Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis - 2.7.2017

Textlesung: Lk. 15, 1 - 7.8 - 10

Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet?

Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte.

So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Liebe Gemeinde!

Zwei einfache kleine Geschichten. Nur: sprechen sie auch zu uns?

Wer kann sich das denn wirklich vorstellen: Ein Schaf von hundert verlieren und es dann wiederfinden. Wer von uns hat denn eine Schafherde? Und wenn? Die Herden in unseren Tagen, wenn sie wie damals den Lebensunterhalt sichern sollten, müssten wesentlich größer sein. 500 oder 600 Tiere vielleicht. Und bei solchen Zahlen ist der Verlust eines einzigen Tieres auch nicht mehr so schlimm, vielmehr von vornherein eingeplant.

Und auch das Gleichnis vom "Verlorenen Groschen" kommt uns heute nicht so nah wie damals. Wir würden wegen vielleicht 10 Cent sicher nicht solch eine Suchaktion starten. Zur Zeit Jesu war ein Groschen allerdings der Lohn eines Tagelöhners für die Arbeit eines ganzen Tages und er sicherte das Leben der ganzen Familie. Von daher verstehen wir schon besser, warum die Frau so viel Aufwand treibt, den Groschen wiederzufinden und sich so freut, als sie ihn gefunden hat.

Und trotzdem bleibt uns das fremd: Ein Schaf ... ein Groschen ... Wie könnten wir die beiden kleinen Geschichten heute erzählen, so dass klar wird, was sie uns sagen wollen? Vielleicht so:

Wer unter euch, der viele hundert Bücher in seinen Bücherregalen stehen hat, aber ein für ihn einmal ganz wichtiges Wort aus einem dieser Bücher vergessen hätte, würde nicht die ganze Bibliothek durchsuchen, nur um dieses eine Wort wiederzufinden. Während er sucht, würde er immer wieder seine Gedanken bewegen und sich anstrengen, ob er nicht doch darauf kommt, in welchem Roman, in welchem Gedicht oder in welchem Zusammenhang dieses Wort gestanden hat. Und er würde sich erinnern, wie dieses Wort ihn getröstet und ihm Ruhe ins Herz und Frieden in die Seele gegeben hat. Und während der Suche würde die Sehnsucht immer größer werden, dieses wunderbare Wort wiederzuentdecken. Und wenn er's dann endlich gefunden hätte, dann wäre er überglücklich: Der Friede zöge wie damals wieder ein in sein Herz, seine Seele käme zur Ruhe und er wüsste, dass es sich gelohnt hat, die Zeit und die Mühe für die Suche aufzuwenden. Und sicher würde er dieses Wort jetzt nie mehr vergessen.

Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Menschen, der zu Gott findet.

Oder wer unter euch, der einige Schuhkartons voller alter Fotos in seinem Schrank stehen hat, aber sich seine geliebte Großmutter nicht mehr vorstellen kann, würde sich nicht hinsetzen und einen Karton nach dem anderen aufmachen und ein Bild nach dem anderen herausnehmen und ansehen? Und während der Suche würde das Gesicht der Großmutter immer wieder schemenhaft vor seinem inneren Auge auftauchen, er würde versuchen es festzuhalten, aber es würde ihm nicht gelingen. Wenn er dann endlich - und wenn es in der zehnten Kiste wäre - das Bild gefunden hätte, wie froh wäre er doch. Sicher würde er seinem Partner, seiner Partnerin, dem Freund, der Freundin und vielleicht noch anderen Menschen davon erzählen, wie sehr er sich über das Bild freut und dass er sich seine Großmutter jetzt wieder vorstellen kann, was er mit ihr erlebt hat und was sie ihm immer noch bedeutet.

Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Menschen, der zu Gott findet.

