Predigt am 25.12.2018    -     1. Christtag

Textlesung: Jh. 3, 31 - 36

Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.

Liebe Gemeinde!

Diese Worte wollen uns heute nicht gefallen: Zu gewichtig, zu ernst, irgendwie gar nicht weihnachtlich. Und erbaulich, so dass sie uns froh machen sind diese Verse schon gar nicht: "Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm."

Jetzt könnten wir über etwas anderes nachdenken. Vielleicht den Spruch zum Christfest: "Und das Wort ward Fleisch, und wir sahen seine Herrlichkeit." (Jh. 1,14a) Da liegt doch viel mehr Freude darin! Aber da fällt mir auf, dass auch die Worte, die uns heute für die Predigt verordnet sind, einen ähnlichen Gedanken enthalten: "Das Wort war Fleisch und wohnte unter uns...; der vom Himmel kommt, der ist über allen..." Ja, ob wir einmal darüber nachdenken: Das Kind, dessen Geburt wir heute feiern, "kommt vom Himmel". Der Mann, der einmal aus diesem Kind wird, stammt von oben. Der Christus, der dieser Mann für uns geworden ist, ist von Gott! - Ich denke, da könnte doch etwas drin liegen: Ein Trost, ein Anstoß, Freude... Ja, denken wir dem ein wenig nach: "Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat..."

Wir sollten es nicht gleich abtun: "Kinderglaube, wir wissen doch, dass der Himmel überall ist!" Und wir müssen uns dessen auch nicht schämen: "Die Vorstellung vom Himmel passt doch nicht zu uns erwachsenen, aufgeklärten Christen!" Denn das gehört sehr wohl gerade zu diesem Weihnachtsfest: "Vom Himmel hoch, da komm ich her" (EG 24), haben wir vorhin gesungen - und uns doch gewiss nicht dabei gedacht, so etwas dürfte doch gar nicht über unsere Lippen kommen! Und die Weihnachtsgeschichte, die doch so alt ist wie der christliche Glaube selbst, spricht doch auch von einer Welt, die Oben und Unten, Erde und Himmel unterscheidet: "Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander..." Und wenn Engel auftreten, dann denken wir ehrlicherweise auch immer, dass sie aus dem Himmel kommen und darum ein Stück des Glanzes mitbringen, der ihnen als himmlische Wesen eigen ist: "Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr." Das kann also nicht zu kindlich sein oder unvernünftig, wenn unser Verstand diese Unterscheidung macht: "Erde und Himmel..." Aber es ist mehr! Auch unser Herz beharrt im Grunde darauf: Es gibt einen Himmel! Und schließlich ist uns diese Scheidung auch heute ganz selbstverständlich vorgelegt: "Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat..."

Mir kommt da eine ganze Menge von Gedanken und Bildern in den Sinn. Wenn es in der Weihnachtsgeschichte z.B. heißt: "Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 'Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.'" Ist das nicht noch einmal - und wie selbstverständlich für uns - dieses Oben-und-Unten-Denken? Ich habe das eigentlich seit meiner Kindheit immer so gesehen, dass die Engel dem himmlischen Kind sozusagen zum Abschied singen. Wenn wir dieses Bild noch ein wenig ausmalen, dann könnte es wohl sein, dass sich in das Lob der Engel auch viel Unverständnis gemischt hat. Die Angehörigen des himmlischen Heeres werden sich angesichts eines zugigen Stalls und eines Futtertrogs als Bett schon gefragt haben, ob das dem Gotteskind denn angemessen ist. Und wenn sie von "Wohlgefallen" singen, dann müssen sie gewiss gemeint haben: "Wie muss Gott die Menschen doch brennend lieben, dass er in diesem Bettelkind selbst zur Welt kommt."

Und genau hier liegt für mich das größte, unbegreiflichste Weihnachtswunder: Gott verlässt den Himmel. Gott gibt die Herrlichkeit eines glanzvollen Lebens auf. Gott wird Mensch - und dann auch gleich noch ein Arme-Leute-Kind. Und ich kann dahinter nichts als die unendliche Liebe zu uns Menschen entdecken - oder besser: fühlen - eine Liebe, die so unermesslich groß ist, wie der Himmel weit entfernt ist von der Erde. Aber das eben stimmt auch nicht mehr seit dieser Geburt im Viehstall: Denn der Himmel kommt herab zur Erde, Gotteswelt und Menschenwelt berühren sich.

