Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis - 28.7.2019

Textlesung: Jes. 43, 1 - 7

Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

Liebe Gemeinde!

Dieser Sonntag ist seit alters ein Gedenktag für die Taufe. Und zur Taufe passen die Worte des Propheten auch sehr gut. Besonders schön ist der erste Vers; der ist auch noch der Wochenspruch für diesen Sonntag: „So spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen: du bist mein!"

Nicht wahr, ein gutes Wort, und wunderbar passend zur besonderen Widmung dieses Sonntags: Denn seit wir getauft sind, müssen wir uns ja nicht fürchten. Seit wir getauft sind, weiß Gott unseren Namen. Seit wir getauft sind, gehören wir ihm und er hat uns erlöst.

Aber - so schön und richtig das alles ist - zunächst bleiben es nur Worte. Wie gewinnen sie wirklich Einfluss auf uns? Wie kann unsere Taufe also (wieder) kräftig werden in unserem Leben? Wie verändern uns diese guten Worte und machen uns fröhlicher oder mutiger: Fürchte dich nicht...?

Ich will ihnen etwas erzählen, eine wahre Geschichte, sie spielt in einem kirchlichen Freizeitenheim im Erzgebirge. Dieses Heim gehört der landeskirchlichen Gemeinschaft von Sachsen. Das Haus ist, nachdem es vor Jahrzehnten schon als Mühle ausgedient hatte - lange vor der Wende - ein christliches Haus geworden, in dem meist kirchliche Freizeitgruppen ein Wochenende, ein paar Tage oder auch zwei oder drei Wochen verbringen. Die Gästezimmer sind in diesem Haus nummeriert wie in anderen Heimen auch. (Selbst die „13" ist dabei, die man anderswo vermisst!) Nur hat man den Zimmern dort - zusätzlich zu den Zahlen - auch noch Namen gegeben, Namen von christlichen Tugenden wie Treue, Freude, Sanftmut, Frieden, Keuschheit… Außen an den Türen sind kleine Holzschildchen angebracht, auf denen die jeweilige Tugend in dunkelbrauner Schrift eingebrannt ist.

In diesem Haus hatte ein Pfarrer vor Jahren die Familienfreizeit seiner Gemeinde. Als er jedem am Anfang seinen Raum zugeteilt hat, musste er natürlich in erster Linie auf die Bettenzahl der Räume achten und ob sie etwa auch für Gehbehinderte leicht erreichbar waren. Keinesfalls aber - das hat der Pfarrer später den Freizeitern versichert - hat er dem einen oder anderen eine bestimmte Tugend zugewiesen, um vielleicht damit zu sagen: „Dir würde ein bisschen mehr Sanftmut oder Wahrheit guttun." Die Freizeitteilnehmer wussten also, dass die Zimmernamen mehr oder weniger zufällig verteilt worden waren. Trotzdem: Die Bewohner der Zimmer haben den Pfarrer dann doch gefragt, warum sie gerade diesen oder jenen Namen an ihrer Tür lesen konnten! Und auch der Pfarrer selbst hat lange darüber nachdenken müssen, ob es nicht vielleicht doch einen höheren Sinn haben konnte, was da an den Türen stand. Die Tugend an seiner Tür zum Beispiel war die „Besonnenheit". Mehr als einmal hat er überlegt, ob ihm das nicht wirklich fehlt oder ob er sich hierin nicht wenigstens noch vervollkommnen müsste. Mit der Bewohnerin des Zimmers „Sanftmut" hat er ein Gespräch darüber geführt, inwieweit sie wohl diese Eigenschaft nötig hat und auch sie meinte dann lachend, dass sie wohl noch eine gute Portion davon vertrüge. Andere wieder konnten weniger mit ihrer Tugend anfangen oder sie gefiel ihnen auch überhaupt nicht.

In jedem Fall aber sind damals die Freizeitteilnehmer nicht an den Namen ihrer Zimmer vorbeigekommen. Sie mussten sich mit ihnen auseinandersetzen, ob sie nun wollten oder nicht. Diese Namen waren sozusagen in den 14 Freizeittagen über ihrem Leben ausgerufen: „Bemühe dich um Treue!", hieß dieser Ruf vielleicht. Oder: „Sei ein bisschen besonnener, friedfertiger, fröhlicher!" Oder auch: „Denke an die Gnade, von der du lebst und gib sie als Barmherzigkeit an deine Mitmenschen weiter." Vielleicht zehnmal täglich sind die Freizeitteilnehmer ja durch die Tür mit der entsprechenden Aufschrift hindurchgegangen - klar, dass so das Auge immer wieder auf das Wort auf dem Schild gefallen ist: Liebe, Sanftmut, Treue, Zucht... Der Pfarrer jedenfalls hat am Ende der Freizeittage betont, dass er wohl sein Leben lang nicht mehr vergessen wird, dass ihn seine Tür damals so oft zur Besonnenheit gemahnt hat! Und - so fügte er lachend hinzu - er bemühe sich immer noch darum!

