Predigt zum "Gründonnerstag" - 24.3.2016

Textlesung: 1. Kor. 11, 23 - 26

Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach's und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Liebe Gemeinde!

Der Predigttext heute Abend sind die Worte der Einsetzung: "Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot..." Es gibt sicher wenige Worte, die Sie so gut kennen wie diese. Auch nachher werden wir sie wieder hören, wenn wir am Tisch des Herrn stehen und Brot und Wein empfangen. Darum möchte ich über etwas anderes sprechen, was aber doch gar nicht so weit weg ist vom Mahl unseres Herrn, vom Empfang der Gaben, Brot und Wein...und vor allem: von der Gemeinschaft an seinem Tisch. Mir ist da etwas aufgefallen. Keine große Erkenntnis, aber eine tröstliche, wie ich finde. Auch was dieser Erkenntnis zugrunde liegt, wissen wir alle, aber wir haben vielleicht noch nie darüber nachgedacht. Andererseits ist es ein so guter, wichtiger Gedanke, dass wir unbedingt einmal darauf aufmerksam werden sollten. -

Aber ich will nicht in Rätseln sprechen. Darum: Jetzt deutlich und klar und der Reihe nach: Heute ist der Abend des letzten Mahls Jesu mit seinen Jüngern. Wenn wir uns darauf besinnen, was wir dazu wissen und welche Vorstellungen wir haben, dann werden uns bald Bilder vor unser inneres Auge treten, Bilder aus unserer Erinnerung:

Vielleicht sehen wir die Abendmahlsszene vor uns, wie Leonardo da Vinci sie in der Sixtinischen Kapelle gemalt hat? Das ist sicher die bekannteste. Oder wir haben dazu ein Bild aus unserer eigenen Phantasie. Auf jeden Fall, so glaube ich, sehen wir Jesus mit den 12 Jüngern an einem großen Tisch sitzen, zusammen essen und trinken und Jesus spricht die bekannten, gewaltigen Worte: "Das ist mein Leib; das ist mein Blut..." Und irgendwann - während das Mahl noch in vollem Gange ist, offenbart er den anderen den Verräter. Judas springt daraufhin auf und verlässt die verschreckte Versammlung, um bei den Hohenpriestern den Verrat vorzubereiten, den er nur eine Stunde später begehen wird.

So oder ähnlich werden die Bilder sein, die uns dazu einfallen. Und so wird es ja auch gewesen sein, so oder so ähnlich. Was wir nun aber nicht sehen aber doch wissen: Die Schar der Jünger war längst nicht mehr die verschworene Jüngerschaft des Herrn, wie wir sie uns nur zu gern vorstellen! Bei diesem letzten Mahl ging der Riss schon mittendurch! Und nicht nur zwischen Judas und den anderen. Bei ihm zeigt es sich nur zuerst und am krassesten. Er war sogar bereit, Jesus ans Kreuz zu bringen. Aber Jesus im Stich zu lassen, dazu waren alle anderen auch fähig! Denken wir doch nur an die Stunde im Garten Gethsemane, die gleich nach der Feier des Abendmahls kommen wird. Sie schlafen und sind nicht in der Lage, auch nur ein paar Minuten mit ihrem Herrn zu wachen, der sich zu Tode ängstigt. Und was war mit den übrigen? Die haben es nicht einmal für nötig gehalten, jetzt in der Nähe ihres Meisters zu bleiben, der ihnen doch deutlich genug gesagt hatte, dass er sterben muss: "Das ist mein Leib, für euch gegeben, mein Blut, für euch vergossen." Als sie Jesus nach dem Verrat durch Judas ergriffen haben, machen sich schließlich alle davon, Petrus eingeschlossen. Er folgt dann zwar - wie wir hören - in angemessenem Abstand. Aber er verleugnet seinen Herrn dreimal im Hof des hohenpriesterlichen Palastes: "Ich kenne diesen Menschen nicht!" Am Ende ist Jesus ganz allein.

Die Eintracht am Abendmahlstisch trügt also. Kaum eine Stunde später hat sich die Gemeinschaft aufgelöst - und wäre Jesus nicht auferstanden und hätte seine Leute wieder gesammelt - auch endgültig!

Warum erzähle ich das und betone das so? Will ich unsere zu schönen Kopf-Bilder zerstören? Geht es mir darum, der Wahrheit zu dienen und schonungslos aufzudecken, was doch so nicht war, wie wir es uns ausmalen?

