Predigt zum Sonntag "Okuli" - 23.3.2003

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Liebe Gemeinde,

wenn ich ganz radikal verkündigen würde, was uns in den Worten des Predigttextes von Jesus zugemutet wird - sie würden wahrscheinlich alle die Kirche verlassen, wohlgemerkt: noch ehe ich hier oben fertig wäre. Da steht ein Satz drin, der wendet sich so deutlich gegen unser Verhalten und unseren Brauch - es fällt wirklich schwer, ihn soweit zu entschärfen, daß wir ihn überhaupt ertragen können. Andererseits weiß ich nicht, ob ich das überhaupt darf: Diesen Satz so zähmen, daß er uns nicht zu hart angreift. - Es ist jedenfalls nicht ganz einfach mit diesen Worten aus Lukas im 9. Kapitel. Sie werden gleich wissen, welchen Satz ich meine:

Textlesung: Lk. 9, 57 - 63

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.

Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Sie haben es gespürt: Laß die Toten ihre Toten begraben, das ist dieser anstößige Satz, dieser Gedanke, den man nicht reimen kann mit allem, was uns heilig und wichtig und gewohnt ist. Nein, es geht nicht zuerst um den Tod im übertragenen Sinn, daß einer im Herzen kalt ist und keine Früchte für Gott bringt. Es wird ja erzählt, daß einer ganz deutlich fragt: Darf ich meinen Vater begraben, bevor ich dir nachfolge? Es liegt wirklich einer tot, ein Leichnam muß bestattet werden. Der Vater auch noch - das macht es nicht leichter, Jesus zu verstehen: Laß ihn liegen, sagt Jesus, da mögen sich andere drum kümmern. Du sollst hingehen und die frohe Botschaft von Gott unter die Menschen bringen! - Wirklich hart, nicht wahr? Stellen sie sich vor, einer würde bei einer Beerdigung ähnliche Dinge von sich geben, oder schon bei der Überführung, noch bevor wir einen Menschen in die Erde betten... Nein, ich muß nicht deutlicher werden. Furchtbar wäre das! Schon der Gedanke... grausam und kalt, pietätlos und unbegreiflich. Jesus stößt uns vor den Kopf! - Aber warum nur?

Das ist noch keine Antwort, aber mir ist eingefallen, wie viele Stunden die Menschen in unseren Dörfern auf dem Friedhof zubringen. Bitte sind sie jetzt nicht mir böse, aber vielleicht ist die Frage Jesu an uns: Wieviel Aufwand treibt ihr doch um den Tod, um einen Grabhügel, unter dem die sterbliche Hülle eines Menschen ruht, ja weniger noch: Ein Toter, einer der doch entseelt ist - nach eurem Glauben, der längst aufgefahren ist zum Vater, der eine neue Heimat hat im Himmel, bei Gott - aber doch nicht dort, unter diesem Beet aus Blumen, das ihr pflegt und liebt - und zu dem ihr vielleicht täglich kommt, um es zu begießen. Gewiß, wenn wir jetzt an einen bestimmten Menschen denken, der auf dem Kirchhof liegt, dann bleibt das anstößig und wir sträuben uns dagegen, Jesus zu verstehen. Aber wenn wir ein wenig weiter denken, sozusagen zurücktreten von unseren persönlichen Beziehungen zu den Verstorbenen und dann noch einmal hinschauen... Wirklich fragwürdig, wieviel Zeit uns der Tod und die Toten abverlangen! Widmen wir auch dem Leben soviel Stunden und soviel Kraft?

Und mir ging vor diesem Satz auch durch den Kopf, wie viele Ängste und Zweifel der Tod bei uns weckt. Zugegeben, das ist schon ein wenig fern von diesem Ruf Jesu: Laß die Toten ihre Toten begraben. Aber was für eine Bedeutung gestehen wir doch dem Tod zu! Wie schrecklich wichtig nehmen wir ihn - und "schrecklich" im wahrsten Sinne ist er ja auch für uns! Wenn ein Mensch in unserer Nähe stirbt, dann starren wir gebannt ins Dunkel, das der Tod bedeutet. Wir klagen und trauern, wir weinen und fragen: Warum, warum schon oder warum jetzt und warum überhaupt. Wir tun dann gerade so, als hätten wir das nicht gewußt, daß wir alle einmal sterben müssen, auch der liebe Mensch, der da geht und einmal auch wir selbst. Das mag ja nun auch alles wichtig sein und notwendig für den rechten Abschied von Menschen, die wir geliebt haben. Es muß getrauert sein und wir dürfen weinen. Aber - auch hier ist das so - wir lassen das Leben gar nicht zu Wort kommen! Wir sprechen nicht davon - jedenfalls nicht im richtigen Maß - daß unser Toter jetzt das Leben hat, das wirkliche, wahre Leben! Wir finden ganz selten durch das Dunkel des Todes hindurch, daß wir für die helle Zukunft zeugen, die uns doch danach verheißen ist. Manchmal könnte man denken, auch wenn Christen Abschied nehmen, sie hätten noch nie etwas davon gehört, daß der Tod durch Jesus Christus besiegt ist! Wir geben ihm zuviel Raum und dem Leben zu wenig! Und wir machen den Tod erst recht schrecklich, weil wir nicht sehen, nicht sehen wollen oder können, daß er nur das Tor zu einem neuen, ewigen Leben bei Gott ist.

