Predigt zu Christi Himmelfahrt   -  30.5.2019

Textlesung: Jh. 17, 20 - 26
Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war. Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.

Liebe Gemeinde!

Was ist das doch für eine schwere Kost zum leichten Feiertag! Ist denn von diesen gewichtigen Worten aus den sogenannten Abschiedsreden Jesu überhaupt etwas bei Ihnen hängengeblieben? Wollen wir nicht vielleicht einen anderen, für unsere Ansprüche passenderen Predigttext suchen?

Eine andere Möglichkeit wäre es, dass ich Ihnen noch einmal das Wichtigste aus diesen Worten Jesu heraushole. Ich glaube, wir sollten diesen Weg gehen. Und es ist auch gar nicht viel, was hier vielleicht die Mitte der Verse ist: Jesus bittet für uns. Er wünscht sich und uns, dass wir alle eins sind. Und er sagt auch, wie uns das gelingen kann: Wie Jesus mit dem Vater im Himmel eins ist, so sollen auch wir mit ihm eins sein, wir sollen erkennen, dass Gott uns liebt, wie er seinen Sohn Jesus Christus liebt. - Ich denke, da ist nun doch einiges enthalten, was uns beschäftigen kann.

Aber, liebe Gemeinde, sind wir denn schon "eins"?

Wenn wir einmal auf unser Zusammenleben im Dorf (im Stadtviertel) schauen, dann wird uns schnell aufgehen: So un-eins wie heute waren wir wohl noch nie! Ich meine dabei nicht, dass wir miteinander zanken, uns böse Worte anhängen oder in ständigem Streit leben. Das gibt es vielleicht auch, ist aber eher die Ausnahme. Die Regel ist aber: Wir haben überhaupt heute wenig miteinander zu tun. In einem Hochhaus in der Stadt leben vielleicht 500 Menschen, aber sie leben meist alle für sich, sie kennen einander nicht und wollen sich auch gar nicht kennen. Im Viertel, in dem wir wohnen, ist es nicht anders. Wir bleiben anonym, wir gehen jeder unseren Weg, Kontakte über einen Gruß hinaus sind eher selten. Und auch in den Dörfern ist längst eingezogen, was man Individualismus nennt: Man geht seinen ganz eigenen Interessen nach, man tritt weit weniger als noch vor 30 oder 50 Jahren miteinander in Beziehung, man meidet zunehmend die Veranstaltungen und Angebote der Vereine, man bleibt bei sich und für sich. Man braucht einander ja auch nicht mehr so wie in früheren Zeiten: Jeder hat alles, was zum Leben nötig ist. Hat man sich vor 50 Jahren einmal die Axt oder ein landwirtschaftliches Gerät beim Nachbarn leihen müssen, so hat man heute doch alles selbst.

Das hört sich schon ein wenig trübe an. Und wir möchten jetzt sicher auf unsere Kirchengemeinde weisen und sagen, dass es da doch aber besser ist mit der Gemeinschaft. - Ich gebe Ihnen Recht und ich widerspreche Ihnen. Richtig ist sicher - und Gott sei Dank -, dass in der Kirchengemeinde der Zusammenhalt oft noch gut ist, besser jedenfalls als in der bürgerlichen Kommune in der Stadt oder auf dem Land. Nicht Recht aber kann ich Ihnen geben, wenn sie meinen, unter dem Dach unserer Kirchengemeinde sei doch noch alles wie früher. Nein, wir sind auch schon lange angekränkelt vom Zeitgeist! Schauen sie einmal in die Frauenabende oder die anderen Kreise der Gemeinden: Überall gehen die Teilnehmerzahlen zurück. Wenn Fahrten veranstaltet werden, fahren die Busse oft nur noch halb besetzt, wo vor Jahren noch Wartelisten für die Interessenten angelegt wurden. Und immer wieder gewinnt man in Gesprächen mit den Menschen den Eindruck, sie geben zwar in ihrem Reden der kirchlichen Arbeit noch eine große Bedeutung, nur decken sie das mit ihrem Leben und Handeln absolut nicht mehr. Da ist es eher so: Stell dir vor, die Gemeinde lädt ein - aber keiner geht hin. In diese bedrückenden Gedanken hinein hören wir nun die Stimme Jesu: "Ich bitte für die, die durch ihr Wort an mich glauben, damit sie alle eins seien." Und ich möchte uns alle einmal daran erinnern, wo zuletzt wir das erlebt, empfangen und gespürt haben: Dass wir zusammengehören, dass wir eine Gemeinde sind, die im Singen, Loben, Danken und Glauben eine Gemeinschaft ist, die denselben Herrn hat. "Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen..." Und ich möchte Ihnen ins Gedächtnis rufen, wie "herrlich" das war, wie wir uns gefreut und was wir gefühlt haben: War das nicht wunderschön - beim Gemeindeausflug, im Frauenkreis, bei den Senioren oder im Kirchenchor? Aber genau hieran knüpft sich für mich ein großes Rätsel: Warum nur sind immer wieder die anderen Einflüsse, der Zeitgeist und eben auch unsere eigene Gleichgültigkeit stärker, als diese Erfahrungen mit all dem Schönen und Beglückenden, das wir doch in unserer Kirchengemeinde erleben können - und eigentlich nur noch dort!

