Predigt am Sonntag "Estomihi" - 2.3.2003

[Predigten, Texte, Gedichte...] [Buch mit 365 Gedichten] [Diskussionsforum zur Kirchenreform] [Mein Klingelbeutel] [Liturgieentwurf zur akt. Predigt]

Textlesung: Mk. 8, 31 - 38

Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muß viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.

Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?

Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Liebe Gemeinde!

Es liegen wohl Welten zwischen dem, wie wir sind und dem, wie wir sein sollen! Oder mit den Worten des Predigttextes gesagt: Der Graben zwischen dem, was göttlich ist und dem, was menschlich ist, der ist so gewaltig, fast meint man, er wäre wohl nie zu überbrücken! Und noch einmal anders ausgedrückt: Wer will Jesus schon nachfolgen, wenn das heißt, sich selbst und seine Interessen zu verleugnen, also hintanstellen und dabei auch noch Kreuz und Leiden zu riskieren.

Wie menschlich die Welt ist, das haben wir alle schon gespürt. Ja, es vergeht wohl kein Tag, an dem wir nicht neu erfahren müssen, wie menschlich die Welt - oder sagen wir jetzt besser - wie armselig der Mensch ist! Ein paar Beispiele dazu, ohne zu sehr in Einzelheiten zu gehen oder gar Namen zu nennen:

Da werden immer wieder (auch hier bei uns und heute sogar zunehmend) Partner verlassen. Da wird dann um Kinder gerangelt und versucht, sich mit allen Mitteln um Unterhaltszahlungen für die Verlassenen herumzudrücken. Da wird die lebenslängliche Treue, die man versprochen hat, schon nach ein paar Jahren mit Füßen getreten. Da ist keine Anwaltsfinte zu gemein, als daß man sie nicht anwenden, keine Wäsche zu dreckig, als daß man sie nicht in der Öffentlichkeit eines (Dorfes oder) Gerichtssaales waschen würde. Da werden die Gewissen auf einmal so weit und die Herzen so eng, daß man nicht mehr glauben kann, daß diese Menschen einander einmal geliebt haben.

Aber da gibt es auch mehr und mehr die Menschen, die eine große Kälte in unsere Dörfer (Wohngebiete/Stadtteile/Gemeinden) bringen und immer weiter verbreiten: Leute, die vor sich hin und nur für sich leben und nicht einmal ihre Nachbarn kennen, ja, sich für sie auch gar nicht interessieren. So als wäre nicht einer auf den anderen angewiesen! So als brauchte man nicht auch einmal jemand, der hilft, wenn das Unglück über einen kommt, wenn Feuer ausbricht oder der Sturm uns das Dach abträgt. Alles das haben wir doch schon erlebt! Eines weiß ich gewiß: Wenn erst das Alter diese Menschen einsam und hilfsbedürftig macht, dann werden manche sich wünschen, sie hätten in guten Zeiten herzliche Beziehungen zu denen gesucht, die mit ihnen Tür an Tür wohnen. Dann nämlich werden solche Beziehungen nur noch sehr schwer aufzubauen sein!

Aber ich will noch ein paar - sagen wir: innerkirchliche - Erfahrungen beisteuern: Da treten Leute aus der Kirche aus - wie zufällig unmittelbar nachdem das letzte Kind getauft ist. Da werden die Pfarrerin, der Pfarrer von Menschen nicht mehr gegrüßt, denen sie - und nicht auf verletzende Art! - im Auftrag ihres Kirchenvorstands einen Brief geschrieben oder eine Entscheidung mitgeteilt haben, die den Adressaten nicht gefallen hat. Da gehen Menschen dann aus dem selben Grund nicht mehr zu einem Gemeindekreis, dem sie lange angehört haben. Da wird dem Pfarrer abgesprochen, ein Seelsorger zu sein, weil er jemandem die reine Wahrheit sagt, die ihm sonst niemand zu sagen wagt. Da kommen angeblich christliche Gemeindeglieder nicht einmal im Jahr in den Gottesdienst, weil die Pfarrerin und ihre Predigt ihnen nicht gefallen - als besuchten sie in der Kirche die Pfarrerin und nicht Gott und sein Wort und als dienten sie Menschen, wenn sie kommen und nicht Gott ihnen.

Liebe Gemeinde, ich will nun gewiß nicht, daß sie sich mit mir aufregen und einstimmen in die Klage, wie schlecht die Welt ist, wie übel die Menschen und die Christen unserer Tage und wo das denn alles noch hinführen soll... Ich will nur dahin kommen, daß sie mit mir erkennen, daß in unserer Zeit kein Mensch mehr so schnell ein Kreuz auf seine Schulter legen will, sich keiner selbst verleugnet, vielmehr selbst behauptet, da mag er im Unrecht sein, die Wahrheit unterdrücken und sich der Lüge bedienen, da mag sein Verhalten noch so schäbig sein, und da mag er auch genau wissen, daß es sehr böse ist, was er sagt und tut... Weiß Gott, "menschlich" ist diese Zeit, sehr menschlich!

