Predigt zum Sonntag "Kantate" - 24.04.2016

Textlesung: Kol. 3, 12 - 17

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!
Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.
Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.
Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.
Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Liebe Gemeinde!

"Kantate" heißt dieser Sonntag, "Singet"! Und gewiss hat die liturgische Kommission, die schon vor Jahrzehnten die Predigttexte für die Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres festgelegt hat, heute besonders diese Worte in den Mittelpunkt stellen wollen: "... mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen".

Mir aber ist an diesem Ausschnitt des Briefs an die Kolosser ein ganz anderer Gedanke wichtig geworden, der beschäftigt mich und viele andere Christinnen und Christen seit Jahren und - ich glaube fest - er lässt uns ein Leben lang nicht los. In den Worten des Paulus drückt er sich so aus: "Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit." Dabei ist es besonders der zweite Teil des Satzes, dem wir immer wieder nachsinnen müssen und den wir - wenn wir Jesu Nachfolgerinnen und Nachfolger sein wollen - sicher auch gern im Leben verwirklichen möchten.

Dass jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Ich denke nicht, dass wir dazu große Lehrerinnen und Lehrer sein müssen. Wir sind ja gewiss auch keine bevollmächtigten Warner und Mahner unserer Glaubensgenossen. Und trotzdem denke ich, dass dieser Auftrag uns alle meint, die wir Christi Namen tragen: "Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit!" Und ich denke, dass es an dieser Stelle bei uns allen hapert. Wir nehmen diese Aufgabe nicht ausreichend wahr, ja, eigentlich drücken wir uns alle gern um jedes Wort der Kritik an unseren Mitmenschen herum - wenn uns über dem Verhalten unserer Zeitgenossen nicht gleich der Kragen platzt. Das aber ist ja wohl nicht gemeint mit "Lehren" und "Ermahnen"!

Wir wollen den Auftrag zum Lehren und Ermahnen einmal ganz praktisch an Beispielen aus dem Leben besprechen und bedenken. Dabei nehme ich zuerst ein Beispiel vor, bei dem es Ihnen erfahrungsgemäß besonders schwer fällt, zu mahnen und zu lehren - es geht nämlich dabei um uns, die PfarrerInnen, die PrädikantInnen, die LektorInnen und alle anderen geht, die in der Arbeit der Verkündigung stehen. Weil ja auch wir - wenn es nötig ist - gemahnt und belehrt werden sollen. Denn auch wir sind ja neben unserem Verkündigungsamt Mitchristinnen und Mitchristen wie alle anderen auch.

Da wird etwa so gesprochen: Was Pfarrerin X am Sonntag so predigt, gefällt mir oft nicht und ich finde, es passt auch nicht mit der frohen Botschaft zusammen, die eine Pfarrerin doch eigentlich predigen und vor die Herzen der Menschen bringen sollte.

Oder man kann so etwas hören: "Der Prädikant Y, der alle paar Wochen bei uns Gottesdienst hält, kommt zu Beginn schon immer mit einem Karfreitagsgesicht aus der Sakristei! Aber nicht nur in der Karwoche, sondern auch an Ostern oder Weihnachten!"

Oder einer beklagt sich beim Kirchenvorstand über einen Kollegen, der hin und wieder Gottesdienstvertretung macht: "Es ist ja in Ordnung, dass unser Pfarrer immer wieder einmal predigtfrei hat. Aber muss dann jedes Mal der Pfarrer Z aus dem Nachbarort übernehmen? Der predigt immer fast eine halbe Stunde! Ich kann so lange einfach nicht zuhören!"

Wenn Sie da jetzt hören: "Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit", müssten Sie sich da nicht einmal zu Pfarrerin X, Prädikant Y oder Pfarrer Z aufmachen und ihnen sagen, wie er bei Ihnen und vielleicht anderen in der Gemeinde ankommt?

Liebe Gemeinde, ich spüre das jetzt schon, wie sie innerlich dazu stehen. Ich spüre ihre Vorbehalte und kann mir denken, was ihre Gedanken dazu sind: So etwas kann man doch nicht machen. Das kränkt Pfarrerin X, Prädikant Y oder Pfarrer Z doch und stellt einen Eingriff in ihre unverwechselbaren Persönlichkeiten dar - und was uns dazu sonst noch einfallen mag. Die andere Seite aber ist dies: Wie viele Menschen mögen wohl schon durch die Predigt der Frau Pfarrerin X an der frohen, befreienden Botschaft des Evangeliums irre geworden sein? Wie viele Menschen wurden wohl schon durch die Leichenbittermiene des Prädikanten Y von dem, was er doch sagen wollte, abgelenkt und wie vielen Menschen ist nicht auch eine Predigt von fast einer halben Stunde viel zu lang? Schließlich wissen wir das doch alle: Es kommt ganz und gar nicht nur auf die Worte an, die auf der Kanzel gepredigt werden, sondern auch wie es gesagt wird und ob die Art und das Gesicht dessen, der predigt, bestätigt, dass seine Worte auch von ihm selbst beherzigt worden sind! Ich würde dieses "Wie" und die "Art" der Predigt bei der Frage, ob eine Predigt ankommen kann, mit weit über 50 % veranschlagen. Salopp gesprochen: Dass wir Prediger und Predigerinnen die gute Nachricht auch glaubhaft und mit unserem freundlichen Gesicht begleiten und zu den Menschen hinüberbringen, ist gut und gern die halbe Miete!

