Predigt zum 2. Christtag - 26.12.2016

Textlesung: Jh. 8, 12 - 16

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr. Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme oder wohin ich gehe. Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. Wenn ich aber richte, so ist mein Richten gerecht; denn ich bin's nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat.

Liebe Gemeinde!

Es war gleich dieser erste Vers, der mich heute besonders angesprochen hat: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Ich musste dabei an eine für mich wunderschöne Legende denken, die ich vor langer Zeit gelesen habe. Sie handelt von vier Männern aus fürstlichem Geblüt, für die vor bald 2000 Jahren dieses "Licht der Welt" buchstäblich aufgegangen ist. Sie hatten nämlich seinen Stern gesehen, den Stern eines neuen Königs. Und da wussten sie, dieser König musste größer sein als alle anderen Könige zuvor; er war der Herr aller Herren. Und so machten sie sich auf, als sein Licht am Himmel aufstrahlte. Lange hatten die Menschen auf ihn warten müssen. Jetzt war er da, endlich!

Jetzt, liebe Zuhörer, fragen sie sich ganz gewiss: Aber waren es nicht nur drei Könige, drei Weise, drei Sterndeuter, die zum Stall von Bethlehem aufbrachen? Warum spreche ich von vier Fürsten?

Meine Geschichte erzählt uns von einem vierten König, der sich auf die Reise zum Kind begibt. Auch er hatte sein Licht am Himmel gesehen, den neuen Stern. Und er brannte schon so lange vor Sehnsucht danach, Gottes Licht zu schauen. Er war so müde vom Leid der Welt, vom Regieren und von der Schuld der Menschen. Wie es diese Geschichte weiß, war er übrigens der jüngste von den Königen. Die anderen hatten an Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe dabei - der vierte König wollte dem Kind drei Edelsteine von unschätzbarem Wert schenken. Aber - wir heute wissen es ja - er ist nie bei der Krippe angekommen! Die anderen drei machen ohne Aufenthalt ihren Weg zum Stall, huldigen dem Kind, überreichen ihre Gaben und ziehen zurück in ihre Länder - und der vierte? Was ist mit ihm? Wie ist es ihm ergangen?

Wie gesagt: Er war voller Sehnsucht! Er wollte das Licht der Welt sehen. Er wollte dem großen König die Edelsteine zu Füßen legen, denn ihm gebührten sie. - Aber es kommt ganz anders.

In einem Dorf unterwegs hört er bitterliches Schluchzen. Er reitet ihm nach und findet ein Kind, nackt, aus fünf Wunden blutend. Er hebt's auf sein Pferd, herzt es, gewinnt's lieb und übergibt's guten Leuten zur Pflege. Schließlich zieht er den ersten der Edelsteine aus dem Gürtel und vermacht ihn dem Kleinen - damit sein Leben gesichert sei. Dann reitet er weiter, sucht den Anschluss an die anderen drei. Er erreicht sie aber nie mehr.

Kurze Zeit später erlebt er in einer Stadt die Beerdigung eines Mannes. Die Frau und die Kinder gehen laut schreiend und weinend hinter dem Sarg her. Der Verstorbene war der Ernährer der Familie. Sie sollen als Sklaven verkauft werden, sobald die Beerdigung vorüber ist. Das Mitleid des Königs ist groß - und kostet ihn den zweiten Edelstein. "Bezahlt, was ihr schuldig seid", sagt er zu der Frau und den Kindern, "dann kauft euch einen Hof, ein Haus und Land, damit ihr eine Heimat habt." Sprach's und wollte dem Stern weiter folgen, doch sein Licht war erloschen. Wochenlang suchte er ihn, fand ihn aber nicht. Da ergriff eine große Trauer seine Seele. Die Angst, Gott nun nie mehr zu finden, quälte ihn, zehrte an seinem Leib, bis sein Stern doch eines Tags wieder aufstrahlte und ihn durch ein Land des Krieges und des Todes führte. In einem Dorf hatten Soldaten die Menschen auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Eines grausamen Todes sollten sie sterben. Die Männer klagten, die Frauen schrien vor Entsetzen, die Kinder wimmerten... Da packte den jungen König das Grauen. Er hatte zwar nur noch einen einzigen Stein im Gürtel, aber er gibt ihn hin, kauft die Menschen los, bewahrt sie vor dem Tod und ihr Dorf vor der Verwüstung. Am selben Abend aber erlischt der Stern für immer.

