Predigt zum 3. Advent - 17.12.2000

(weitere Predigten, Texte, Lieder, Gedichte und die Predigt zum aktuellen Sonntag der laufenden Perikopenreihe unter: http://www.predigt-eichendorf.de/ )

Textlesung: Jes. 40, 1 - 11

Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat, daß ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet. Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

 

Liebe Gemeinde!

"Tröstet, tröstet mein Volk!" Was für eine Aufgabe! Da saßen die Verschleppten an den Wassern Babylons und weinten! Viele Jahre schon dauerte ihre Gefangenschaft. Fremde Menschen um sie herum, ein fremder Glaube, fern von ihrem Gott und dem Ort seiner Verehrung. Wer hoffte denn noch, einmal wieder die Heimat zu sehen? Wer konnte es denn glauben: Einmal werdet ihr zurückkehren? Bei wem war denn noch nicht die Zuversicht dumpfer Resignation gewichen? "Gott hat uns vergessen! Er hat uns fallen lassen! Wir sind nicht mehr sein Volk, seine Kinder, die er liebt!" - "Tröstet, tröstet mein Volk!?" Wie sollte das gehen?

Und wir? Wer erwartet denn noch mehr vom Leben, als daß es vielleicht noch ein bißchen so weitergeht, mehr oder weniger erträglich? Wem ist der Mut nach hundert Enttäuschungen noch nicht ausgegangen? Können wir uns den großen Aufbruch, die frohmachende Veränderung wirklich noch vorstellen....in unserem, in diesem Leben? Hoffen wir wirklich noch auf Liebe, auf ein bißchen Sinn oder wenigstens den Halt, an dem wir uns festklammern können? Sind nicht die Wünsche, die wir einmal hatten, längst begraben? Reden wir uns nicht lange schon ein, wir wären aber ganz zufrieden, so wie es ist und 'Hauptsache gesund'!? - Sind wir noch zu trösten?

Ein Mann, den ich kenne, hat vor Jahren einmal vorgehabt, zu studieren und Arzt zu werden. Er war sehr versessen auf dieses Ziel. Sein Leben ist dann aber so verlaufen, daß ein Studium nicht möglich war. Zu viel kam dazwischen: Der Tod der Eltern, die Liebe zu einer Frau, die Kinder... Er mußte in einem ganz anderen Beruf sein Geld verdienen. Nach und nach hat er seine Träume aufgegeben. Nach und nach hat er sich eingeredet: Aber, es ist ja auch so ganz gut! Mit den Jahren hat er sich getröstet. - Aber wirklich glücklich ist er nicht! Auch die Wunde, an die man nicht denken will, schmerzt von Zeit zu Zeit. Er hat sich zwar darein geschickt, aber sein Leben ist das immer noch nicht, das er führt. Er hat keinen wirklichen Trost gefunden.

Und eine Frau kenne ich, die wollte immer so gern einen Mann finden und Kinder haben, möglichst fünf oder sechs. Irgendwie hat sie nie den Richtigen getroffen. Inzwischen ist sie über dreißig; sie denkt nur noch manchmal an Familie. Im Gespräch mit ihr gewinnt man den Eindruck: Sie ist darüberweg. Sie sagt vielleicht: "Aber, ich könnte heute einen Mann und Kinder gar nicht mehr gebrauchen, bei meiner Stellung!" Nur in den Stunden allein kommt der ganze Jammer manchmal über sie. Dann weint sie und weiß: Wirklich getröstet ist sie nicht!
Dann gibt es da einen sehr alten Menschen in meiner Nähe: Er ist gute Wege gegangen und schlechte Wege. Wie andere auch. Nur: Ihm fällt es so schwer, das Böse seiner Jahre, "böse" zu nennen. Er kann nichts bereuen. Immer muß er nach Entschuldigungen suchen, selbst da, wo ihn keiner angeklagt hat. Ja, er ist wie besessen davon, Versäumtes zu verniedlichen und Begangenes zu bestreiten. Aber froh oder auch nur ruhig macht ihn das nicht. Immer wieder wird er davon anfangen, wie es gewesen sein soll, welche Rolle er dabei gespielt haben will... Wirklicher Trost liegt offenbar nicht in dem, was er sich einredet!

Und dann: Das Gottesvolk in Babel. Gefangen unter fremder Herrschaft. Gefangen zwischen Menschen, die eine andere Sprache hatten und andere Götter. Gefangen in einem Land, in das der Arm ihres Gottes nicht reichte, wie sie meinten. Gefangen in dunklen Aussichten und trostloser Zukunft.

