jesu zu tun? "Stärke uns den Glauben!" Was gibt dazu dieses "Bild vom Senfkorn" her? Sie möchten doch Hilfe von ihrem Meister. Er scheint gar nicht auf sie einzugehen: "Wenn ihr Glauben hättet..." Ei, sie haben doch keinen! Jedenfalls nicht genug; das geben sie ja zu. Haben hier Jesus und die Jünger aneinander vorbeigeredet?

Ich denke mir, das ist auch oft unsere Bitte: "Herr, stärke meinen Glauben! Ich weiß nicht mehr weiter. Ich bringe mein schweres Geschick nicht mehr mit deiner Liebe zusammen. Du bist mir dunkel geworden. Gott, hilf mir doch, dass ich wieder an dich glauben kann, dir wieder vertrauen kann..." Und da hören jetzt auch wir dieses Wort: "Wenn ihr Glauben hättet, bloß wie ein Senfkorn groß...", es wäre genug! - Hilft uns das? Ja, ist das überhaupt eine Antwort auf unsere Frage?

"Senfkorn"... vielleicht fällt uns da die Geschichte ein, die Jesus ein andermal erzählt hat: Von dem kleinen Senfkorn, kleiner als alle anderen Samenarten...und doch wird aus ihm ein mächtiger Baum, in dessen Zweigen die Vögel ihre Nester bauen (Mt. 13, 31f).

Genauso ist es mit dem Reich Gottes, sagt Jesus. Etwas zuerst ganz Kleines wird groß. Etwas Winziges wächst und bekommt Kraft. Unscheinbares bildet sich aus und kriegt Gewicht. Und noch etwas anderes liegt in diesem Bild vom Senfkorn: Es wird nur gesät, dass es groß und stark wird geschieht von selbst! Der Sämann legt nur das Körnchen in den Boden - die Wurzeln und den Stamm, die Zweige, Äste und Blätter, die Blüten und die Früchte kommen von allein!

Ob hier vielleicht die Antwort liegt? Ob uns das hilft, wenn wir wie die Jünger bitten: "Herr, stärke unseren Glauben?"

Es gibt da eine Geschichte, die passt ganz wunderbar zu diesem Wort vom Senfkorn. Ich will sie ihnen einmal erzählen:

Ein hoher Beamter fiel bei seinem König in Ungnade. Der ließ ihn im obersten Raum eines Turmes einkerkern. In einer mondhellen Nacht aber stand der Gefangene oben auf der Zinne und schaute hinab. Da sah er seine Frau. Sie machte ihm ein Zeichen und berührte die Mauer des Turmes. Gespannt blickte der Mann hinunter, aber er konnte nicht erkennen, was seine Frau tat. So wartete er geduldig.

Die Frau hatte ein honigliebendes Insekt gefangen, sie bestrich die Fühler des Käfers mit Honig. Dann befestigte sie das Ende eines Seidenfadens am Körper des Käfers und setzte das Tierchen mit dem Kopf nach oben an die Turmmauer. Der Käfer kroch langsam dem Geruch des Honigs nach, immer nach oben, bis er schließlich dort ankam, wo der gefangene Ehemann stand.

Der gefangene Mann lauschte in die Nacht hinein, und sein Blick ging nach unten. Da sah er das kleine Tier über die Rampe klettern. Er griff behutsam nach ihm, löste den Seidenfaden und zog ihn langsam und vorsichtig zu sich empor. Der Faden aber wurde immer schwerer. Und als der Ehemann den Seidenfaden ganz bei sich hatte, sah er, dass am Ende des turmlangen Fadens ein Zwirnfaden befestigt war. Der Mann oben zog nun auch diesen Faden zu sich empor. Der Faden wurde immer schwerer, und siehe, an seinem Ende war ein kräftiger Bindfaden festgemacht. Langsam und vorsichtig zog der Mann den Bindfaden zu sich empor.

Auch dieser Faden wurde immer schwerer. Und an seinem Ende war eine starke Schnur. Der Mann zog die Schnur zu sich heran und hatte schließlich ein starkes Seil, in seiner Hand. Das Seil machte der Mann an einer Turmzinne fest. Das Weitere war einfach. Der Gefangene ließ sich am Seil hinab und war frei. Er ging mit seiner Frau schweigend in die stille Nacht hinaus und verließ das Land des ungerechten Königs.

Zugegeben: Das ist ursprünglich keine Geschichte vom "Glauben". Die Überschrift heißt vielmehr: "Liebe macht erfinderisch" - und das stimmt ja sicher auch. Aber mir scheint die Erzählung ein Bild vom Glauben zu malen. Und ich denke, hier wird deutlich, dass Jesus mit seinem Wort vom Senfkorn eben doch helfen wollte! Führen wir uns ein paar wichtige Einzelheiten aus dieser Geschichte vor Augen:

Das "honigliebende Insekt" bringt den Seidenfaden nach oben! Der Gefangene im Turm muss nur warten und ins Dunkel hinausschauen, bis der Käfer über die Turmbrüstung klettert. Ist das nicht wie bei einem "Senfkorn"? Legt den "Samen unseres Glaubens" nicht auch ein anderer in unser Herz? Wir müssen nur warten und beten vielleicht - aber gewiss auch geduldig sein.

