Predigt zum Letzten Sonntag nach Epiphanias - 5.2.2017

Textlesung: 2. Mose 3, 1 - 14

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: "Ich werde sein", der hat mich zu euch gesandt.

Liebe Gemeinde!

Was diese Geschichte ihrem Inhalt nach angeht, können wir sie nur hören und hinnehmen. Wahrscheinlich kennen wir diese Sache mit dem "Brennenden Dornbusch" schon aus dem Kindergottesdienst oder dem Religionsunterricht der Grundschule. Und eben weil wir sie kennen, werden wir eben beim Hören mehr auf einzelne Gedanken und Worte geachtet haben. Mir ging's genauso. Und das, worauf wir achten, hat sicher immer mit unseren Erfahrungen zu tun, die wir so machen. Die Erfahrungen sind ja immer der Hintergrund, vor dem wir alles sehen, hören, erleben, was uns begegnet. Was nun jede und jeder von Ihnen in der vergangenen Zeit gehört und erfahren hat, weiß ich nicht. Darum kann ich auch nicht wissen, welche Gedanken eben bei Ihnen haften geblieben sind. Bei mir selbst aber weiß ich das. Ich habe deshalb auch schnell verstanden, warum ich beim Lesen ausgerechnet an diesem Wort hängengeblieben bin - oder besser an diesen zwei Worten: "Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe aus, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land." Und: "Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt."

Ich kann mir jetzt denken, Sie wundern sich etwas über die Auswahl gerade dieser zwei Gedanken. Ich werde dazu auch noch kurz erzählen müssen, woran ich denn denken musste, als ich diese Worte gelesen habe.

Ich habe in den letzten Tagen von einer Frau gehört, die vor einiger Zeit ihr einziges Kind auf ganz furchtbare Weise verloren hat als es sechs Jahre alt war. Die Art dieses Todes war so grausam und brutal gewesen..., Sie ersparen mir nähere Einzelheiten. Ich will hier keinen Krimi erzählen, sondern predigen.

Es war jedenfalls für mich ganz und gar erstaunlich, dass diese Frau heute, wie ich hörte, völlig ruhig davon sprechen kann, was ihr widerfahren ist, ohne Hader mit Gott, ohne Vorwurf gegen ihn oder den Menschen, der den Tod des Kindes damals verursacht hat. Im Gegenteil: Sie hat selbst in diesem schrecklichen Geschehen den Segen Gottes entdeckt, und sie ist heute ein fröhlicher Mensch, der im Glauben an Jesus Christus seine Lebensmitte gefunden hat und im Dienst an den Mitmenschen.

Gut - könnte man sagen - das liegt ja anscheinend schon Jahre zurück. Die Zeit heilt Wunden, selbst die schlimmsten. Aber die Frau hat glaubhaft berichtet, sie wäre schon bei der Beerdigung ihres Kindes soweit gewesen, dass sie ihren Frieden mit Gott gemacht hat und wusste, dass ihr Kind jetzt geborgen ist bei ihm und dass ihr Leben noch Sinn und neue Aufgaben und Inhalt haben wird. Und schon am Grab ihres Mädchens hat sie geahnt, dass von diesem bösen Geschehen ein Segen für sie und durch sie ausgehen wird.

Sicher eine ganz ungewöhnliche Lebenserfahrung. Aber was will ich damit sagen und wie hat das mit diesen beiden Worten zu tun: "Zieh deine Schuhe aus...; ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihre Leiden erkannt..."?

Das erste ist dies: Es gibt solche Erfahrungen. Sie müssen gar nicht so extrem sein, um uns schrecklich und tief zu verletzen. Und ich weiß, viele von Ihnen mussten schon Dinge erleben, die sie ganz nah an den Abgrund geführt haben, an den Zweifel und die Verzweiflung. Und wer von uns bisher in seinem Leben von solchem Geschick verschont geblieben ist, der kann sich das vorstellen, wie das sein mag: Sein Kind zu verlieren oder sonst einen lieben Menschen, jahrelang ohnmächtig mit ansehen zu müssen, wie ein Angehöriger an einer schlimmen Krankheit leidet und dahinsiecht oder auch selbst geschlagen zu sein mit lebenslänglicher Behinderung. Das gibt es. Und Sie wie ich kennen Menschen, die darüber ihren Gott, ihren Glauben und allen Lebensmut verloren haben, ja, vielleicht ist es uns selbst schon so gegangen?

"Zieh deine Schuhe aus...hier ist heiliges Land...hier ist dein Gott, der Herr, der dich geschaffen hat." Was mir das sagt, liebe Gemeinde, ist dies: Es gibt Dinge, Erfahrungen, die uns auferlegt werden und begegnen, die uns in einen Bereich führen, der heilig ist, der geheimnisvoll ist und sich unserem kleinen, menschlichen Verständnis und unserer Beurteilung entzieht. Das ist der Bereich Gottes, der Raum, in dem er wirkt und handelt - eben heiliger Boden, den wir nicht mit unseren Schuhe berühren dürfen. Wir können uns diesem Raum nur ehrfurchtsvoll und sehr behutsam nähern. Hier wohnt der heilige Gott. Hier ist seine Macht spürbar. Die besondere Nähe Gottes an diesem Ort verbietet allen groben Zugriff.

