Predigt zum 1. Advent - 29.11.2015

Textlesung: Röm. 13, 8 - 12

Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist: "Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren", und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.

Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.

Liebe Gemeinde!

Wir sind einander nur die Liebe schuldig, sonst nichts. Unser Leben hat seinen tragenden Grund in der Liebe. Wenn wir Christen sind, dann ist die Liebe unser Grundgesetz. Und auch die Grundlage der Arbeit für die Sache Jesu und den Dienst an unseren Mitmenschen ist die Liebe, nicht die Eignung oder, dass wir irgendetwas besser können als andere oder besondere Lust oder Interesse daran haben.

Wie könnte die Arbeit für Jesu Sache und unser Dienst an den Mitmenschen aussehen, wenn uns die Liebe bestimmt? - Mir sind viele Beispiele eingefallen. aber ich möchte mit Ihnen nur einige betrachten, besonders solche, die möglichst viele ansprechen, ihre Gedanken treffen und vielleicht zum Nachdenken anregen:

Die Liebe lässt uns die Wahrheit sagen und sie voneinander annehmen.

Sie meinen: Aber das tun wir doch! Ich glaube: Viele tun es nicht. Und mir scheint, es wird immer weniger die Wahrheit gesagt, als dass wir irgendein verschleierndes Gerede von uns geben, das die wahre Meinung versteckt. Und mit dem Annehmen der Wahrheit tun wir uns auch schwer.

Beweise? Hier sind sie: Da geht einer am Morgen zum Nachbarn, der Geburtstag hat, gibt ihm ein Geschenk und macht sich dann rasch wieder davon. Und wenn man ihm dann auf den Weg mitgibt: "Aber, du kommst doch heute Nachmittag zum Kaffee?", dann antworten er: "Heute Nachmittag kann ich leider nicht!" - Aber das ist eben oft nicht wahr. Er könnte schon, aber er will nicht. Vielleicht mag er nicht mit denen am Tisch sitzen, die da zum Kaffee erscheinen werden? Vielleicht denkt er auch, dass so ein Geburtstag überhaupt mehr in die engere Verwandtschaft gehört und er da nicht hinpasst. Oder er macht sich nicht viel aus Kuchen oder so einer Gesellschaft, in der wir ja auch manchmal wirklich nicht wissen, was wir sagen sollen. Warum aber antwortet er dann nicht gleich so: "Weißt du, ich möchte nicht kommen, weil..." Das wäre ehrlich und wahrhaftig.

Gewiss denken wir jetzt auch an die andere Seite: Wie wird das ankommen, wenn wir so offen sind? Wir müssten eben auch Wahrheit annehmen lernen. Aber oft wollen wir ja auch angelogen sein! Es ist uns noch lieber, einer sagt eben: Da kann ich nicht, als dass er uns die wahren Gründe vorträgt.

Aber nicht nur, was dieses Beispiel angeht, tun wir uns schwer mit dem Annehmen der Wahrheit. Ich muss da auch an die Reaktion vieler Menschen denken, wenn wir ihnen eine Wahrheit vortragen, die vielleicht wehtut. Sie sagen nämlich dann oft nicht, wie es richtig wäre: "Du hast recht, ich muss da etwas bei mir ändern", oder: "Ich habe einen Fehler gemacht." Was sie sagen klingt eher so: "Wer hat dir das erzählt?" - Oder: "Das hast du doch bestimmt von dem und dem gehört!" Und dabei wird dann noch sehr entrüstet getan. Was sie nicht sagen, ist dies: "Es stimmt, was du da gehört hast, ich bedaure das, und es tut mir leid." - Sich hier auf der einen und anderen Seite wahrhaftig zu verhalten, das nenne ich aus der Liebe zu Jesu Sache und zum Mitmenschen handeln! Und Liebe kann die Wahrheit sagen; sie muss es sogar! Und Liebe kann sie auch hören und annehmen. Liebe will den anderen nicht verletzen. Und Liebe weiß, dass der andere mich nicht klein oder gar fertig machen will, wenn er mir auch einmal etwas Kritisches sagt.

Die Liebe lässt uns einander auch in Glaubensdingen ansprechen und so zum Glauben helfen.

Auch hier gilt: Viele tun es nicht! Es ist nicht genug, dass wir etwa mit unseren Kindern früher einmal am Abend gebetet haben. Es ist nicht genug, wenn wir unsere Jugendlichen in den Konfirmandenunterricht schicken. Es ist nicht genug, wenn wir doch kirchlich getraut sind und unserem Mann, unserer Frau damals doch auch vor Gottes Altar etwas versprochen haben.