Der vierte König wandert weiter. Viele Jahre zieht er durch Länder und Städte. Keine Not bleibt ihm fremd. Kein Leid, das er nicht erfährt. Keinem Schmerz kann er ausweichen. Seine besten Jahre verbringt er als Sklave auf einer Galeere. Rund 30 Jahre nachdem er einst aufgebrochen war, schenkt man ihm die Freiheit. Er wird an einer ihm unbekannten Küste ausgesetzt. In der folgenden Nacht träumt er: Er sieht im Traum wieder seinen Stern und weiß am Morgen den Weg, dem er folgen muss. Er kommt bald in eine Stadt, gerät in den Sog einer Menschenmenge, der ihn auf einen Hügel hinaufzieht. Dort oben sind drei Kreuze aufgerichtet und als er an dem mittleren hinaufblickt, da sieht er oben über den Stern. Und der Mann, der an diesem Kreuz hängt, schaut ihn an mit einem Blick, in dem alles Leid und alle Qual dieser Welt liegen. Aber er spürt auch die grenzenlose Güte und Liebe dieses Menschen. Und er weiß, jetzt ist er am Ziel. Da hört er den letzten Schrei des Gemarterten und drei Tropfen seines Bluts fallen ihm in die Hände. Sie leuchten mehr als jeder Edelstein. Und da stirbt nicht nur der Gekreuzigte, auch der vierte König bricht unterm Pfahl tot zusammen. Noch im Tode schaut er auf den Herrn am Kreuz.

Eine Legende, wie gesagt. Diesen König hat es wohl nie gegeben. Die Botschaft dieser Geschichte aber ist wichtig und gut - für uns. Ja, ich glaube, die Geschichte vom vierten König ist unsere Geschichte! Sind wir nicht auch - wie er und wie wohl alle Menschen - einmal aufgebrochen in unserem Leben, das Licht der Welt zu finden. Und folgen nicht auch gerade wir Christen seinem Stern, der uns zu ihm weist. Wie dieser vierte König brennen wir doch vor Sehnsucht, einmal Gott zu schauen. Wie er sind wir auch müde vom Leid der Welt, von der Schuld und der Bosheit der Menschen. Auch wir denken oft, dass es Zeit wäre, dass er endlich kommt und seine Herrschaft antritt. Und wie dieser vierte König würden wir ihm so gern so viel schenken: Den Edelstein unserer Liebe, die Perlen unserer Treue, das Gold unseres Glaubens...

Und auch das ist wie beim vierten König: Dass wir nämlich nicht ankommen, nicht bei der Krippe, nicht bei dem Kind, ja, dass wir immer nur unterwegs sind und nur Menschen begegnen, leidenden Menschen, freudlosen, bedürftigen Nächsten. Und vielleicht ist das ja auch wie bei ihm, dass wir an diese Menschen unsere Liebe wenden; dass wir sie nach Kräften stützen, ihnen helfen, ihren Mangel ausfüllen, ihre Sache fördern. Und vielleicht bleiben ja auch wir auf diesem Weg dem Auftrag des Herrn treu, zu dem wir ziehen, dass wir uns nämlich für die Schwachen einsetzen, für die Ohnmächtigen zum Halt werden und den Sprachlosen zum Fürsprecher.

Und haben wir nicht auch das schon oft erlebt: Dass uns sein Stern erlischt! Dass sein Licht uns nicht mehr voranscheint. Wir schauen und schauen, warten auf sein Zeichen, das uns weiterführt - und nichts geschieht. Er scheint stumm und taub geworden zu sein. Und wenn wir dann durch dunkle Zeiten gehen, packen uns auch die Zweifel, flieht auch jede Hoffnung und der Glaube wird uns schwer. Aber irgendwann einmal, - vielleicht nach Jahren - aber ganz gewiss - werden wir seinen Stern wieder vor Augen haben, sein Licht wird uns wieder aufgehen! Und dieses Licht wird uns zu ihm bringen - aber - und das ist eben auch wie in der Legende - es wird uns nicht zu seiner Krippe weisen, sondern unter sein Kreuz. Dann - und erst dann nämlich - werden wir ganz begreifen, warum er das Licht der Welt ist.