Aber es ist nun leider in dieser Zeit so, dass wir uns allen Dingen - und noch den heiligsten! - hemmungslos und ohne die nötige Demut nahen: So machen wir's mit den wunderbaren Vorgängen um Zeugung und Geburt, die wir mehr und mehr entzaubern und in Reagenzgläsern und auf Operationstischen hantieren. Den Geheimnissen der Natur, die wir mit dem Maßstab von Nutzen und Ertrag beurteilen, ergeht es nicht besser. Selbst die verborgenen Regungen der Seele erklären wir für Abläufe im chemischen Haushalt des Körpers, die wir mit Drogen und Medikamenten regulieren können. Und ist nicht selbst der Glaube der Christen schon oft genug heruntergezogen worden zu einer Verirrung von der Kirche fehlgeleiteter Menschen oder einem Opiat wunderbedürftiger Schwächlinge?

Wirklich: Es gibt wenig, was wir nicht in den Dreck gezogen und entweiht haben. Aber das hat ja nichts daran geändert, dass es die Bereiche des Lebens und in unserer Beziehung zu Gott gibt, die heilig sind, unantastbar, über alle Maßen ehrfurchtgebietend!

Und ich glaube nun, das Geschick, das Gott uns zuteilt, ist solch ein heiliger Boden, auf den wir nur - sozusagen barfüßig - in großer Ehrerbietung und sehr sachte treten dürfen. Hier handelt Gott. Hier ist heiliger Bereich.

Ich weiß schon, was wir hierzu denken: "Aber hat Gott uns denn nicht die Freiheit gegeben, alle Dinge zu erforschen, zu hinterfragen und in jeglichen unbekannten Raum vorzustoßen?" Und ich antworte: Jawohl, das hat Gott! Aber: Wir machen mit unseren ungeschickten Fingern und Fragen so leicht alles kaputt. Wir sagen: Das kann Gott nicht zulassen. Wenn Gott so handelt, dann ist er kein "lieber", kein "guter" Gott. Wir können unser Geschick nicht mit Gott reimen - also sagen wir, es gibt überhaupt keinen Gott. So zerbricht uns alles unter unseren unvorsichtigen Händen.

Dabei: Wer sagt uns denn, was der tiefere Sinn des Geschehens ist, das wir als grausam und mit Gottes Güte nicht vereinbar erleben? Wie kommen wir dazu, den großen Gott - unseren Schöpfer! - anzuzweifeln, dass er sein Geschöpf nicht lieb hat? Wer sind wir, dass wir alles wissen wollen, auf alles gleich Antwort haben müssen und Gott androhen, ihn mit Unglauben zu bestrafen?

Das lerne ich von der Frau, von der ich anfangs gesprochen habe: Es gibt den heiligen Bereich im Verhältnis zu Gott. Wir tun gut daran, dass wir ihn achten. Und das gilt gerade da, wo wir mit unserem menschlichen Verstand nicht mehr begreifen können, wozu etwas gut sein soll. Das gilt selbst in einem grausamen, schrecklich schmerzhaften Geschick, das uns Gott verdunkeln will. Aber selbst darin kann, nein, darin wird Segen für uns liegen! Gott liebt uns, das hat er uns in Jesus Christus gezeigt. Eines weiteren Beweises seiner Liebe bedarf es nicht, ein für alle Mal nicht! Und - auch das war die Erfahrung dieser Frau - wenn wir uns vorsichtig genug in den heiligen Raum vortasten, dann schenkt uns Gott vielleicht eine Ahnung vom Sinn, der auch noch im schrecklichsten Geschehen liegt. Er ist der Herr, der Herr der Welt, der Geschichte - und auch der Herr meines ganz persönlichen Geschicks. Er kann unsere Ehrfurcht verlangen! Er verdient unser Vertrauen - auch wo unser Verstand nicht mehr hinreicht.

Aber da ist noch dieser zweite Gedanke: "Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihr Geschrei gehört..." Auch dazu hat mir die Geschichte der Frau, von der ich erzählt habe, einen wichtigen Hinweis gegeben. Gott ist ja nicht fern in unserem Elend, unserer Krankheit, Trauer oder unserem Leid. Nehmen wir die Erzählung vom "Brennenden Dornbusch" noch einmal auf: Gerade weil Gott in der Nähe ist, soll Mose ja seine Schuhe ausziehen! Wo wir also an die "heiligen Bereiche" unseres Lebens herantreten und herantreten müssen, sollen wir doch nicht zweifeln, dass Gott da ist. Und er hört unser Weinen, weil er eben ganz nah ist. Er sieht unseren Schmerz, unseren Kummer, unsere Not...und er nimmt sich unser an. Er tut das nicht immer gleich, nicht immer sofort deutlich spürbar, schon gar nicht so, wie wir das denken und erwarten. Aber er tut es. Ganz gewiss. Er tut es so, wie es uns und dem größeren Plan, den er mit uns und der Welt hat, entspricht. Das sollen wir ihm zutrauen.

Dass es oft schwer ist, dieses Vertrauen aufzubringen, wissen wir, viele von uns aus eigenem schmerzvollen Erleben. Dass es aber geht, dass es möglich ist, noch im schrecklichsten Schicksal den Segen Gottes zu glauben und zu erfahren, das weiß ich seit ich von dieser Frau gehört habe. Ich durfte, ich glaube, ich sollte Ihnen das weitersagen. Vielleicht konnte das auch zu Ihnen sprechen und Ihnen helfen. AMEN