Predigt am 5. Sonntag nach Epiphanias - 6.2.2000

(weitere Predigten, Texte, Lieder, Gedichte und die Predigt zum aktuellen Sonntag der laufenden Perikopenreihe unter: http://www.predigt-eichendorf.de/ )

Textlesung: Mt. 13, 24 - 30

Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, daß wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein! damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Laßt beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune.

Liebe Gemeinde!

Sicher könnte man viele Fragen an diese Geschichte stellen. Wer denn dieser "Feind" ist, von dem hier gesprochen wird, zum Beispiel. Oder wo denn der Grund dafür liegen mag, warum er das tut. Und vielleicht würden manche sogar fragen, ob diese Geschichte in der Zeit der Spritzmittel und der intensiven Landwirtschaft überhaupt noch so erzählt werden kann.

Aber wir spüren es: Diese Fragen gehen an der Mitte dieses Gleichnis' vorbei. Aber wo liegt die Mitte, der Kern, das Wichtigste in dieser kleinen Geschichte?

Ich glaube, das wichtigste hier ist dieser eigentlich ganz unscheinbare Satz: "Laßt beides miteinander wachsen bis zur Ernte!" Aber wenn wir an dieser Stelle ein bißchen genauer hinhören und -sehen, dann werden wir merken, wieviel Anstoß und sogar Ärger von dieser Empfehlung ausgehen!

Dieses Gleichnis ist ja nicht irgendeine Geschichte! Wir wissen, wer der Hausvater sein soll, denn wir kennen ja den, der hier erzählt. Gottes Acker wird hier beschrieben. Auf seinem Feld wächst miteinmal neben dem Weizen das Unkraut auf. Und es ist Gottes gutes Land, auf dem auch das Unkraut wachsen darf bis zur Erntezeit.

Gewiß: Es ist (nur) ein Gleichnis, und das darf man nicht so ganz genau untersuchen und in allen seinen Zügen und Einzelheiten ins Leben übertragen. Es kommt halt alles auf die eine Mitte, den Kern an. Und in dieser Geschichte mag es ja sinnvoll sein, das Unkraut bis zur Ernte stehen zu lassen. Gingen die Knechte durch die Saaten, wenn gute und schlechte Pflanzen noch klein sind, dann würde gewiß manches Wertvolle zertreten. Würde man die schlechte Frucht früher ausjäten, bevor sich bei der Reife und Ernte so richtig zeigt, was Unkraut und was Weizen ist, es würde viele Verwechslungen geben und manches Gute ausgerissen und manches Wertlose stehen bleiben. Das kann man in der Geschichte schon nachvollziehen.

Aber wenn wir das ins Leben übersetzen, ist das dann nicht sehr fragwürdig, ja eigentlich dumm und empörend! Gott, der Hausvater des Gleichnis', weiß doch sehr wohl, wer Unkraut und wer Weizen ist! Gott sieht doch das Herz an! Warum soll das "Unkraut" im Ackerfeld der Welt denn stehenbleiben dürfen? Warum soll es den Guten das Licht, die Luft und die Nährstoffe nehmen. Ja, warum darf es gar alles Gute überwuchern, überwachsen und erdrücken? Gott könnte den Knechten doch sagen, wie es um sein Feld, wie es um jede einzelne Pflanze bestellt ist. Er wüßte ganz genau zu unterscheiden: Dieser muß weg und jener darf weiterwachsen. Der bringt nie etwas rechtes hervor und muß ausgemerzt werden, die aber ist wertvoll und verspricht gute Frucht! Hier ist eine für das Feuer, dieser aber kann in Gottes Scheune gesammelt werden.

Liebe Gemeinde, wenn wir jetzt so sprechen, so hart und unbarmherzig, dann spüren wir es auf einmal: Wir dürfen nicht vergessen, daß auf einem richtigen Acker nur Pflanzen wachsen - auf dem Feld Gottes aber, das die Welt ist, sind Menschen ausgesät! Zum Weizen und zum Unkraut draußen auf dem Acker wird niemand eine besondere persönliche Beziehung haben. Die Menschen, seine Kinder, hat Gott, unser Vater, unendlich lieb.

Übertragen wir also dieses Gleichnis noch einmal - vorsichtig und angemessen: Ja, die "Bösen" dürfen bleiben. Auch sie dürfen "wachsen", leben und alle Gaben und Güter, die Liebe und die Güte des Vaters im Himmel genießen. Auch sie haben - wie die "Guten" - ihre Zeit, ihre Chancen und Möglichkeiten. Auch ihnen ist die Sache Gottes in Jesus Christus vorgelegt, daß sie sehen, erkennen, staunen und glauben. Auch sie spricht Gott immer wieder an. Auch auf ihre Schulter klopft Gott mit seinem Wink. Auch ihnen sagt er sein gutes Wort, daß sie sich anrühren und verändern lassen. Ja, es ist vielleicht dies der wichtigste, der entscheidende Unterschied zum Unkraut auf dem Feld: Daß die "Bösen"selbst wählen dürfen, wozu sie gehören wollen, daß sie nicht bleiben müssen, was sie einmal gewesen sind. "Böse" kann am Ende "gut" sein. Allerdings - und auch das müssen wir jetzt sehen und uns sagen lassen - aus "gut" kann wohl auch "böse" werden!