Heute leben wir mit Menschen zusammen, die niemals nach Gott fragen, die keine Kirche brauchen, keinen Glauben haben oder mit Gott nicht im Reinen sind! Es fällt mir immer wieder schwer zu verstehen, dass es eine Partnerschaft zwischen Menschen geben kann, in der ein Christ, einen erklärten Nichtchristen an seiner Seite hat und diesen nicht immer wieder wenigstens zu gewinnen versucht, damit dieser Mensch Glauben doch auch zu Christus findet. Und im Verhältnis zu unserem Kind, unserem Vater oder unserer Mutter müssten wir uns doch auch mehr bemühen, dass diese Menschen den Weg zu Gott erkennen. Ist das Toleranz, wenn wir als Christen unsere Leute nicht auf das ansprechen, was uns doch das Wichtigste ist? Ist das nicht viel eher Gleichgültigkeit, eine Haltung jedenfalls, die absolut keinen Hinweis auf unsere Liebe im Hintergrund erkennen lässt.

Und auch hier gibt es eine andere Seite, die heißt: Menschen in unserer Nähe, die keinen Glauben an Jesus Christus haben, beeinflussen uns ja auch! Wir mögen das nicht wollen und nicht für möglich halten, aber wenn wir etwa mit einem Partner zusammenleben, der von Gottes Sache nichts wissen will, dann wird uns das früher oder später verändern. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir stehen zu unserem Glauben und halten ihn fest, sprechen davon und zeugen dafür - eben auch bei unserem Partner - oder wir haben bald verloren: Zuerst vielleicht unser Gebet, dann unseren Kirchgang, schließlich unser Bekenntnis, unser Zeugnis und damit auch unseren Glauben.

Und schließlich lässt uns die Liebe zu Jesu Sache und zu unseren Mitmenschen, in einer Zeit, die oft nur noch Resignation und böse Erwartungen kennt, für die Freude und die Hoffnung einstehen.

Wenn in unserer Umgebung so viele nur noch Schlechtes erwarten, wenn es immer wieder heißt, das wird nicht mehr, wenn immer der Finger nur auf die Wunden gelegt wird und nie einer von den verheißungsvollen Anfängen spricht, die es doch auch gibt, dann sind wir gefragt: Dass wir sagen, was doch auch gut ist in unseren Tagen, dass wir die ewigen Nörgler darauf hinweisen, wo auch sie schöne Erfahrungen gemacht haben, dass wir davon reden, worüber wir uns freuen und was wir gar nicht erwartet hätten und was doch so gut ausging. Es wird einfach zu viel schwarzgesehen! Die Menschen graben sich ein in ein tiefes Loch aus Weltschmerz, Freudlosigkeit und Zukunftsangst. Wir müssen auf das Gute deuten! Wir müssen vom Positiven sprechen. Die Menschen müssen raus aus den immer nur trüben Gedanken! Und gerade wo wir's doch mit Christen zu tun haben, dürfen wir ruhig auch einmal von Jesus Christus reden. Was wäre denn unser ganzer Glaube wert, wenn er uns in all den dunklen Aussichten hängenließe? Wir haben eine Hoffnung zu vertreten. Es gibt eine Zuversicht für uns Christen. Uns ist eine Zukunft versprochen. Wir stehen schon an der Schwelle eines Lebens ohne Ende. Muss da nicht auch die Freude in dieser Welt schon anfangen?

Und auch hier gibt's die andere Seite: Gern lassen wir uns ja auch selbst hineinziehen in diese trübe Weltsicht. Dann stimmen wir mit ein in die Klagegesänge und erwarten den Untergang der Menschheit und allen Lebens. Damit bestätigen wir dann andere, die sowieso schon daran leiden, dass sie immer nur dunkle Wolken am Horizont sehen. - Wir sind zur Hoffnung berufen! Wir haben etwas anderes vor Augen als Dunkelheit, Tod und Jammer. Wir kommen von Gottes Liebe her und haben sie vor aller Welt zu bezeugen. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat - und alle Resignation und Mutlosigkeit auch!

Darum spreche ich Sie alle jetzt so an: Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Der 1. Advent ist ja auch ein Anfang, der Beginn des neuen Kirchenjahres. Ich wünsche uns, dass auch wir in unserem Leben als Christinnen und Christen heute einen neuen Anfang machen können: Die Liebe Gottes, die wir in Jesus Christus erfahren, möge uns dazu führen, dass wir an diesen drei Stellen hellhörig und hellsichtig werden: Dass wir der Wahrheit und Wahrhaftigkeit verpflichtet sind und bleiben, dass wir unsere Mitmenschen auch auf den Glauben ansprechen und sie dazu einladen und dass wir die Freude und die Hoffnung in Jesus Christus bezeugen und zeigen.

Über allem, was wir für unsere Mitmenschen in Familie und Nachbarschaft oder in unserer Kirchengemeinde tun, soll dies als Richtschnur stehen: Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. AMEN