Predigt zum 4. Sonntag nach Epiphanias - 2.2.2003

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Textlesung: Mk. 4, 35 - 41

Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Laßt uns hinüberfahren.

Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so daß das Boot schon voll wurde. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, daß wir umkommen?

Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?

Sie aber fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!

Liebe Gemeinde!

Ich bin ganz sicher, wir können das sehr gut nachempfinden, wenn die Jünger hier zu Jesus sagen: "Fragst du nichts danach, daß wir umkommen?" Das haben wir doch selbst auch schon erlebt: Das Boot unseres Lebens war vollgelaufen und kurz vor dem Versinken... Oder ohne dieses Bild, anders ausgedrückt: Wir waren am Ende. Uns ist so viel kaputtgegangen, daß wir wirklich nicht mehr wußten, wie es weitergehen sollte. Die Sorgen haben uns schier aufgefressen. Die Angst war groß, wir konnten nächtelang nicht schlafen. Die Zukunft schien rabenschwarz. Kein Hoffnungsschimmer, kein Licht am Ende des Tunnels.

Was sagt uns die Geschichte von der Stillung des Sturms dazu? Einmal das - und es ist nicht angenehm und nicht tröstlich, das zu hören: Jesus schläft während wir in Ängsten und Zweifeln vergehen. Er ist uns fern, greift nicht ein, ja scheint es nicht einmal zu merken, wie es uns geht.

Aber es gibt auch andere Gedanken, die wir in dieser Geschichte dazu entdecken können: Als sie ihn wecken, hilft er sofort - auch wenn er sie später wegen ihres Unglaubens rügt. - Haben wir ihn immer geweckt, wenn wir in höchster Not oder bösen Erwartungen waren?

Aber noch etwas liegt in der Geschichte, vielleicht das wichtigste: Auch wenn Jesus schläft, auch wo er uns scheinbar fern ist und nicht auf uns acht hat, ist er doch bei uns und hilft uns auch, bevor es zu spät ist. Den Jüngern damals ist ja doch nichts geschehen!

Und schließlich erfahren wir, daß Jesus die Macht hat, noch die größte Gefahr zu wenden, im schlimmsten Unglück noch alles zum Besten zu kehren. Dabei sind unsere Sorgen und Befürchtungen, unsere Not und Angst sogar noch recht "kleine Fische", sozusagen. Damals hat Jesus dem Meer und dem Wind geboten und den Sturm und die Wellen beruhigt!

Trotzdem, irgendwie wünschen wir uns das anders - wie schon die Jünger auf dem See: Jesus soll nicht schlafen! Wir möchten ihn immer hellwach an unserer Seite haben, er soll auf uns aufpassen, daß wir erst gar nicht hineinmüssen ins Unglück, daß uns die Not und die Sorge erspart und wir vor jeder Gefahr bewahrt bleiben. - Liebe Gemeinde, wäre das wirklich gut?

Die Jünger damals auf dem See hätten Jesu Macht nicht erfahren können, wenn er schon das aufkommende Wetter besänftigt hätte. Eine ganz wichtige Erfahrung wäre nicht gemacht worden, nämlich die: Jesus hilft in der Not. Er hat Macht über die Elemente. Er kann alles, was uns bedroht wenden, alles, wovor wir uns sorgen, in Ordnung bringen.

Ein Theologe unserer Zeit hat gesagt - und ich sage es einmal mit meinen Worten: Gott kann uns die Kraft schenken, daß wir alles, was uns bedroht oder ängstigt bestehen können. Aber er gibt uns diese Kraft nicht im Voraus, sondern will in jeder Lebenssituation angerufen und gebeten sein, daß er uns davon gibt, soviel wir brauchen.

Liebe Gemeinde, vielleicht sind wir damit ja nicht zufrieden. Sicher wäre es angenehmer, sozusagen praktischer, wenn Gott uns vor allem Schweren und Bösen bewahrte, bevor wir hineingeraten. Und sicher hätten die Jünger auf dem See mit Jesus an Bord auch lieber eine ruhige, erholsame Fahrt gehabt, ohne Blitz und Donner, ohne schäumende Gischt und aufgewühltes Wasser. - Aber noch einmal: Wäre das wirklich gut? Wäre es nicht auch ein wenig öde und ziemlich langweilig, ohne eine gewisse Herausforderung, und wäre es nicht sogar von einer anderen Sicht her schon wieder gefährlich? Wozu brauchten wir - mit einem wachen Jesus im Lebensboot, der uns alle Gefahren bannt und uns an allem Unglück vorbei steuert - noch unseren Glauben? Ja, kommt Vertrauen in Gott nicht gerade daher, daß es eben auch Sorgen gibt, die uns den Schlaf rauben, daß es auch Nöte zu bestehen gilt, daß uns manchmal die Zukunft dunkel scheint und unser Leben am seidenen Faden hängt? Und umgekehrt, wenn das Leben mit Gott, wenn die Fahrt auf dem See mit Jesus nur glattes Wasser und das leichte Säuseln des Windes kennt, hätte sich da wohl in unserem Herzen ein Glaube an Gottes Macht entwickelt, gäbe es da unser persönliches Vertrauen zu Jesus überhaupt? - Ich glaube nicht!

