Predigt am Sonntag "Reminiscere" - 16.3.2003

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Ich glaube, das habe ich noch nie von ihnen verlangt, aber versetzen sie sich doch einmal einen Augenblick nur in meine Lage: Da soll ich ihnen - jetzt in der Passionszeit - predigen, daß sie Sünder sind, der Umkehr und der Buße bedürfen! Da soll ich also zunächst mir selbst klar machen: Du hast Schuld auf dich geladen. Christus mußte auch für dich diesen Weg ans Kreuz gehen, weil du aus dir selbst immer nur ein Feind Gottes bist. Ja, deine Sünde hat mit die Last bedeutet, die Christus hinauf nach Golgatha trägt. Es ist schwer, das zu begreifen! Aber nicht genug damit! Dann soll ich das auch noch anderen rechtschaffenen Leuten verkündigen. Ihnen soll ich das sagen, sie müssen das von mir hören, das ist mein Auftrag - auch heute, besonders heute. Und wo hätten sie denn ehrlicherweise das Gefühl: Ja, ich bin Sünder!? Wo glauben sie denn wirklich, daß sie - ganz persönlich - mit schuldig sind am Tod Jesu Christi vor bald 2000 Jahren? Und überdies: Wo möchten sie denn auch nur davon hören? -

Sicher können sie jetzt verstehen, daß es nicht leicht ist, hier oben zu stehen mit dieser Botschaft: Ihr seid Sünder!? Möchten sie das den Leuten sagen müssen? Und die "Geschichte von den bösen Weingärtnern", die es heute zu predigen gilt, treibt es geradezu auf die Spitze! - Aber ich bitte sie jetzt, daß sie doch auf diese Geschichte hören und auf meine Predigt. Es ist Gottes Wort an uns und es ist mein Auftrag, es dann ungekürzt und unverbogen weiterzusagen. Klar, deutlich und wahrhaftig.

Textlesung: Mk. 12, 1 - 12

Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.

Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.

Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.

Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.

Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?

Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

 

So einer bin ich also. Gott hat mein Leben wunderbar ausgestattet. Er hat es gemacht, mit allem beschenkt, was ich mir nur wünschen kann: Liebe der Eltern, die Zuneigung vieler Menschen, Bildung und Erziehung, Gaben des Geistes und des Leibes, eine empfindende Seele, Brot zu essen und viel mehr, das Haus und die Kleider, ein festes Gehalt, Arbeit, die mir Freude macht... Und noch tausend andere Geschenke... Und das alles hat er mir schon so viele Jahre erhalten, ja, er hat mir noch Wachstum obendrein gewährt und immer mehr Gutes als Schlechtes und nicht zuletzt die Gesundheit... Solch ein Leben darf ich haben. Er hat es beschützt, gepflegt und bewahrt. Und er hat es mir zu eigen gegeben: Da, nimm hin, es gehört dir, du darfst dich dran freuen, fröhlich darin sein und es genießen. - Und dann hat er - wie es ihm zusteht - nach einer Weile seinen Boten zu mir geschickt, daß er einen Anteil an den Früchten meines Lebens hole. Und hier beginnt das Ungeheuerliche! Ich habe dem Boten die Tür vor der Nase zugeschlagen und hinausgeschrien zu ihm: Mach' dich fort, hier gibt es nichts! Es ist alles mein, was mein Leben an Frucht bringt! Und dann habe ich mich gar gewaltsam an ihm vergriffen und ihn mit leeren Händen weggeschickt. - Wo ich das getan habe? Auf welche Weise?

Der "Bote" Gottes ist der Mitmensch gewesen, der neulich um mein Mitgefühl geworben hat. Er hat so klare Signale gesendet, daß er meine Hilfe braucht - ich habe sie nicht verstanden; ich wollte nicht verstehen. Das hätte Mühe bedeutet, Zeitaufwand, Energie - und ich hatte keine Lust. Er wollte damit die "Früchte" abholen, die Gottes Güte bei mir getragen hat. Ich habe sie ihm verweigert. So reich und so begnadet wie ich bin, hätte ich sehr wohl ein wenig von meiner Kraft, von meiner Zeit und von meinen Gaben abgeben können! Ich habe ihn abgewiesen und damit Gott, der ihn gesandt hat. Und auch Gewalt habe ich gegen ihn geübt! Ich habe seine Gefühle verletzt, seine Hoffnungen enttäuscht, einen Pfahl in seine Seele getrieben. Ich habe ihm wehgetan, denn er hatte so auf mich gesetzt! - So einer bin ich!

