Predigt am "Pfingstmontag" - 5.6.2017

Textlesung: 1. Mose 11,1-9

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! - und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.

Liebe Gemeinde!

Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn Menschen ein gemeinsames Werk anpacken. Sind sie nicht zu bewundern, die Leute von Babel? Wünschten wir uns nicht ähnlich viel Engagement in den Gemeinschaften, in denen wir leben und bei der Sache, die wir vertreten? In der politischen Arbeit der Partei, der wir angehören, unserem Dorf vielleicht, unserem Stadtviertel, unserem Verein? Mit dem Einsatz all ihrer Kräfte gehen sie an die Arbeit. Babel soll Bestand haben. Der Turm soll zum Zeichen ihrer Einheit werden. Ein großes Mahnmal, das alle erinnert: Nur gemeinsam sind wir stark. Nur gemeinsam können wir etwas erreichen. - Haben sie nicht Recht, die Turmbauer? War's nicht eigentlich ein gutes Vorhaben? Ist es nicht schön, wenn jeder seinen "Ziegel" zur gemeinsamen Sache beisteuert?

Aber dann dieser Ausgang: Gott steigt herab, fährt mitten hinein in die Anstrengung der Gemeinschaft. Er verwirrt ihre Sprache, keiner versteht mehr den andern. Das große Werk musste scheitern. Gott selbst hat es zerstört. Warum nur?

Überlegen wir einmal, wie es weitergegangen wäre, ohne das Eingreifen Gottes. Aber bleiben wir ganz nüchtern und machen wir uns nichts vor: Die Leute von Babel hätten weiter Stein auf Stein gesetzt. Meter um Meter wäre der Turm gewachsen - und der Hochmut der Erbauer! Zuletzt, auch ohne den Himmel zu erreichen, wäre oben, auf der höchsten Zinne Jubel laut geworden. Ein Festgottesdienst? Dankgebete, Lobpreis Gottes, der seinen Segen gab und das Werk gelingen ließ? Wohl kaum. Wir würden andere Töne hören, sehr menschliche Gesänge. Den vielstimmigen Chor der Überhebung, das Lob der eigenen Kräfte, den Selbstruhm: Wir haben's geschafft. Wir haben uns einen Namen gemacht, der höher ist als der aller Mächtigen der Erde und des Himmels. Seht unseren Turm, gewaltig steht er da, ein gigantisches Denkmal unserer Größe. Wir haben ihn gebaut, wir, die Leute von Babel.

Man muss kein besonderer Menschenkenner sein, um zu wissen, dass es beim Turmbau nicht geblieben wäre. Nur zu bald hätte es vom Turm herunter geklungen: Herbei, wir wollen nicht mehr Ziegel brennen und Mörtel rühren. Herbei, lasst uns Waffen schmieden und Streitwagen bauen. Lasst uns die Städte und das Land ringsum mit Krieg überziehen. Wir haben diesen riesigen Turm gebaut, wir haben uns einen Namen gemacht. Uns gebührt die Herrschaft, uns, den Leuten von Babel.

So gesehen, bei diesem Fortgang der Ereignisse, war's ja nur gut, dass Gott einer solchen Entwicklung zuvorkam. Sein Eingreifen hat Schlimmeres verhindert. Die Verwirrung der Sprache hat die Vollendung des Turms unmöglich gemacht. Das Symbol der Überhebung des Menschen, der sein will wie Gott, der Macht und Herrschaft an sich reißt, konnte vernichtet werden. – Aber, liebe Gemeinde, war es ein durchschlagender, ein bleibender Erfolg?

Die Sprachverwirrung zumindest war von Dauer - bis heute. Der Osten versteht den Westen nicht, die Reichen nicht die Armen und wir oft nicht unseren Nachbarn. Häufig reißt gar jedes Gespräch ab. Dann lassen die Staaten die Waffen sprechen. Dann blüht die Gewalt, die militärische Stärke und Überlegenheit. Dann wird mit den Rohstoffpreisen oder denen für die westlichen Industrieprodukte den ärmeren Ländern dieser Erde Entwicklung ermöglicht oder sie werden in Abhängigkeit und Armut gehalten. Und auch in unserem täglichen Leben versteht ja oft keiner mehr den anderen, weil wir in fremden Sprachen sprechen. Da redet der politische Einfluss, die guten Beziehungen, die Höhe des Bankkontos, da sprechen Ellenbogen und manchmal Fäuste.