Liebe Gemeinde, vielleicht haben wir jetzt doch schon ein bisschen besser verstanden, worum es geht und diese Geschichten sind uns nicht so fremd gewesen wie die von damals, die Jesus vor 2000 Jahren erzählt hat. Aber es bleiben dabei ja doch mindestens drei Fragen offen. Zuerst die, warum man sich im Himmel derartig freut, wenn ein Mensch Vergebung und einen Neuanfang sucht und den Weg zu Gott findet? Verbunden damit ist die zweite Frage: Warum haben wir Menschen überhaupt die Möglichkeit mit auf unseren Lebensweg bekommen, Gott zu verlassen und ihn über lange Strecken unseres Lebens zu vergessen - manchmal sogar für immer? Schließlich ist eine dritte Frage sicherlich, ob Gott selbst uns denn dahin bringt, dass wir uns auf die Suche nach ihm begeben? Mit den alten und neuen Geschichten gesprochen: Macht Gott es, dass sich das Schaf verläuft, wir den Groschen verlieren oder dass uns das wunderbare Wort entfällt und wir das Gesicht der Großmutter vergessen?

Fangen wir bei der letzten Frage an: Ja, ich glaube fest, dass Gott uns immer wieder einmal in solche Situationen führt, in denen uns bewusst wird, dass uns etwas fehlt, dass wir etwas nötig brauchen, dass wir die Mitte oder den Sinn unseres Lebens verloren haben. Der Eifer, die Sehnsucht oder manchmal auch die Verzweiflung, mit denen wir uns dann auf die Suche machen, zeigt es uns selbst dann ganz deutlich: Hier ist Gott mit und an uns am Werk. Hier handle nicht ich durch eigenen Antrieb oder nur aus einer Laune heraus. Und wenn wir dann am Ziel der Suche sind, wenn wir gefunden haben, was uns gefehlt hat und was wir schmerzlich vermisst haben, dann bestätigt uns die Freude, der innere Frieden oder der Trost, den wir gewinnen, dass hier ein anderer seine gütigen, liebevollen Hände im Spiel hatte.

Die zweite Frage: Warum wir als Geschöpfe Gottes unseren Schöpfer verlassen und vergessen können? - Weil wir freie Wesen der Schöpfung Gottes sind und sein wollen! Stellen wir uns doch nur vor - aber wir können es uns eben gar nicht vorstellen! - wir müssten alles tun, was unser Lebensplan für uns vorsieht, so wie Marionetten an den Fäden in der Hand eines Puppenspielers seinem Willen folgen müssen. Nein! Es macht unser Leben erst interessant und lebenswert, dass wir frei sind, dass wir in jeder Lebenslage gefragt sind, was wir tun wollen, dass wir entscheiden können, wenigstens mitentscheiden, in welche Richtung wir gehen und was unser Ziel ist. Dass unsere Freiheit dabei ihre Grenzen an den Gesetzen der Natur und an der Freiheit der anderen Menschen hat, das gehört auch zur Ordnung der Schöpfung, die uns vorgegeben ist. Aber innerhalb dieser Ordnung ist durchaus genug Raum, dass wir uns frei entfalten und - das ist nur die andere Seite - dass wir uns einnehmen und fangen lassen, von unseren eigenen Trieben, unserem Egoismus, von Versuchungen, bösen Gedanken und Absichten.

Von daher beantwortet sich nun auch die dritte Frage: Warum so viel Freude im Himmel ist, wenn Menschen zu Gott (zurück-)finden: Weil die Mächte, die uns das Herz von Gott abwenden, eben sehr stark sind. Die Einflüsterungen, wir hätten Gott und gar seine Vergebung nicht nötig, sind sehr laut. Die Gedanken, das Ziel des Lebens wäre eher in Besitz, Erfolg, persönlichem Ansehen und Einfluss zu finden, können uns leicht auf falsche Wege führen. Die Verlockung, sich auf die eigenen Kräfte zu verlassen, es selbst machen zu wollen, ist gewaltig. Aber - und das wollen uns alle vier Geschichten aus alter und neuer Zeit sagen - alles das ist nicht unausweichlich und nicht unwiderstehlich!

Darum ist es gut, die Möglichkeiten zu einem Neuanfang, die uns Gott schenkt, zu nutzen. Wenn uns Gott sozusagen an die Abzweigungen unserer Lebenswege einen Wegweiser hinstellt oder uns gar selbst entgegentritt, dass wir nicht den falschen Pfad wählen, dann sollten wir das achten und als Chance begreifen, die Richtung zu ändern und ein neues Ziel ins Auge zu fassen. -

Liebe Gemeinde, wer weiß, ob wir nicht heute an einer solchen Abzweigung stehen? AMEN