Aber was geschieht dann, oben auf dem Turm? Der gefangene Mann ergreift den Faden und zieht ihn vorsichtig zu sich heran und heran... Und wieder muss er Geduld haben und warten, bis er am turmlangen Seidenfaden den Zwirn zu sich emporgezogen hat und dann den Bindfaden, die Schnur und endlich - das Seil! Ob das nicht auch die Deutung für das "Senfkorn" ist? Dass es einfach Zeit braucht, bis aus ihm der starke Baum gewachsen ist, der Schatten spendet und den Vögeln zum Nestbau dient? Alles war schon vorbereitet und auf dem Weg, als der Käfer über die Rampe kriecht und der Mann den Seidenfaden fasst - es braucht nur noch Zeit und Geduld! Alles ist schon angelegt und im Keim vorhanden, wenn das Senfkorn des Glaubens in uns fällt - wir müssen nur warten können und geduldig sein.

Und auch das dritte wollen wir sehen und deuten: Das "starke Seil", das schließlich aus dem Seidenfaden wird, schenkt dem Gefangenen die Freiheit und das Leben! Er klettert daran herab und kann das Land des ungerechten Königs mit seiner Frau verlassen. Genauso das Senfkorn: Der Baum, der am Ende aus dem kleinen Samen wächst, ist auch ein Symbol für Freiheit, Stärke und Leben. In seinem Schatten findet der Mensch Zuflucht. In seinen Zweigen können die Vögel des Himmels wohnen. Mit seinen mächtigen Wurzeln speichert er das Wasser und hält seinen gewaltigen Stamm. So ist das auch mit dem Glauben: Am Anfang klein und winzig, von fremder Hand in uns gelegt; aber wenn wir Geduld haben und warten können, wird er Leben und Freiheit, Kraft und Hilfe für uns werden!

"Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn...", dann müsst ihr nur Zeit haben und geduldig warten können, dann werdet ihr erfahren, wie stark der Glaube ist!

Passt das also nicht doch gut zusammen? Die Frage der Jünger: "Herr, stärke unseren Glauben!" und Jesu Antwort: "Ihr braucht nur Glauben wie ein Senfkorn"? Sagt er ihnen nicht eigentlich: "Ei, ihr habt doch schon Glauben, wenigstens so groß wie die Senfsaat! Ihr seid doch bei mir, ihr habt euch mit mir aufgemacht und seid wie Bettler mit mir durchs Land gezogen. Ich konnte euch nichts bieten als zusammengebettelte Nahrung und das freie Feld für die Nacht. Trotzdem wart ihr mir treu, seid bei mir geblieben, habt mein hartes Leben mit mir geteilt. Zeigt das nicht, dass euch mein himmlischer Vater "Glauben" geschenkt hat, Vertrauen auf mich und meine Sache? Wer nimmt denn alles das auf sich, wenn er nicht glaubt, wenigstens so viel, wie ein Senfkorn wiegt?"

Und wenn wir nun mit unserer Bitte an Jesus herantreten: Herr, stärke uns den Glauben, dann wird er zu uns vielleicht so sprechen: Habt ihr nicht längst Glauben empfangen? Ihr musstet durch viel Schweres hindurch und seid doch nicht zerbrochen. Ihr hattet manche dunkle Stunde und habt doch immer wieder zum Gebet und zum Trost meines Wortes gefunden. Ist das nicht das sicherste Zeichen, dass euch mein Vater im Himmel den Samen des Glaubens eingepflanzt hat? Und seht auch das: Wieviel Freude hattet ihr schon dadurch, dass ihr von Gott wisst und vertrauen könnt, dass ich für euch in die Welt gekommen bin, ans Kreuz gegangen bin und durch den Tod ins Leben!? Welchen Frieden hat euch das nicht schon ins Herz gesenkt, das zu wissen, darauf sich verlassen zu können, hoffen dürfen. Vergleicht euch ruhig mit anderen Menschen, die keinen Glauben haben: Wie gut, wie unendlich gut ist das, "Gott" sagen zu dürfen, "Vater" sagen und glauben können! Und mag dieser Glaube auch nur so groß sein wie ein Senfkorn - er ist genug und er wird wachsen!

Ja, ich glaube, das ist es: Jesus sagt den Jüngern und er sagt uns auf unsere Bitte: Ihr habt diesen Glauben - so klein nur wie ein Senfkorn vielleicht - aber ihr habt ihn! Nehmt ihn doch wahr und freut euch dran und dann: Habt Geduld und wartet! Er wird wachsen und gedeihen, wird blühen und Früchte treiben, wird für euch Freiheit und Leben bedeuten. Ihr seid beschenkt! Ihr könnt glauben! Ihr seid zum Vertrauen fähig! Wie reich seid ihr! Was kann daraus - wenn ihr nur warten könnt - noch alles werden!

Liebe Gemeinde!

Ich wünsche uns heute, dass wir unseren Glauben entdecken und wahrnehmen - und wäre er nur das kleine Senfkorn. Ich wünsche uns die Freude daran, dass Gott uns seines Geschenkes für würdig gehalten hat. Ich wünsche uns, dass wir geduldig sein können und unserem Glauben die Zeit geben, die er zum Wachsen braucht. - Er wird uns im Leben froh machen und am Ende frei vom Tod - zum ewigen Leben. - Nur der Glaube kann das! AMEN