Aber ich will noch weiter gehen, diesen Gedanken noch weiter treiben: Bei immer ruhiger Fahrt und einem sorglosen Leben ohne Ängste und Gefahr gäbe es keine Christen in dieser Welt. Schon damals hätte uns kein Markus die Geschichte von der Sturmstillung aufgeschrieben, niemand hätte davon irgend etwas weitergegeben und Jesus selbst - wäre längst vergessen! Es ist also gerade das Wunderbare, das Überwältigende und Tröstliche an unserem Glauben, daß er eben der Halt in der stürmischen Welt, der Anker im tosenden See und die Ruhe im Sturm sein will und kann. Aber das alles wird er nur sein, wenn wir Gottes Macht, wenn wir Jesus hineinrufen in unsere Angst auf dem schäumenden Meer unseres Lebens. So und nicht anders wollte Gott es haben in seiner Beziehung zu seinen Menschen. Uns wird kein nur behütetes, immer heiles und leichtes Leben angeboten, wir werden nicht von vorn herein vor allem Übel, aller Not beschützt - aber wir haben eine Hilfe in allem Bösen, in allem, was uns ängstet und beschwert, und diese Hilfe ist da, wenn wir sie brauchen - und wenn wir sie auch erbitten: Und Jesus war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf...und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille.

Liebe Gemeinde, so ist das mit unserer Verbindung zu Gott, unserer Beziehung zu Jesus. So ist das mit unserem Glauben: Wenn wir Jesus hineinrufen in unsere schwere Zeit, in unsere Nöte und unsere Angst, dann will er da sein, dann wird er uns helfen, herausreißen, retten...

Aber es gibt noch einen Gedanken dazu, der muß nun auch noch ausgesprochen werden: Wollten wir es denn eigentlich wirklich so, daß Gott uns immer vor allem bewahrt und behütet? Möchten wir wirklich ein Leben haben, das immer nur zu unserer Freude und Zufriedenheit verläuft? Anders gesagt: Wollen wir stets im Einklang mit Gott, seinem Willen und Gebot leben?

Hieße das nicht auch, daß wir ständig nach diesem Willen fragen, an jeder Kreuzung des Wegs neu überlegen, wohin Jesus jetzt gehen würde und uns bei allen Entscheidungen immer besinnen, was er, unser Herr, jetzt wohl täte? Gewiß, das hieße es und eigentlich wäre das ja auch nicht verkehrt! Nur, wer kann das? Und: Wer will das, ehrlicherweise? Fühlten wir uns da nicht sehr schnell unfrei und gegängelt? Wir haben doch nun einmal - auch als Christinnen und Christen - unseren eigenen Kopf. Wir möchten auch einmal die Wege gehen, die wir gehen wollen. Wir möchten - genau so, wie wir es von unseren Kindern kennen - unsere eigenen Fehler machen dürfen!

Darum geben wir uns keinen Illusionen hin, so wie Gott uns will, können wir nicht sein, jedenfalls nicht immer und zu aller Zeit. Darum ist es gut so, wie es ist: Daß Gott hilft, wenn wir seine Hilfe erbitten. Daß Jesus in der Nähe ist und hört, wenn wir ihn rufen. - Wir wollen uns mit unserem Leben bemühen, daß es nicht zu oft nötig ist, daß er uns aus den Schwierigkeiten holt, in die wir uns selbst - sehenden Auges und leichtfertig - begeben haben!

...und Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille.

Wie gut, daß es so ist! Wie wunderbar, daß wir nicht allein sind in dieser Welt und in unserem Leben.
Vergessen wir nicht, wenn der Wind sich gelegt hat und wieder die große Stille in unserem Leben entstanden ist, dem zu danken, der uns geholfen hat!