Und ich halte der Meinung, dass man die Predigerinnen und Prediger nicht darauf hinweisen dürfe, wie die Weise ihrer Auslegung, ihre finstere Miene und die Länge des Vortrags die frohe Botschaft zunichtemacht, entgegen, dass die VerkündigerInnen davon vielleicht ja gar nichts wissen, ja, nicht einmal ahnen. - Und ich glaube auch, dass es ihnen auf der anderen Seite gar nicht schwer fiele, ein anderes Gesicht aufzusetzen und auch bei den anderen Dingen Abhilfe zu schaffen! - Wenn sie nur einmal jemand darauf ansprechen würde!

Gewiss: Mut gehört schon dazu. Aber ich denke, dass wir um der Liebe zu Gott und zu unseren Geschwistern willen auch einmal zu solcher "Lehre" und "Ermahnung" finden müssten! Hören wir doch auf die ausdrückliche Bedingung für diesen Auftrag: "Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit!" Ich finde, das Wort Christi verlangt von uns geradezu, dass wir auch unsere Schwestern und Brüder in der Verkündigung auch in ihren Schwächen, Mängeln und Fehlern nicht alleine lassen, sondern ihnen helfen, dass sie erkennen können, wo sie an sich arbeiten müssen!

Liebe Gemeinde, Sie haben jetzt sicher gedacht, geht es denn bei diesem Auftrag zur Mahnung und Belehrung nur um die Menschen, die das Wort Gottes predigen? Sicher nicht. Aber wenn wir sogar die mahnen und lehren sollen, die uns verkündigen, wieviel mehr sollen wir das auch untereinander tun! Darum ist hier ein Beispiel - mehr aus dem alltäglichen Bereich - bei dem ich sicher bin, dass wir auch damit schon unsere Erfahrungen gemacht haben: Ich denke da an die nun wirklich seltsame Trennung von christlich und weltlich, wie sie im Reden der Mitmenschen am Sonntag und auf der anderen Seite am Werktag bei der Arbeit und in der Freizeit deutlich wird. Da gibt es durchaus christliche Zeitgenossen, die haben an Karfreitag und Ostern vielleicht die wunderbare Botschaft von Jesu Leiden und Sterben zur Vergebung der Sünden und von seiner Auferstehung vernommen - mit ihrem Leben, ihrem Umgang mit dem Tod, mit ihrem Denken, Reden und Verhalten im Alltag aber hat das nichts, absolut gar nichts zu tun. Ganz deutlich: "Gewiss hat Jesus alle Schuld der Welt abgetragen", sagen sie, aber ihrem Nachbarn, mit dem sie wegen einer Nichtigkeit seit Jahren im Streit liegen, können sie seinen kleinen Fehler, der noch dazu viele Jahre zurückliegt, nicht vergeben. Und: "Sicher ist Christus am Ostermorgen auferstanden", sagen sie, aber wir können von ihnen dann doch solche Sätze hören: "Ob nach dem Tod noch etwas kommt? Wer kann das wissen! Es ist noch keiner zurückgekommen!"

Ja, auch hier meine ich, dass wir aufgerufen sind, solchen Mitchristen einmal vor Augen und Ohren zu führen, wie wenig doch Glauben und Leben bei ihnen zusammenstimmen! Unseren Ausflüchten, die uns ganz gewiss auch dabei in den Sinn kommen, stelle ich auch hier entgegen: Vielleicht hat bisher wirklich nur ein Mensch gefehlt, der sie einmal aufmerksam macht, wie Denken und Handeln bei ihnen auseinanderfallen. Vielleicht könnte ein offenes Wort von uns ihnen helfen, mit sich und der Welt besser ins Reine zu kommen. Vielleicht wären sie uns sehr dankbar für unseren Mut und unsere Offenheit, wenn wir sie auch einmal "mahnten" und "lehrten"?

Jetzt wollen wir das noch mit den anderen Gedanken aus den Worten des Paulus verbinden, die uns heute gesagt sind: "So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!"

Unser Mahnen etwa wird immer nur dann richtig und helfend bei den Menschen ankommen, wenn wir es nicht an Freundlichkeit, Demut und Geduld fehlen lassen! Das kann einen Mitchristen nur weiterbringen, dass wir ihn auf seine Mängel aufmerksam machen, wenn er an uns spürt, wir erheben uns nicht über ihn, wir wollen nicht besser sein und wir wissen auch um unsere eigenen Fehler und Schwächen! Aber wenn er das an uns erfährt, dann kann unser Lehren und Mahnen sogar einen neuen, einen anderen Menschen aus ihm werden lassen.

Ich finde, das wäre doch sehr traurig, wenn wir es als Christinnen und Christen nicht mehr schaffen, einander auch einmal eine vielleicht unangenehme Wahrheit zu sagen. Ist es nicht so: Von einem Freund, einer Freundin erwarten wir das. Als Christinnen und Christen sind wir nun sogar noch Geschwister in Jesus Christus!

Ich wünschte uns, dass wir dazu auch noch diese Worte aus dem Brief des Paulus an die Kolosser zu Herzen nehmen: "Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen!"

Es ist durchaus ein Zeichen der Liebe zueinander, wenn wir uns auch davor nicht drücken, uns einmal kritische Fragen zu sagen und selbst gefallen zu lassen! Wir würden damit auch wahr machen, dass wir in Jesus Christus wirklich zu einem Leib gehören und Schwestern und Brüder sind! Und seinen Frieden würden wir so auch finden, denn es schenkt Frieden und gute Gemeinschaft, wenn Menschen Vorbehalte abtun und einer dem anderen ehrlich - aber ohne zu verurteilen - auch das sagt, was einer gelungenen Beziehung und dem herzlichen Miteinander im Wege steht.

In solcher Liebe, in solchem Frieden und in dieser guten Gemeinschaft mit jedermann werden wir gewiss auch gern das tun, wozu uns Paulus und der Name dieses Sonntags einlädt: "Kantate" - "mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen." AMEN