Eine seltsame Geschichte, nicht wahr, liebe Gemeinde: Diese Legende vom vierten König. Seltsam und doch schön, rührend und fremd zugleich. Und seltsam ist vielleicht ja auch diese Predigt heute Morgen und vielleicht doch angemessen für Weihnachten? Aber ich würde uns heute so gern sagen, was dem vierten König durch die besten 30 Jahre seines Lebens so schmerzlich klar wurde: Wer zu diesem Herrn der Herren aufbricht, wer ihm huldigen will und ihn anbeten möchte, der wird das, was er sucht, nicht beim Kind in der Krippe finden! Damals wäre es vielleicht noch möglich gewesen, wenn er sich nur geeilt hätte, der König, wenn er alles Leid und jede Not der Menschen links am Wege liegen gelassen hätte, wenn er stumpf gewesen wäre gegen alle Tränen und jeglichen Schmerz. Dann vielleicht. Er aber konnte es nicht. Und so kommt er zu spät.

Aber kommt er nicht eigentlich doch zurecht? Wir wissen: Aus dem Kind im Stall ist ein Mann geworden. Einer der selbst mit jeder Not dieser Welt vertraut war, der sich nichts erspart hat, ja, der zuletzt an Leid und Bosheit der Welt zugrunde ging: Ans Kreuz, haben sie ihn geschlagen - für den vierten König und für dich und mich. So hat sich sein Leben gerundet: Vom Holz der Krippe zum Holz des Kreuzes.

Wenn wir ihn suchen, ihn anbeten und ihm dienen wollen, dürfen wir dann erwarten, dass wir ihn in der Krippe liegend finden? Werden wir ihn nicht vielmehr in den Menschen erkennen - unterwegs - in den armen, den geschundenen, den bedürftigen Menschen? Hat der vierte König wirklich seine Edelsteine "verschwendet", wenn er sie dem weinenden Kind, der klagenden Witwe und den verängstigten Bewohnern des Dorfes schenkt? Hat er sie nicht da gerade an den gewendet, zu dem er unterwegs war?

"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben", sagt Jesus.

Werden nicht auch wir unserem Herrn auf dem Weg der Nachfolge begegnen, wie wir ihm schon so oft begegnet sind? In dem Nachbarn, der eine so dunkle Zeit bestehen muss, in unserem Freund, über den das Unglück hereinbricht, in manchen Mitmenschen, die uns der Zufall - oder SEIN Wille! - an den Weg stellt? -

Nein, erwarten wir nicht, dass wir bei seiner Krippe ankommen! Wir werden ihn unterm Kreuz treffen, wie wir ihm schon so oft und immer wieder an den Kreuzen unserer Nächsten begegnet sind und begegnen werden!

Und dann - wir wollen mutig auch den Schluss der Geschichte für uns erzählen - werden wir ihn selbst eines Tages sehen. Wir werden aufschauen zu ihm, dem Mann am Kreuz - und werden begreifen: Er ist es gewesen, der hilfesuchend nach unserer Hand gegriffen hat; er ist es gewesen, dessen Tränen uns gerührt haben; er ist es gewesen, dem wir die jahrelange Pflege eines Mitmenschen geopfert haben... Ihm haben wir die Edelsteine unserer Liebe, unserer Treue und unseres Glaubens geschenkt!

Und dann werden wir - wie der vierte König - zum Kreuz hinaufschauen ohne Bitterkeit und ohne Zweifel und werden es wissen: Wir haben seinen Stern nicht einen Augenblick verloren! Sein Licht hat uns allezeit geführt. Anders, als wir uns das gedacht hätten, aber doch richtig und zum rechten Ziel. Wir wollten so gern an seine Krippe treten und stehen nun unter dem Kreuz. Aber jetzt erst kann es heißen: Er ist das Licht der Welt und auch das Licht unseres Lebens. Dort - unter dem Kreuz - strahlt es auf und beleuchtet unser Leben, die Welt und die Ewigkeit.

Vielleicht ist darum der vierte König der einzige von den Königen gewesen, der das Licht der Welt wirklich gesehen hat? Ich wünsche uns zu diesem Weihnachtsfest, dass wir auf dem Weg zum Licht in seiner Spur bleiben! AMEN