Eines freilich hat die Verwirrung der Sprachen nicht erreicht. Wir haben nie aufgehört Türme der Überhebung zu bauen. Das Unternehmen 'Babel' lief weiter durch die Geschichte der Jahrtausende. Und selten ist es beim Ziegelbrennen geblieben. Gewalt und Unterdrückung kam noch immer im Gefolge. Und heute? Die ganze Gegenwart ist voll vom Geschrei der Turmbauer: Herbei, wir wollen uns ein Denkmal setzen. Herbei, Gewerkschaftler, wir zeigen's den Arbeitgebern. Herbei, Bankiers und Industrielle, wir zeigen wer am Drücker sitzt. Herbei, all ihr Fußballer von unserem Verein, wir zeigen's den anderen, wer aufsteigt! Herbei, all ihr Menschen, die ihr mit uns derselben Meinung seid, wir zeigen es den Ewig-Gestrigen... Herbei, herbei...

Und oben, von den Zinnen der Türme tönt's in der Sprache der Propaganda, der Hetze: Die andern sind unser Untergang, die andern wollen uns das Blut aussaugen, die sind gegen uns, was können wir denn dafür, an uns soll es doch nicht liegen, die auf der anderen Seite haben Schuld, wenn das gute Miteinander, Kameradschaft, Brüderlichkeit und Menschlichkeit scheitern.

Wo lassen sich eigentlich die Christen hören? Immerhin gibt es auf der Welt 800 Millionen davon! Mir scheint, wir legen bei so manchem Turm mit Hand an. Wir sprechen oft willig die Sprache derer, die gerade an der Macht sind, am längeren Hebel sitzen, die sich sowieso am Ende durchsetzen werden, mit denen es doch von Vorteil ist, sich zu verstehen und gut zu stellen...

Aber ganz tief drinnen in unserem Herzen ahnen wir es, wissen wir es: Es wäre eigentlich unsere Aufgabe, den Turmbauern überall zuzurufen: Hört auf damit, lasst das sinnlose, überhebliche Bauen, gebt's doch endlich auf, euch selbst einen Namen machen zu wollen.

Liebe Gemeinde, fragen wir doch einmal von der anderen Seite her: Haben wir das eigentlich nötig, uns einen Namen zu machen? Gibt's in einem letzten Sinn etwas zu verdienen für uns? Liegt etwas daran, mehr zu sein, besser, stärker als unser Mitmensch?

Sind wir nicht getauft? Hat nicht Gott zu uns gesprochen: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein? Dieser Name, den wir alle tragen, will uns Mut machen, nein zu sagen, wenn die Turmbauer an uns herantreten und mit Macht und Einfluss locken, mehr zu sein als andere, besser oder stärker; wenn sie uns zurufen: Mach mit, wir wollen uns ein Denkmal setzen. Dass Gott uns beim Namen nennt, ist genug für uns, mehr brauchen wir nicht, in Ewigkeit nicht.

Und wissen wir nicht, seit Jesus für uns ans Kreuz ging, dass wir alle nichts verdient haben und verdienen können? Bei Gott geliebt sind wir! Er tritt für uns ein und will uns zu seinen Kindern machen. Können wir mehr werden als das: Kind Gottes und Erbe bei ihm?

Liebe Gemeinde, wenn wir beginnen, darauf zu vertrauen, welchen Namen wir bei Gott haben und was wir bei ihm gelten, dann werden wir auch das andere lernen: Die eine Sprache der Kinder Gottes. Diese Sprache wird überall auf der Welt verstanden, denn Liebe und Frieden brauchen keine Dolmetscher. Wo wir uns bemühen, Liebe zu üben und Frieden zu halten, treu zu sein, auch in unserem kleinen Bereich, in der Familie, unserer Nachbarschaft und hier in unserer Gemeinde, tragen wir mit dazu bei, dass die eine Sprache Gottes einmal international wird. An uns will's unser Nächster lernen, was es heißt, von Gott den Namen zu haben. An uns soll er sehen können, dass wir zufrieden sind mit dem, was Gott uns schenkt und wie hoch er uns achtet.

Wir müssen ihm das ganze Alphabet der neuen Sprache vorbuchstabieren, und beim Vorsagen wird's nicht bleiben dürfen, denn die Sprache Gottes ist lebendig. Sie lehrt uns zupacken. Nicht bei den babylonischen Turmbauten, an denen allerorten - auch in unserer Zeit - gearbeitet wird, sondern da, wo unser Mitmensch Not leidet, wo Schmerz und Verzweiflung herrschen. Da wird dann bald auch das Lob Gottes Worte finden, wenn unser Nächster fragt, warum wir uns denn für ihn einsetzen, woher wir die Kraft haben, ja, was uns eigentlich antreibt?

Herbei, liebe Gemeinde, lassen Sie uns die neue Sprache lernen! Herbei, lassen Sie uns ein Denkmal bauen, keines der Überhebung, eines zur Ehre Gottes, von dem wir den Namen haben! AMEN