Nur ich? - Wieviele Boten sind bei Dir gewesen? In der Vergangenheit, in den Jahren bis heute - ja, noch täglich? Denk' an die bittenden Augen der Menschen, die Dich nötig hatten. Erinnere Dich an alle, die einsam sind, die Du nicht besuchst, obgleich sie ganz in Deiner Nähe wohnen. Hörst Du nicht ihre unausgesprochenen Fragen: Ob Du nicht glücklich bist und gesund, ob dein Leben nicht in guten Bahnen verläuft und unter einem hellen Stern steht und - ob Du nicht ein wenig davon abgeben willst, teilen mit ihnen: Deine Zeit, Dein Glück, Deine Kraft, Dein frohes Schicksal... Wie oft hast Du sie beschenkt, ihnen Anteil gewährt an Deinen Gaben? Wie oft hast Du sie fort gewiesen, vertrieben, ihnen - und damit Gott - die Frucht vorenthalten? Und tatest Du manchen von ihnen nicht weh damit, mehr vielleicht, als wenn Du sie geschlagen hättest? "Gewalt" kann ja auch von Dir ausgehen, wenn Du kein Wort sagst und nicht die Hand hebst. Kälte des Herzens kann auch verletzen. Die Härte Deiner Haltung kann verwunden. Ein hochmütiger Blick, eine ablehnende Geste kann tiefe Wunden reißen, schmerzhafter als ein Messer. Aber die "Boten" haben nicht immer Menschengestalt! Auch Ereignisse - wir nennen sie gern "Zufälle" - können uns etwas sagen. Ja, vielleicht tragen sie eine Botschaft an uns: Vergiß Gott nicht! Er will Früchte von dir! Du lebst schon lange, als wenn es ihn nicht gäbe und du ihm nicht alles verdankst. Komm ins Reine mit ihm! Kläre dein Verhältnis! Nimm wieder Beziehung auf, du hast sie lange vernachlässigt. Der "Zufall", die Glücksstunde und der Leidensweg, mag Gottes Hand sein, die er dir auf die Schulter legt! Denk' an die Früchte! Gott hat dich gemacht, bewahrt und bis heute erhalten. Dein Leben ist von ihm...nur geliehen! Bringe Frucht für ihn - an den Nächsten! - Wie sind wir diesen Boten begegnet?

Aber die Geschichte rückt uns noch näher. Unter die Haut geht sie uns jetzt: "Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen." - Wir haben uns nicht gescheut! Gebt Gott, was Gottes ist, hat er uns zugerufen! Ihr seid Gottes! Er hat euch geschaffen. Er ist euer Vater, von dem ihr alles habt, was ihr in Händen haltet. Gebt ihm, was ihm zusteht: Dank und Ehre, Vertrauen und vor allem Liebe - und wendet diese Liebe denen zu, die sie so bitter nötig haben, euren Schwestern und Brüdern, die leiden und zu kurz gekommen sind, die hungern und deren Seele darbt. Und begreift doch endlich, daß ihr nichts seid aus euch selbst, daß ihr vergeht, wenn der Vater im Himmel seine Hand von euch abzieht. Gar nichts könnt ihr machen. Ohne ihn seid ihr ein Dampf, ein Rauch, der im Wind der Zeit verweht. Seine Freundlichkeit ist es, wenn ihr Kraft habt, gesund seid, reich, angesehen oder begabt. Er hat euch angelegt und umsorgt - daß ihr Früchte treibt für ihn an den Mitmenschen, die euch brauchen.

Nein, haben wir gesagt. Laß uns damit in Ruhe! Was ich kann und bin, habe ich nur mir zu verdanken, niemand anderem! Mein Hab und Gut ist von mir erworben, ich habe schwer genug dafür gearbeitet! Meine Anlagen, meine Talente, die "guten Gaben" - ich habe sie schließlich erst entfaltet und zu dem gemacht, was sie heute sind! Geh' uns nicht auf die Nerven mit deiner Rede von den "Schwestern und Brüdern" und daß wir einen "Vater" hätten. Zuerst komme ich, dann nochmal ich... Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. -

Darum ist Christus gestorben, weil wir Gott die Früchte unseres Lebens verweigern. Eines Lebens, das er geschaffen hat und noch erhält. Sein ganzes Leben war ein einziger Ruf: Gebt Gott, was ihm zusteht! Empfangt seine Geschenke dankbar aus seinen Händen. Versucht euch nicht selbst zu "machen" - ihr könnt es nicht. Ihr seid seine Geschöpfe und dürft seine Kinder sein, aber euer Verdienst ist daran nichts.

Liebe Gemeinde, auch wir haben ihn getötet. Unser Hochmut war das, unsere Ichsucht, unser Dünken: "Wir brauchen niemand, unser Leben gehört allein uns, keinem anderen stehen seine Früchte zu." - Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. Wir haben das getan. Unsere Weigerung, Gott zu geben, was ihm gehört, ist unsere Sünde. Unsere Sünde ist das Kreuz Jesu geworden.

Nicht wahr, das predigen zu müssen, ist nicht leicht. Wer mag es hören, wer mag es gar annehmen. Wer schließlich wird durch das Hören sein Leben ändern und endlich Früchte abliefern? Ich weiß es nicht und ich muß es nicht wissen. Dies wahrhaftig und deutlich zu verkündigen war meine Aufgabe. Ein Gutes wenigstens darf ich noch hinzufügen, eine - bei allem Ernst - frohe Botschaft dieser Geschichte: Immer noch steht der Schluß der Geschichte für uns aus. Wir dürfen noch mit unserem Leben wirtschaften und anderen die Güte Gottes zeigen. Immer noch schont uns Gott. Immer noch umsorgt und bewahrt er den Weinberg. Noch können wir Frucht bringen. - Ach, daß wir die Zeit nutzten!