Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis - 14.7.2019

Textlesung: Jh. 8, 3 - 11

Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Liebe Gemeinde,

dass die Geschichte wohl anders verlaufen wäre, wenn es sich um einen Ehebrecher gehandelt hätte, soll uns heute nicht beschäftigen. Wahrscheinlich wäre die Geschichte dann gar nicht erzählt worden, denn die damalige Männergesellschaft hätte im umgekehrten Fall kaum Anstoß an einer Treulosigkeit genommen. Wir wollen einmal auf das achten, was Jesus tut und sagt. Wenn es auch nicht sehr viel ist, er verhält sich nicht nur sehr geschickt, er lehrt uns auch den rechten Umgang mit der Schuld - der anderen und unserer eigenen.

Das weiß er gleich: Sie wollen ihm eine Falle stellen. Wenn er ablehnt, die Frau zu steinigen, dann stellt er sich über Mose und das Gesetz. Andererseits ist es für Jesus, den Heiland und Menschenfreund, ja auch ganz unmöglich, einer Steinigung zuzustimmen. - Er schweigt und er wird dabei nachgedacht haben. Dann aber weiß er, was er sagen muss: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!" Der Erfolg ist durchschlagend: Einer nach dem anderen trollt sich schweigend. Sie sind wohl in sich gegangen, mussten erkennen, dass sie auch manche Sünde begangen haben und jeder Stein, den sie werfen, auch sie selbst treffen könnte. - Aber Jesu Wort ist noch viel tiefer! Es hat nicht nur den oberflächlichen Sinn, dass die Männer über sich selbst erschrecken und ins Nachdenken kommen; es sagt auch etwas über das Recht, die Schuld anderer heimzusuchen - und wer allein dieses Recht hat. Denn gibt es wohl einen Menschen, der ohne Sünde ist? Darf also irgendeiner oder eine den ersten Stein werfen? Und um es ganz deutlich auszusprechen: Steht nicht Gott allein zu, unsere Schuld Schuld zu nennen und - wenn er das will - zu bestrafen?

Es hat zu allen Zeiten auch solche gegeben, die Anstoß an dieser Geschichte genommen haben. Wohlgemerkt nicht so, wie es von Jesu Antwort beabsichtigt ist! Nein, über Jesus selbst haben sich die Leute aufgeregt und geärgert: Heißt er eine Sünderin hier nicht eigentlich gerecht? Fördert er nicht die Liederlichkeit. Verharmlost er nicht die Schuld des Ehebruchs? Ja, gibt er nicht Anlass für alle Hörer und Leser dieser Geschichte, die Sünde nicht so ernst zu nehmen und vielleicht sogar munter drauflos zu sündigen - am Ende noch mit Jesu Wort als Alibi und Entschuldigung auf den Lippen: "So verdamme ich dich auch nicht"?

Liebe Gemeinde, solche Gedanken, wenn sie uns jetzt beschäftigen, zeigen eines ganz deutlich: Wir schlagen uns erst einmal ganz selbstverständlich auf die Seite der Ankläger, wir sind unter denen zu finden, die hier die Frau vor Jesus zerren. Jetzt stehen wir da und warten darauf, dass Jesus sie verurteilt. Und dann sind wir - wenn wir ehrlich sind - vielleicht auch nicht zufrieden mit diesem Wort: "Wer unter euch ohne Sünde ist..." Denn wie bei den Männern damals, so ist auch unser Denken und Dünken bestimmt von einer "Gerechtigkeit", die jedem zumisst, was seine Taten wert sind oder was wir meinen, das sie verdient haben. Damals hieß das: Eine Frau, die die Ehe bricht, muss gesteinigt werden. Heute heißt es vielleicht: Wer vor Gott schuldig wird, muss angemessen bestraft werden. Und damals wie heute gilt: Jede Sünde fordert ihre Strafe. - Damit aber gerade wollte Jesus aufräumen! Dieses Denken ist für ihn überholt - seit er in die Welt kam und seit Gott in ihm und durch ihn eine neue Gerechtigkeit verkündigt und schafft.

Wir wollen uns dieser Gerechtigkeit einmal nähern, indem wir uns auf die andere Seite begeben. Wir hören ja nicht sehr viel über die Frau, die sie beim Ehebruch ertappt haben. Aber wir können uns vorstellen, dass eine ganze Menge in ihrem Herzen und in ihrem Kopf vorgeht.

Bemerkenswert ist schon einmal, dass sie nichts leugnet, nichts abstreitet, nichts zu erklären versucht und sich auch nicht wehrt, als sie es in Jesu Hand legen, ob sie gesteinigt wird. Halten wir also fest: Sie weiß, dass sie schuldig ist! - Dass hier der Ehebruch oder irgendwelche anderen Sünden gefördert würden, davon kann schon einmal keine Rede sein. Die Frau steht zu ihrer Sünde. Vielleicht bereut sie ihre Tat sogar?