Ein noch fernerer Gedanke ist mir gekommen, der aber - genau betrachtet -auch hierher gehört: "Laß die Toten ihre Toten begraben", sagt Jesus. Wie aufwendig ist doch heute der Umgang vieler Menschen mit "toten" Dingen! Wieviel Zeit wird der Pflege eines Gebrauchsgegenstandes gewidmet wie unserem Auto. Welche Vergeudung wird getrieben, wenn wir an die Stunden denken, die Menschen unserer Tage vor dem Fernseher zubringen, Vergeudung der Zeit nämlich, die der Familie, dem Ehepartner, der Gemeinschaft mit anderen Menschen gehörte! Gewiß, da werden viele anderer Ansicht sein, aber ich glaube doch, das Spiel mit unseren Kindern, der Abend, an dem ich ungeteilt meiner Frau oder meinem Mann gehöre, das gute Gespräch mit dem Nachbar oder dem Freund, alles das ist weit mehr wert als die angebliche Bildung und Entspannung vor dem Fernsehschirm. Dort werden wir doch nur vereinzelt, dort ist jeder allein. Dort ist tote Zeit. Das Leben hat immer mit anderen Menschen zu tun, mit Gedankenaustausch und Gemeinschaft. Der Umgang mit den Sachen, das totschlagen unserer Mußestunden mit Fernsehkonsum oder den Hobbies, die mich nur allein faszinieren und mich von den anderen Menschen trennen, kann dem Leben nicht dienen. Jedenfalls nicht dem Leben, das Jesus gemeint hat. Laß die Toten ihre Toten begraben! Langsam beginne ich zu verstehen, was Jesus meint. Hänge doch dein Herz, deine Energie und Kraft, deine Zeit nicht zu sehr an Dinge und Beschäftigungen, die kein Leben in sich haben und keine Zukunft! Was hast du denn - in einem letzten Sinn - von dem Kult um die Gräber, um den rechten Schmuck und die Größe des Steins. Was klebst du denn auch an dieser Angst vor dem Tod? Was starrst du so gebannt in das Dunkel? Sieh doch das Licht, das schon durch die Tür bricht! Sieh doch das helle Leben, das danach beginnt! Und die Dinge... Die Ablenkung durch Video und Satellitenfernsehen wird dich doch nicht retten! Es hat doch - weiß Gott! - mehr Verheißung, wenn du dich mit deinem Kind oder deinem Lebensgefährten beschäftigst, als wenn du um dein Auto und deine technischen Geräte kreist! Und ganz deutlich wird mir die Absicht Jesu, wenn ich höre, was Jesus seiner Mahnung hinzufügt: Du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Darum geht es! Dieses Kreisen um all die Dinge und Verrichtungen des Todes sind nicht für sich genommen schlecht! Das darf alles seinen Platz haben im Leben des Menschen. Aber: Es gibt etwas viel Wichtigeres, Wertvolleres! Verkündige das Reich Gottes! Bedenke, daß dieses Leben - oder sagen wir nicht besser: diese Welt des Todes? - nicht alles ist. Sieh nach vorn auf das wahre Leben, das noch aussteht! Stell' dich schon heute in seinen Dienst. Lebe nach seinen Gesetzen. Fördere damit, wie du lebst, denkst und redest, das Bewußtsein unter den Menschen: Wir Christen dürfen nicht in dieser Welt aufgehen! Wir haben ein anderes Reich vor Augen und vor dem Herzen - das ist nicht von dieser Welt!

Laß die Toten ihre Toten begraben! - Vielleicht braucht es ja - gerade heute - solche harten Worte, daß wir aus unserem doch sehr starren Denken herauskommen. Wir huldigen dem Tod an vielen Stellen! Ja, wir scheinen ganz vernarrt darin, ihm mit unserem Reden und Handeln zu dienen.

Ich werde - nach diesem Wort Jesu und nach dieser Predigt - meine Zeit, meinen Alltag, meine Arbeit und meine Freizeit prüfen: Wo hat mich der Tod am Wickel? Wo spannt er mich vor seinen dunklen Karren? Wieviel Macht über mich, mein Denken und Handeln gestehe ich ihm zu? Und dann will ich mich fragen lassen: Wo geht Leben von dir aus? Was dient der lebendigen Beziehung zwischen dir und den anderen Menschen. Wo wächst durch dich Hoffnung und wo scheint durch deine Worte schon die helle Zukunft durch, die Gott verheißen hat?

Ich werde mich prüfen! Wollen sie das nicht auch einmal tun? Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes. Ich hoffe, wir haben dieses Wort Jesu jetzt doch verstanden, so anstößig er hier auch redet. Ich hoffe überdies, daß ich hier nicht der Versuchung erlegen bin, dieses Wort zu entschärfen und zu zähmen. Gott schenke uns jetzt - zum rechten Verständnis - noch das rechte Handeln: Daß wir dem Leben dienen und in allem, was von uns ausgeht, dem Reich Gottes Bahn machen.