Liebe Gemeinde, was haben die Schilder an den Türen eines Freizeitheims im Erzgebirge mit der Taufe zu tun und mit dem Vers: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst"?

Ich glaube, über uns allen, die wir getauft sind, ist auch so ein Name ausgerufen. Nicht nur einer für 14 Tage oder eine begrenzte Zeit, sondern für unser ganzes Leben. Da steht also an der Tür unseres Lebens ein Wort von Gott. Ich buchstabiere es als: „Du bist getauft!" Oder auch: „Du bist Gottes Kind!" Andere lesen es wieder anders, aber es bleibt am Ende dasselbe. An unser aller Tür steht: Dass uns Gott geschaffen hat, dass wir ihm gehören, dass wir uns nicht fürchten müssen, dass wir bei ihm einen Namen haben, dass er uns erlöst hat... Und es ist alles so wie bei den Türschildchen im Haus dort im Erzgebirge: Wir finden das Wort über unserem Leben schon vor, wir können es nur wahrnehmen und vielleicht annehmen, dass es an unserer Tür steht: „Getauft, Gottes Kind".

Und auch das ist bei uns genauso wie in diesem Heim im Erzgebirge: Das mag uns gefallen oder nicht, mag uns anspornen, dass wir dem Namen über uns gerecht werden, oder wir lehnen uns dagegen auf. Vielleicht beglückt es uns ja auch zu wissen, dass wir Gott gehören? Oder wir meinen - in unserem menschlichen Übermut - das machte uns unfrei und wir könnten uns nun selbst nicht mehr so recht entfalten? Und schließlich ist auch das ähnlich wie bei den Türschildern im Freizeitheim: Täglich kommen wir mehrfach an diesem Wort vorbei, immer wieder fällt unser Auge ja doch darauf...müsste darauf fallen: Getauft - du gehörst zu Gott - wie lieb hat er dich, wie beschenkt er dich mit Brot und einem Zuhause, mit Menschen, die in deiner Nähe sind und mit 1000 guten Gaben. Und dass du „Gottes Kind" bist, kannst du an der Liebe ablesen, mit der dich Gott überschüttet, an den Talenten, die er dir mitgegeben hat, an jeder Bewahrung, die dir widerfährt, an deiner Lebensgeschichte bis heute, deinem Hab und Gut, allen Geschenken seiner Güte.

Gewiss, daran kann man auch mit verschlossenen Augen vorübergehen, wie an der „Treue", der „Gnade" und der „Liebe" auf den Türschildern der alten Mühle. Aber es steht da geschrieben! Es meint uns, und ist die Verheißung für unser Leben. Und wenn wir's beachten, dann kann es kräftig und bedeutsam für uns werden: „Getauft, Gottes Kind..."

Eins allerdings ist anders als bei den Türschildern im Freizeitenheim: Es ist nämlich ganz sicher kein Zufall, dass Gott uns ausgerechnet dieses Wort an die Tür unseres Lebens geschrieben hat! Im Gegenteil! Das war die festeste (und beste!) Absicht. Davon soll und davon darf jeder in seinem Leben ausgehen: „Ich bin getauft. Gott hat mich geschaffen. Ich bin erlöst. Ich muss mich nicht fürchten. Ich habe einen Namen bei Gott." Wenn wir uns darauf einmal einlassen, dass solche Worte an unserer Lebenstür geschrieben stehen, vielleicht gehen wir dann nicht mit geschlossenen Augen oder abgewandtem Blick an diesen Worten vorbei, sondern lassen sie uns sagen, lassen uns von ihnen verwandeln, täglich neu und versuchen ihnen in unserem Reden und Handeln, unserem Denken, Glauben, Lieben und Hoffen immer mehr zu entsprechen?

Das steht ein für alle Mal an der Tür unseres Lebens: So spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen: du bist mein! AMEN