Wer kann das verstehen, dass die Frauen zu ihrem Kreis meist nur so unregelmäßig kommen. Man hat einen wirklich runden Abend miteinander erlebt, alle waren begeistert - beim nächsten Mal sind es nur noch halb so viele Frauen und alle sind traurig und niedergeschlagen darüber. Am nächsten Tag erfährt man dann, dass im Fernsehen eine Sendung geboten wurde, die viele nicht versäumen konnten. Im Frauenabend hätte sich die Gemeinschaft versammelt, vor dem Fernsehen war jeder allein. Oder schauen wir auf den Gottesdienst. Ich glaube schon, dass jede und jeder von uns sagen könnte: Wir haben schon sehr oft wirklich frohmachende Botschaft in unserer Kirche gehört. Wir haben manchen Trost und sehr viel Hilfe von hier mitgenommen, manche Anregung für unseren Glauben, viele gute Denkanstöße, die uns lange begleitet haben. Trotzdem: Wer lässt sich schon von seinem seit Jahren geübten Brauch des Kirchgangs abbringen? Wer geht denn auf einmal alle vierzehn Tage, wo er früher vielleicht einmal im Monat ging? Oder wer bleibt auch dann seinem persönlichen Besuchsrhytmus treu, wenn in der Woche vor dem Sonntag eine Beerdigung war, zu der man gegangen ist? - Und wir wollen da ganz ehrlich sein!

Ich will mir und uns allen weitere Beispiele ersparen. Es ist schon so, wir werden unserem eigenen Reden, unserer mit dem Mund bekannten Wertschätzung der Gemeinde und ihrer Gemeinschaft im gelebten Leben nicht gerecht. Jesus aber sagt: Vater, ich will "dass sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst."

Ja, liebe Gemeinde, es gibt eben auch noch diesen Gedanken: An uns sollen es auch die anderen Menschen begreifen, dass die Gemeinde der Christen etwas anderes ist, als die Menschen in einem Dorf oder einem Stadtbezirk, die ja nur Zufall oder Schicksal dorthin gestellt hat, wo sie heute stehen. Unter uns - in der Kirchengemeinde - soll es anders sein, muss es anders sein! Wir verlieren sonst die Strahlkraft. Wir geben sonst unser wichtigstes und wirksamstes Zeichen auf: Eben dass wir eins sind, beieinander, miteinander, zusammen als Kinder Gottes, als Geschwister Jesu und als Schwestern und Brüder untereinander.

Jesus sagt: "Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen." Wenigstens am Ende wird es jetzt noch ein wenig ermutigend. Es sind zwar Worte zum Abschied, die Jesus an uns richtet, aber er wird uns nicht ganz allein lassen: Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun... Jesus ist an und nach seiner Himmelfahrt nicht mehr leiblich bei uns, aber er ist doch immer in unserer Nähe. Er spricht zu uns, er hat Aufträge und Aufgaben für uns und er hilft uns auch, dass wir sie erfüllen können. Einer dieser Aufträge ist ganz gewiss, dass "wir eins sein sollen"! So wäre es schön und es könnte uns alle bereichern, wenn wir heute von hier mitnehmen, der Gemeinschaft in unserer Kirchengemeinde zu dienen. Sie so hoch zu halten, wie wir es mit unseren Worten ja schon lange tun. Sie zu pflegen und zu fördern, sie auch selbst zu teilen und allem mit Abwehr zu begegnen, was die Gemeinschaft schwächen oder gar zerstören will. Und das wird nicht nur unser Miteinander in unserer Gemeinde stärken! Das wird auch ausstrahlen nach draußen, in die Kommunen und Stadtteile, in die Dörfer und Städte. Denn die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist bei allen Menschen lebendig! Alle brauchen andere Menschen, mit denen sie erleben können, dass sie wichtig sind, dass man nach ihnen fragt, dass ihre Meinung zählt und nicht zuletzt: Dass sie geliebt werden.

Wie gesagt, das war heute schwere Kost zum leichten Feiertag! Aber ich glaube doch, dass wir wenigstens dies von heute bewahren können: Unser Herr Jesus Christus will, dass wir alle eins sind mit ihm, dadurch auch mit seinem himmlischen Vater und untereinander.

Er schenke uns Ideen, die unserer Gemeinschaft nützen, Engagement, sie auch wirklich umzusetzen und die Kraft, beharrlich bei ihm und seiner Gemeinde zu bleiben. AMEN