Aber was heißt das, "gut" und "böse", "Unkraut" oder "Weizen" - bei uns Menschen?

Ob wir für "gut" vielleicht die Nähe zu Gott und den Mitmenschen, wie sie ein Mensch hat, einsetzen dürfen? Und ob "böse" wohl heißt, daß einer ohne Gott leben will und sich um seine Nächsten nicht kümmert? Ob ein Mensch, der wie der "Weizen" ist, auch im Glauben und im Vertrauen zu seinem Schöpfer steht? Und ob man das "Unkraut" vielleicht daran erkennt, daß es weder eigenen Glauben hat, noch das Gottvertrauen anderer Menschen achtet, ja, es vielmehr belächelt, es für naiv hält und für Schwäche erklärt?

Ich weiß das auch nicht genau, was wir hier wohl sagen müßten, und ich finde es auch sehr schwierig, Menschen so in Schubladen einzuordnen und ihnen ein Etikett anzuheften: Du bist gut, du schlecht, du bist nur Unkraut und du der Weizen... Aber mir geht jetzt daran doch etwas auf: Was gut ist und was böse, ist ja noch gar nicht ausgemacht, solange beides miteinander wächst. Wir müssen nicht, ja, vielleicht dürfen wir gar nicht sagen, was auf dem Feld Gottes der "Weizen" und was das "Unkraut" ist!? Gott selbst will, daß beides stehen bleibt, bis zur Ernte! Es ist also noch Zeit! Der Acker und die Früchte auf ihm haben auch noch Zeit!

Wenn wir da jetzt noch einmal das Gleichnis befragen mit seiner Mitte, seinem Kern, daß beides - die gute Frucht und das Unkraut - wachsen darf bis zur Ernte, dann wird uns jetzt gewiß die befreiende, wunderbare Wahrheit dieser Geschichte deutlich: Es ist alles noch offen! Nichts und niemand ist schon festgelegt: So oder so bist du, bleibst du, wirst du immer sein. Jeder neue Tag, den Gott uns sehen läßt, ist auch die neue Chance, daß wir uns ändern, daß wir wachsen, Erkenntnis sammeln, der Wahrheit auf die Spur kommen, den Sinn unseres Lebens ahnen und die Aufgabe unserer Tage sehen, begreifen und erfüllen. Und wie die Pflanzen auf dem Feld dürfen wir uns emporstrecken zur Sonne, die uns Wärme schenkt und Licht, ohne das wir nicht wachsen können. Wir dürfen Nahrung aus dem Boden ziehen, die wir nicht bereitet haben, und Regen und Tau geben uns ohne unser Zutun das Wasser, das wir zum Leben brauchen.

Und an jedem Tag, in jeder Stunde kann es geschehen, daß einem, den wir im Sinne des Gleichnis vielleicht gerade noch "Unkraut" genannt hätten, die Güte Gottes zu groß wird: Er gibt seinen Widerstand, seine ewige Abwehr und sein ganzes Wesen, das ihn bist gestern bestimmt hat, auf. Und noch heute kann es auch sein, daß uns selbst endlich die wahre Bestimmung unserer Tage aufgeht. Dann werden wir manches für Dreck halten, was uns jahrelang so beschäftigt hat und anderes, was uns immer gleichgültig war, als den kostbarsten Schatz entdecken. Und morgen vielleicht wird es wahr, daß ein Mensch in unserer Umgebung nur noch ein Ziel sieht und alles daransetzt, es zu erreichen, nämlich mit Gott im Reinen und mit den Nächsten in guter Gemeinschaft zu leben.

Alles ist noch offen. Aus gut kann schlecht werden und aus böse gut. Was gestern noch Weizen war, kann sich heute als Unkraut erweisen. Aber das Unkraut von heute kann morgen gute Frucht sein. Alles ist möglich, alles noch im Werden und Wachsen. Niemand von uns wird festgelegt und niemand darf einen anderen festlegen: So bist du. Selbst Gott will es sich verwehren, uns heute schon zu beurteilen. Selbst Gott läßt uns frei - zu werden, was wir heute noch nicht sind und morgen vielleicht zu sein, wie er uns immer gemeint hat. "Da sprachen die Knechte: Willst du denn, daß wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein! Laßt beides miteinander wachsen bis zur Ernte."

Alles ist noch offen. Alles ist möglich. Niemand wird festgelegt. Wir dürfen wachsen, uns ändern, Menschen werden, die Gott nah und den Mitmenschen verbunden leben. - Welche Güte, die uns so viel Zeit gibt! Was für ein großzügiger, geduldiger Gott!