Gewiß, manche in Babel führten kühne Reden: "Wir werden einmal zurückkehren!" Aber wodurch waren diese Worte schon gedeckt? Und bestimmt versuchten es andere auch damit: Aber wir haben unser Schicksal doch verdient! Nur: wem konnte das Mut schenken? Wirklicher Trost scheint mehr zu sein, als "sich trösten"!

"Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott." Hier ist mehr! Nicht: tröstet euch, wenn eure Lebenspläne scheitern, nicht: tröste dich, wenn du verstrickt bist in Schuld und die Last deiner Vergangenheit, nicht: tröstet euch, wenn eure Wünsche offen bleiben und eure Hoffnungen unerfüllt, nicht: tröste dich mein Volk, daß du's verdient hast oder weil du doch irgendwann wieder Freiheit atmen wirst... Nein! Ich will dich trösten, spricht dein Gott! Ich bin schon unterwegs! Horch! Hörst du nicht die Stimme des Rufers? Hörst du nicht ihr Predigen: Deine Schuld ist vergeben! Die Zeit deiner Schmach ist um! Die Strafe ist verbüßt! Hörst du's nicht, wie sie freundlich mit dir reden? Ich will zu dir kommen; ich will dich selbst trösten. Bereite mir den Weg! Laß mich zu dir gelangen! Räume beiseite, was mich hindert: Die Berge deiner Zweifel, den Wust all dessen, was du dir einredest und jedes Wort, mit dem du deine Schuld verharmlost. Das Tal deiner Ängste mag sich heben, deine Hoffnungslosigkeit soll der Zuversicht weichen, du sollst wirkliche Hilfe finden, "denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden". Ich bin auf dem Weg zu dir! Ich will dich trösten!
Wahrhaftig: Hier ist mehr als "sich trösten"! Hier ist der Trost, der uns zugesprochen wird. Hier ist Gottes Trost.

Der Mann, von dem ich erzählt habe, darf sich sagen: Das ist mein Leben, das ich lebe! Gott hat in ihm seine Aufträge an mich. Er hat es so gewollt und gerade mit dem Beruf, den ich habe, kann ich ihm dienen. Da, wo ich stehe, ist der Platz, an den er mich gestellt hat. Nichts daran war Zufall oder Pech oder gar böses Verhängnis. Und Gott kommt auch in diesem Leben auf mich zu: Bereite mir den Weg! Ich will dich besuchen, dir Trost und Fülle bringen!

Und die Frau darf wissen: Ich bin nicht erst in der Zukunft, die du dir erträumst! Ich bin jetzt bei dir. Dein Leben, so wie es ist, soll der Ort werden, an dem du mir dienst. Du bist reich an mir, gesegnet durch mich, erfüllt durch meine Aufgabe an dich. Hör' auf zu träumen, hör' auf zu ersehnen, was nicht sein kann... Hör' auf meine Stimme! Ich bin unterwegs zu dir. Ich habe den Trost für dich. Horch! Bald wirst du mir begegnen - und mit mir der Freude!

Und auch der Alte darf endlich freiwerden: Weg mit den Lügen und dem Selbstbetrug! Ja, die Vergangenheit hat viel Schuld gebracht; ja, auch ich trage an mancher Last; ja, auch meine Wege waren schlecht und unwahrhaftig; ja, ich habe Vergebung nötig und neuen Anfang! - Bereite meine Straße zu dir! Laß mich bei dir einziehen! Nimm dich an, wie du bist, schuldig und meinem Urteil verfallen - und nimm mich an: mein Ja zu dir, mein Verzeihen, das Geschenk des Beginns... So werde ich zu dir kommen. So empfängst du meinen Trost. Mach mir Platz bei dir!

Das Volk Gottes ist zurückgekehrt nach Jerusalem. Sie haben den Tempel wieder aufgebaut. Gott hat ihnen Zukunft eröffnet, alle seine Verheißungen wahr gemacht. Berge und Hügel wurden niedrig, Täler erhöht und Schiefes wurde eben. Die Herrlichkeit des Herrn ist offenbar geworden, wahrer Trost von Gott!

"Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott!" Wir mögen uns in Sorgen um unsere Zukunft verzehren - Gott hat sie in der Hand. Wir mögen vor den Trümmern unseres Lebens stehen - Gott kann daraus Freude und Fülle entstehen lassen. Wir mögen in Ängsten sein, uns in unbewältigten Krisen aufreiben, von Fragen gequält und von bösen Erwartungen bedroht werden... - Gott kommt zu uns und wird uns trösten!

"Bereitet dem Herrn den Weg! Die Herrlichkeit des Herrn soll offenbar werden und alle sollen es sehen, denn des Herrn Mund hat es geredet!"

Bereite auch du Gottes Weg zu dir! Er wird dich trösten!