Aber was machen wir jetzt damit? Hören wir noch einmal auf diese Worte Jesu: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.

Ein "Kreuz" auf sich nehmen, das will heute keiner, das haben wir gesehen. Aber ich finde, es wäre ja auch schon sehr viel, wenn wir nur einmal die Wahrheit auf uns nehmen würden und die Treue und die Redlichkeit und eine gewisse Geradheit und daß auf uns Verlaß ist... Das wäre schon so wertvoll und so hilfreich!

In unsere Beispiele hinein gesagt: Daß ich, wenn die Ehe schon zerrüttet ist, wenigstens noch ehrlich, respektvoll und würdig mit dem Menschen umgehe, dem ich einmal lebenslängliche Liebe und Gemeinschaft versprochen habe. Daß ich der Kinder Bestes suche und ihnen nicht noch weitere Lasten aufbürde, ihnen, den Schwächsten, die eine Trennung ja sowieso nie unbeschadet verarbeiten können.

Und daß die, an denen unsere dörfliche Gemeinschaft nach und nach zugrunde geht, ihr Herz wenigstens für einen der nächsten Nachbarn entdecken. Daß über diese Nächsten dann eine Kette zu den Übernächsten entsteht - bis schließlich wieder zusammengewachsen ist, was zusammengehört - wenigstens in unserem Dorf (unserer Straße, unserer Gemeinde).

Und daß auch jene, die der Kirche nur aus Geldgründen den Rücken kehren, wieder erkennen, wie viel eben diese Kirche auch in unserer Gesellschaft leistet, was dann kaputtgehen muß, wenn immer mehr Leute verweigern, ihren Beitrag dazu zu geben. (Ich nenne hier nur unsere Gemeindeschwesternstation!) Und daß schließlich die ins Nachdenken geraten, die ihren Pfarrer, ihre Pfarrerin, die Kirchenvorsteher oder die engagierten Mitarbeiter der Gemeinde dafür bestrafen wollen, daß sie das tun, wofür sie ja eigentlich da sind: Nämlich als Christen die Wahrheit sagen, für Gottes Sache arbeiten und werben.

Ich glaube übrigens, das ist ist nicht zu hochfahrend gesprochen: ...der wird sein Leben verlieren! Denken wir nur daran, wie verbittert und enttäuscht manche Menschen aus einer Ehescheidung hervorgehen, wie sie für den Rest ihres Lebens nie mehr fähig werden, eine Bindung einzugehen, wie mißtrauisch sie sind und wie stark bei ihnen der Wunsch ist, noch einmal von vorn zu beginnen und manches ungeschehen zu machen. Und das ist durchaus nicht nur bei denen so, die verlassen wurden, sondern auch bei jenen, die einmal die Scheidung betrieben haben!

Und auch bei den Menschen, die unsere Dörfer (unsere Gemeinde) nur als Wohnstätte ansehen, geht das Leben verloren. Ich meine das wirkliche, das wahre Leben, das Freude macht und Verheißung hat und in dem Wärme ist und eben auch die Hoffnung, daß ich einmal jemanden in meiner Nähe habe, wenn ich ihn brauche.

Und die Gegner der Kirchenleute und PfarrerInnen strafen sich doch auch nur selbst mit ihrem Verhalten. Mal hart gesprochen: Das macht doch uns nichts aus, wenn Menschen meinen, sie brauchten Gott und sein Wort nicht. Davon werden doch wir nicht ärmer und die Gemeinde Jesu Christi im Ort und in der Welt stirbt doch nicht daran, daß jemand meint, er müßte jetzt dem Gottesdienst oder einem Gemeindekreis fernbleiben. Die Menschen selbst verlieren etwas: Gemeinschaft, die sie bitter nötig haben in dieser kalten, harten Zeit. Ja, sie treten das Feuer aus, das sie hätte wärmen können und von dem vielleicht einmal ihr Leben abhängt. - Die Freude, die das macht, mit anderen Menschen an diesem Feuer zu stehen, die schlagen sie allemal aus!

Ich möchte und ich muß zum Schluß kommen. Ich weiß da nichts anderes und nichts besseres, als das noch einmal zu wiederholen: Wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.

Ja, das ist die andere Seite, das ist die Verheißung: Wir werden das Leben da finden, wo wir wahrhaftig sind, treu, gemeinschaftlich, freundlich und bemüht um die Mitmenschen. So das eigene, ichsüchtige, selbstbezogene Leben zu verlieren, wird sich als der Gewinn unseres Lebens herausstellen. Wenn auch heute auf wenig Verlaß ist, darauf dürfen wir uns verlassen!