Aber da ist noch eine Vorstellung, die finde ich auch sehr wichtig und sehr gut: In diesem Kind von Bethlehem kommen sozusagen auch die Gesetze des Himmels auf die Erde. Vielleicht können wir das so ausdrücken: Jesus bringt uns die Regeln, die im Himmel gelten. Und das sind nicht viele, eigentlich nur eine einzige: "Liebt Gott, euren Vater, und liebt einander!" Aber so einfach diese Regel auch ist, so groß und irgendwie so fern ist sie uns doch auch! Damals hat sie Jesus ans Kreuz gebracht. In den Jahrtausenden seitdem hat sie sich nie ganz durchsetzen können - auch nicht unter uns Christen. Und heute - man kann es so sagen - auch heute buchstabieren wir noch und immer wieder an ihr herum, der Liebe zum Mitmenschen, der Liebe zu Gott.

Aber es gibt da noch einen dritten Gedanken, der ist nun wieder sehr ernst und führt uns zurück zu den Versen, die über dieser Predigt stehen: Wenn es vielleicht für uns heute - wie zu allen Zeiten - nur darum ginge, die Regel des Himmels zu lernen, also die Liebe anzunehmen und in unserem Leben zu verwirklichen? Wenn unsere Aufgabe als Christinnen und Christen nur das wäre: In dieser harten Welt, in der nur die Stärke, der eigene Bauch und das Durchsetzungsvermögen zu zählen scheinen, der Liebe Gottes zum Sieg zu verhelfen? Wenn sich das Gott nun einmal in den Kopf gesetzt hätte, in dieser Welt sozusagen schon einen Vorraum des Himmels zu schaffen? Könnten wir dann nicht verstehen, wenn es von ihm heißt: "Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm." Ist, "an den Sohn glauben", etwas anderes, als seine Liebe annehmen? Ist diese Liebe abzulehnen, ja, zu verwerfen, nicht wirklich das Schlimmste, das Gottes gutem Plan mit uns und seiner Welt passieren kann? Wundert es uns, wenn Gott da zornig wird?

Aber noch ist es ja so - und in diesen Tagen kommen uns diese Bilder ja wie von selbst vor Augen: Im Kind in der Krippe geht Gott in diese Welt ein. Der Himmel kommt zur Erde. Wie um ihm den Anfang in der kalten Welt zu erleichtern, singen die Engel: "Ehre sei Gott in der Höhe!" Und sie werden froh gewesen sein, als sie ihren Auftrag über dem Stall von Bethlehem erfüllt hatten. Gern sind sie zurückgekehrt in die glanzvolle, friedliche Gotteswelt! Gott aber bleibt bei den Menschen. Er gibt ihnen in Jesus das Beispiel, das erstaunen macht. Wer die Faust ballt, dem streckt er die Hand hin. Wem Bosheit Freude macht, dem weist er sein Erbarmen. Wenn die Gerüchte und die Verleumdungen über einen hergehen, dann spricht er gut von den Menschen. Bei den Zöllnern sitzt er am Tisch. Auch den Reichen traut er zu, dass sie sich ändern. Er ergreift die Partei der Schwachen. Er stellt sich vor die Ehebrecherin und lobt alle, die sich auf Gott, nicht auf die eigenen Kräfte verlassen. Und das alles - auch wenn heute Weihnachten ist! - führt ihn ans Kreuz. Diese Welt will nach ihren eigenen Gesetzen leben. Die Regeln des Himmels werden abgelehnt - damals wie heute.

Aber - noch einmal: Im Kind in der Krippe kommt Gott zur Welt. Der Himmel kommt auf die Erde. Es ist Weihnachten. Alles ist wieder offen! Noch hat die Liebe nicht verloren. Im Gegenteil: Die Mienen der härtesten Menschen lockern sich. Die steinernen Herzen werden weich. Der Gottlose fragt, woran er sich halten kann. Der Starke, der niemanden braucht, sucht die Gemeinschaft. Der Reiche, der alles hat, nur keinen Frieden im Innern, will das Teilen lernen. Der Starre kommt in Bewegung. Der Selbstgerechte möchte Vergebung schenken und empfangen. - Es ist Weihnachten. Die Liebe kommt zur Welt. Gottes Himmel ist nah. Nur ein Schritt und wir sind drinnen. Nur eine Regel und wir haben den Himmel auf Erden. "Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben." AMEN