Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis - 25.8.2019

Liebe Gemeinde, wir lassen uns einstimmen durch die Worte des Predigttextes zum 10. Sonntag nach Trinitatis:

Textlesung: Jer. 7, 1 - 15

Dies ist das Wort, das vom HERRN geschah zu Jeremia: Tritt ins Tor am Hause des HERRN und predige dort dies Wort und sprich: Höret des HERRN Wort, ihr alle von Juda, die ihr zu diesen Toren eingeht, den HERRN anzubeten! So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels: Bessert euer Leben und euer Tun, so will ich bei euch wohnen an diesem Ort. Verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel! Sondern bessert euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den andern und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen und nicht unschuldiges Blut vergießt an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden, so will ich immer und ewig bei euch wohnen an diesem Ort, in dem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe. Aber nun verlasst ihr euch auf Lügenworte, die zu nichts nütze sind. Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt. Und dann kommt ihr und tretet vor mich in diesem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, und sprecht: Wir sind geborgen, - und tut weiter solche Gräuel. Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle? Siehe, ich sehe es wohl, spricht der HERR. Geht hin an meine Stätte zu Silo, wo früher mein Name gewohnt hat, und schaut, was ich dort getan habe wegen der Bosheit meines Volks Israel. Weil ihr denn lauter solche Dinge treibt, spricht der HERR, und weil ich immer wieder zu euch redete und ihr nicht hören wolltet und ich euch rief und ihr nicht antworten wolltet, so will ich mit dem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, auf das ihr euch verlasst, und mit der Stätte, die ich euch und euren Vätern gegeben habe, ebenso tun, wie ich mit Silo getan habe, und will euch von meinem Angesicht verstoßen, wie ich verstoßen habe alle eure Brüder, das ganze Geschlecht Ephraim.

"Durch die Worte der Textlesung einstimmen lassen", sagte ich. Sie verstehen jetzt sicher, warum. Das alles auszulegen, in unsere Zeit und unsere Lebensverhältnisse zu übertragen, was Jeremia schreibt, würde den Rahmen einer Predigt sprengen. Von der Härte der Worte einmal abgesehen, die wir auch nicht ohne weiteres auf uns übertragen können und wollen.

Mir ist an diesen alten Versen besonders ein Gedanke wichtig geworden - und der gibt mir heute Gelegenheit über etwas zu sprechen, worüber wir wirklich einmal nachdenken sollten. Dies ist der Gedanke, wie ich ihn den Predigtversen entnehme: "Es geht nicht um den Tempel, das Haus Gottes, nicht um den Namen des Höchsten, der darauf liegt, nicht um den äußeren Bau des Tempels oder um die Worte, die darin zu hören sind - es kommt darauf an, wie das Leben eines Menschen aussieht, wie er sich Witwen und Waisen gegenüber verhält, wie einer mit Fremden und den Armen umgeht und was überhaupt sein Tun und Lassen ist."

Und das ist das Thema, das uns in dieser Zeit alle angeht: Die bestürzende Äußerlichkeit unseres Lebens - auch als Christen und die Frage, wie wir wieder mehr Tiefe und gelebten Glauben gewinnen.

Liebe Gemeinde, wahrscheinlich können sie das jetzt nicht gleich begreifen. Vielleicht fragen sie sich: Wo sind wir denn äußerlich? Wo fehlt uns denn die Tiefe und dass wir unseren Glauben auch leben und praktisch umsetzen. Bemühen wir uns denn nicht? - Wir wollen uns gemeinsam annähern an das tiefste Anliegen Jeremias:

Dem Propheten, der den Menschen aus dem Haus Juda solche harten Worte Gottes ausrichtet, liegt alles daran, dass sie eines begreifen: Nicht das Äußere, nicht was unsere Augen sehen, macht den guten Menschen. "Alle frommen Worte und Gebete, die ihr wie am Schnürchen hersagt, sind vor Gott nicht so viel wert, wie eine einzige Tat der Liebe. Ihr mögt stundenlang im Tempel hocken und Lieder des Glaubens singen, was ihr draußen mit den Leidenden, den Fremden, den Witwen und Waisen und den anderen Armen macht, das zeigt eure wahre Gesinnung. Und wenn ihr euch auch Juden, fromm und gottesfürchtig nennt, was ihr in eurem Alltag treibt, wem und was ihr da nachlauft, das bestätigt eure Worte oder straft sie Lügen. Denn Gott sieht euer Herz an!"

Ja und bei so vielen Dingen, die wir heute nach außen zeigen, vorzeigen, geht es leider auch nicht mehr um die Sache, den Kern, sondern nur noch um den Schein, den Effekt, die äußere Hülle.

Als Beispiel dafür soll uns zuerst das Kreuz dienen, das viele Menschen unserer Tage um den Hals oder als Ohrstecker tragen oder sich vielleicht auch an die Wand ihres Wohnzimmers hängen. Gern schenken wir unseren Konfirmanden zur Einsegnung ein kleines Kreuz. Gern wird es auch zu der schicksten Kleidung und bei allen möglichen Anlässen getragen - und das, obwohl es doch eigentlich ein sehr ernstes, dunkles Zeichen ist, genaugenommen ein Folterwerkzeug. Soll so ein Kreuz denn aber nur hübsch glänzen, die richtige Farbe oder Größe haben, zum Haar oder gar der Handtasche harmonieren? Nein, ich denke, da sind wir uns alle einig: Es kommt alles darauf an, dass der Träger, die Trägerin dieses Kreuzes den guten Geist, die Liebe, die Achtung, die Toleranz und den Frieden ausstrahlen und glaubhaft leben, die wir seit alters mit dem Symbol des Kreuzes verbinden. Das Kreuz der Christen ist niemals bloß ein Zeichen wie etwa das "H" an der Bushaltestelle, das mir sagt, dass hier der Bus hält. Denn über das hinaus, will dieses "H" nichts sagen.