Und sie erwartet auch Strafe! Vielleicht hätte sie später, wenn die Männer die Steine aufgehoben hätten, gejammert und um Gnade gefleht. Aber jetzt schweigt sie. Sie weiß, was sie verdient hat. Sie weiß, was geschehen wird, geschehen muss... Und sie wird große Angst gehabt haben. Ja, vielleicht ist sie verstummt, weil ihr Furcht und Verzweiflung die Kehle abschnüren? - So können wir aus dieser Geschichte bestimmt nicht lesen, Jesus habe die Lässigkeit und die Liederlichkeit im Umgang mit der Sünde unterstützt!

Bleiben wir noch weiter auf der Seite dieser Frau: Sie sieht einen nach dem anderen schweigend davongehen. Das Unerwartete geschieht! Niemals hätte sie geglaubt, dass sie davonkommt, noch einmal das Leben geschenkt bekommt. Aber so ist es! Die Ankläger verlassen den Ort. Und mit ihnen weicht die Angst, die schreckliche Drohung des Todes, die Strafe... - Aber es weicht doch nicht die Schuld! Immer noch und immer weiter weiß die Frau doch ganz genau: Ich hätte fast den Tod erleiden müssen! Das wäre recht und meiner Tat angemessen gewesen nach dem Gesetz... Aber ich bin davongekommen, ich bin frei, ich habe Barmherzigkeit, Gnade erfahren! - Wird ein solcher Mensch nun weiter "drauflossündigen" und die Schuld nicht ernstnehmen? Oder wird er nicht vielmehr mit Tränen der Freude in den Augen vor sich selbst und vor Gott schwören, nie wieder zu tun, was ihn zum Sünder hat werden lassen?

Liebe Gemeinde, jetzt, jetzt erst hört die Frau aus Jesu Mund: "So verdamme ich dich auch nicht!" Hier wird kein verantwortungsloser Mensch bestätigt, der bei nächster Gelegenheit wieder leichthin Schuld auf sich lädt. Hier wird nicht von außen entschuldigt oder gerechtfertigt. Jesus spricht nur aus, was schon geschehen ist: Die Frau wird nicht verdammt, weder von Menschen, noch von Gott. Sie hat ihre Schuld gesehen, angenommen, getragen und bereut. Sie hat Gottes Erbarmen erlebt und seine Vergebung empfangen. Nun darf sie kein Mensch mehr bestrafen. - Die Ankläger müssen mit ihrem Verzicht auf die Steinigung nur nachvollziehen, was Gott schon beschlossen hat: Die Frau hat Gnade vor ihm gefunden, nun darf kein Mensch sie mehr verurteilen. Überhaupt ist unsere Sünde, die wir vor Gottes Gebot und Gesetz auf uns laden, immer zuerst eine Sache, die Menschen mit Gott entzweit und sie vor ihm schuldig macht. Und Gott will eben nicht in menschliche Hände geben, zu ahnden, heimzusuchen, zu bestrafen. Er will, wenn den Menschen ihre Schuld leid ist, barmherzig sein, verzeihen und neues Leben schenken. Es wäre gut, wenn wir anderen ihm dabei nicht im Wege stünden, wenn er den Menschen vergibt und ihre Füße auf neuen, weiten Raum stellt.

Aber noch einmal wollen wir uns in die Frau versetzen, die hier so viel Erbarmen erfährt: Hätte man sie gesteinigt, alles wäre zu Ende gewesen. Aber auch eine mildere Strafe kann doch nicht so viel erreichen wie die Barmherzigkeit! Wenn eine schlechte Tat die angemessene Sühne nach sich zieht, dann ist im Augenblick der Strafe, die Entwicklung an einen Schlusspunkt gekommen. Vielleicht fällt der Mensch in neue Schuld, muss wieder Strafe leiden, um dann wieder zu sündigen... Ganz anders, wenn er Gnade erfährt: Wird einer, dem die erwartete Strafe geschenkt wird, nicht dankbar sein. Und wird er aus dieser Dankbarkeit heraus sich nicht bemühen, die Güte dessen, der ihm die Strafe erlassen hat, zu rechtfertigen? - Um es so zu sagen: Die Frau, die beim Ehebruch ertappt worden ist, die ihre Schuld nicht geleugnet und die den Tod erwartet hat, die wird so schnell nicht wieder wegen einer Sünde vor Jesus erscheinen müssen! Ihr wird es ernst sein damit, wenn Jesus sagt: "Sündige hinfort nicht mehr!" - Wir anderen haben keinen Grund, ihr noch weiter vorzuhalten, was Gott ihr vergeben hat. Und schon gar keinen Grund haben wir, daran zu zweifeln, dass sie sich künftig bemüht, sich von der Sünde fernzuhalten. AMEN