Ich will weder das eine noch das andere. Ich will unsere Bilder nur ein wenig zurechtrücken, dass sie den Trost zeigen, der doch auch in ihnen liegt. Und ich will die Wahrheit nur insoweit aufspüren, dass uns ein Gedanke dazu einfallen kann, der uns hilft: Die Jünger, die mit Jesus essen und trinken und sich zum Passahfest versammelt haben, waren eine verängstigte, aufgescheuchte Schar. Der Schein der Einheit und Gemeinschaft wird nur mühevoll - äußerlich! - gewahrt. Heißt das nicht für uns: Wir müssen gar nicht die vollkommenen Leute sein, die wir in seiner Nähe so gern wären? Wir dürfen zu Jesus kommen - und heute ganz praktisch: an seinen Tisch treten - auch wenn wir unsicher sind, voll Angst und in Zweifeln, ob wir denn würdig sind bei ihm und mit ihm das Mahl zu halten. Jesus hat mit diesen Jüngern, diesen sehr fragwürdigen Leuten, gegessen und die Gemeinschaft seines Tisches geteilt. Ja, er sagt diesen zweifelhaften Leuten sogar zu, dass er für sie sterben wird! Ist dann also nicht auch für uns Platz an seinem Tisch? Und wird er uns etwa fortschicken?

Wenn man mit Menschen aus der Gemeinde einmal tiefer ins Gespräch kommt, kann man oft hören, dass sie dies oder ähnliches sagen: "Aber ich kann doch nicht zum Abendmahl gehen oder zum Bibelkreis oder dergleichen, ich bin doch gar nicht so gläubig, so makellos, so gut und fromm..." und was sie sonst noch sagen. Schauen wir doch hin, wer mit Jesus das Abendmahl hält, damals. Und er wird für diese Verleumder und Verräter, diese Angsthasen und Schwächlinge ans Kreuz gehen! Warum sollten wir also nicht an seinen Tisch treten dürfen? Und warum sollte für uns kein Platz sein dort, wo seine Leute sonst zusammenkommen und Gemeinschaft haben? Und meinen sie doch bloß nicht, heute wären in seiner Umgebung bessere Menschen, frömmere oder auch nur gläubigere! Wir sind alle vor ihm nicht besser als diese armselige Jüngerschar am Tisch des Herrn bei diesem letzten Mahl - aber wir sind auch nicht schlechter!

Und noch ein zweiter Gedanke liegt darin, der ist vielleicht sogar noch trostreicher: Mit diesen Versagern, die, kaum dass der letzte Schluck Wein getrunken war, in alle Richtungen davongelaufen sind, baut Jesus doch nach Ostern seine Gemeinde! Er gibt ihnen Aufgaben, er vertraut ihnen seine Sache an - zum Beispiel dem Petrus: "Weide meine Schafe!", sagt er zu ihm. Aus der elenden Schar, die Zweifel und Angst in alle vier Winde zerstreut hat, wird seine Kirche, die bis heute gehalten hat und bis zum jüngsten Tag halten wird. Es sind also doch gar nicht die Starken, die besonders Gläubigen und in Jesu Sache Gefestigten, die er zu sich ruft und brauchen kann. Er will die Schwachen bei sich haben, die voll Angst sind und sich nichts zutrauen. Es heißt ja schließlich auch, dass er als Arzt zu den Kranken gekommen ist und nicht zu den Gesunden. Und er hat gesagt: "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken." Darum: Gehen wir hin zu ihm, er wartet schon auf uns, ja, gerade auf uns! Vielleicht begreifen wir an diesen Gedanken heute auch, dass es gar nicht darum geht, was wir aus uns machen, sondern was er aus uns machen kann und will. Bei ihm - wenigstens bei ihm! - ist das anders als sonst in der Welt: Er will nicht die Macher, die ihr Leben in der Hand haben und es kraftvoll gestalten. Er ruft die Schwachen, die Kleinen, die Ohnmächtigen, die Elenden, die Verunsicherten, die Zweifler und Hasenfüße. Mit ihnen hat er damals angefangen. Mit ihnen baut er noch heute an seinem Reich. Mit uns, mit dir und mir.

Mir ist auch noch ein Bild zum Abendmahl eingefallen, das ich einmal gesehen habe. Es hängt über dem Altar eines Dorfes in Oberhessen (Laubach-Freienseen). Es zeigt Jesus und die Jünger beim Abendmahl - aber auf ganz ungewöhnliche Weise. Sie schauen alle auf vom Tisch, an dem sie gerade sitzen. Sie schauen in Richtung des Betrachters. Jeder, der dort am Altar an den Tisch des Herrn tritt, um Brot und Wein zu empfangen, wird dieses Bild aus der Nähe sehen. Und er wird angeschaut von den Jüngern und von Jesus. Und wenn er dann genauer hinsieht, wird er erkennen: Mittendrin in dieser gemalten Tischgesellschaft ist ein Platz freigelassen. Es ist, als schauten Jesus und die Jünger also nach dem aus, der an den Altar tritt und als wollten sie ihm sagen: "Hier ist noch frei für dich. Komm an den Tisch, hier ist dein Platz!" Ein gutes Bild, finde ich. Auch ein treffendes Bild. Wir passen in die Gesellschaft dieses Tisches. Wir sind nicht zu schlecht und nicht zu gut. Wir sind eingeladen und gerufen. Ein Platz für uns ist frei. Und wie damals nach Ostern will Jesus Menschen aus uns machen, die er brauchen kann, um seine Gemeinde zu bauen. AMEN