Und das Kreuz der Christen, wenn wir es uns in die Stube hängen, ist auch nicht nur so etwas wie ein Wandteller, der vielleicht eine Gondel aus Venedig oder den schiefen Turm von Pisa zeigt. Denn über diese Motive hinaus stellt so ein Teller nichts dar. Am Kreuz aber ist Jesus Christus gestorben! Am Kreuz hängen der Erlöser und die Erlösung! Der Tod unseres Herrn an diesem Kreuz ist die Mitte unseres Glaubens, die Mitte der frohen Botschaft. Jedes Kreuz sagt seitdem: "Du, wenn du jetzt auf dieses Kreuz hier schaust, dann denke daran: Für dich ist Jesus Christus gestorben. Dich hat er erlöst. Dich hat er so lieb, dass er die Last und den Schmerz von Leiden und Sterben für dich auf sich nimmt." So sagt jedes Kreuz mehr, viel mehr als alle anderen Dinge und Zeichen, die an unseren Wänden oder sonst wo in unserem Blickfeld angebracht sind. Es steht für den guten Geist, die Liebe und Freiheit, die uns der gebracht hat, der daran hängt. - Das Kreuz zu tragen, ins Zimmer zu hängen, ist also niemals nur, sich oder die Wand zu schmücken. Leider aber haben viele Menschen unserer Tage zu diesem Gedanken keinerlei Beziehung mehr.

Aber das Kreuz als Schmuck ist nur ein Beispiel dafür, wie wir uns immer mehr weg von den christlichen Werten hin zum nur äußeren Glanz und zur Oberflächlichkeit bewegen. Gern gebe ich Beispiele: "Die christlichen Feiertage sind zu achten", steht in der hessischen Verfassung. Der Buß- und Bettag ist als Feiertag schon lange gefallen. "Die Sonntage dienen der Ruhe, Besinnung und Erhebung der Menschen", heißt es da weiter. Um der Auslastung der Maschinen willen, wegen der Konkurrenzfähigkeit, um des Profits der Kaufhäuser willen und natürlich wegen der Arbeitsplätze gibt es inzwischen einen sehr starken Druck auf den Siebten Tag. An vielen Stellen wurde dem Druck auch schon nachgegeben. Ist der Damm aber erst gebrochen, kann keiner mehr die Flut aufhalten.

Nein, liebe Gemeinde, es ist kein allzu weiter Weg vom Kreuz, das viele gedankenlos wie einen Schmück nutzen über die zahlreichen anderen Versuche, die uns noch verbliebenen christlichen Werte abzubauen und zu zerstören, bis zum Verhalten der angeblich frommen Juden, das der Prophet Jeremia im Auftrag Gottes damals anprangert und beklagt: "Nun verlasst ihr euch auf Lügenworte, die zu nichts nütze sind. Ihr lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt." Es sind wahrhaftig fremde Götter, denen auch wir heute huldigen: Sie heißen äußerer Schein, Konsum, Mode, Profit... Der alte Gott und sein Wort, der Gott dessen Sohn Jesus Christus uns am Kreuz erlöst hat von Sünde und Tod, ist längst aus unserer ehemals christlichen Gesellschaft, der Politik, den Zentren der Macht und den Medien vertrieben worden. Und auch in unserem persönlichen Leben als Christen und Christinnen stehen wir in größter Gefahr, uns vor den Götzen dieser Zeit niederzuwerfen und sie anzubeten. Oft merken wir gar nicht, dass wir es schon lange Zeit tun!

Liebe Gemeinde, gern würde ich ihnen jetzt noch einen erbaulichen, frohen Gedanken mitgeben. Aber ich weiß keinen, der nicht unwahr, unredlich und irgendwie aufgesetzt wäre. Das ist für mich selbst unendlich traurig und sehr bedrückend, was da in unserem Land, aber auch in unseren Gemeinden und in unserem persönlichen Leben in den letzten Jahren scheinbar unaufhaltsam und zunehmend seinen unheilvollen Lauf nimmt. Aber vielleicht können wir uns heute ja einmal darauf besinnen und beschränken, dass wir offen und ehrlich wahrnehmen, wie es ist, dass es an vielen Stellen so ist und wie sehr wir selbst auch in die Äußerlichkeit dieser Zeit verstrickt sind.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist vielleicht dies, was bei Jeremia am Ende steht: "Siehe, ich sehe es wohl, spricht der HERR." Vielleicht gibt uns Gott seinen Geist und die Kraft, dass wir uns dem doch entgegenstemmen können, was da seit Jahren ohne unseren rechten Widerstand über uns, unser Christentum und auch über unser Gewissen hinweg geht? Und vielleicht füllen wir auch nach Kräften das Kreuz der Christen, den Sonntag und alle bloß äußerliche Übung wieder mit echten Inhalten! Dass wir nicht nur am Kreuz als ein Stück Metall, nicht nur am Sonntag als eine Verlängerung der Alltagswoche oder zum ungestörten Konsumieren festhalten, sondern den guten Geist, den Anspruch und die ursprüngliche Bedeutung und Botschaft, wiederfinden, für die das Kreuz und der Sonntag stehen! AMEN