Predigt zum 2. So. n. Weihnachten - 5.1.2003

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Textlesung: Lk. 2, 41 - 52

Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest.

Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wußten's nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten.

Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn.

Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.

Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Liebe Gemeinde!

Ist das nicht nur einfach eine Geschichte? Wird uns nicht nur etwas erzählt, was halt geschehen ist, und wir nehmen es auf und sagen: "Aha, so war das damals!?" Oder gibt es in diesen Versen auch Gedanken, die uns zum Nachdenken anregen, die uns heute etwas sagen, vielleicht etwas lehren wollen, was für unser Leben, unseren Glauben wichtig ist?

Maria und Josef haben ihr Kind gesucht, das auf der Heimreise von Jerusalem verloren gegangen war. Sie finden es im Tempel, im Haus Gottes, wo es mit hochgebildeten Gesetzeslehrern diskutiert. Nun hätten sie es hocherfreut in die Arme schließen und sich endlich nach Hause begeben können. Vielleicht hätte sich im Herzen der Maria auch so etwas wie Stolz über ihren Sohn regen und sie hätte vielleicht sogar solch ein Wort an die versammelten Schriftgelehrten richten können: "Ja, wißt ihr, mein Kind ist etwas besonderes, der Sohn Gottes, des Hochgelobten... Schon bei seiner Geburt haben die Engel gesungen und Könige ihm gehuldigt!" Wäre es nicht das Natürlichste von der Welt gewesen, wenn Maria jetzt ein wenig geprahlt und damit renommiert hätte, daß sie zur Mutter dieses Kindes auserwählt war?

Aber nichts dergleichen sagt sie. Im Gegenteil: Sie ist "entsetzt"! "Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht." Und kein Wort zu den gelehrten Männern, wen sie in diesem Kind vor sich haben. Nein, nur das nicht! Maria hat gewiß auch große Angst gehabt, die Lehrer könnten mißverstehen, was ihr der Knabe antwortet: "Warum habt ihr mich gesucht? Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?" Aber Gott sei Dank, die Schriftgelehrten scheinen ahnungslos, denn wir hören: "Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte."

Ganz gewiß hat Maria hörbar aufgeatmet, als ihr Sohn jetzt mit ihnen nach draußen geht und ihnen nach Nazareth folgt und dort noch für einige Jahre "untertan" ist. Gott sei Dank, für dieses Mal ist die Sache mit ihrem Sohn im Tempel zu Jerusalem noch einmal gut gegangen! Aber Maria "behält alle diese Worte in ihrem Herzen", wie wir erfahren. Und die Zeit wird kommen, da fällt ihr alles wieder ein, und es wird wieder in Jerusalem und bei einem Fest der Juden sein, wieder im Tempel und die Gesetzeslehrer spielen abermals eine gewichtige Rolle, aber es geht nicht mehr so glimpflich ab...

Liebe Gemeinde, sie wissen, was ich meine: Palmsonntag, Tempelreinigung, Passamahl, Gethsemane, Gefangennahme, Jesus vor dem Hohen Rat, vor Pilatus, Geiselung, Golgatha, Kreuzigung und Tod. Das werden rund 20 Jahre später die Stationen sein, die Jesus gehen muß. Da wird Maria wieder daran gedacht haben, was sie mit ihrem Zwölfjährigen erlebt hat, und es wird ihr das Entsetzen von damals wieder vor Augen und dem Herzen gestanden haben, nur viel größer! Diesmal nämlich, konnte er nicht mehr ihr, sondern mußte seinem himmlischen Vater untertan sein!

Liebe Gemeinde, was lernen wir jetzt aus dieser Geschichte? Was nehmen wir von ihr mit und in unser Leben hinein?

Vielleicht dies: Wie schon die Geschichte "vom zwölfjährigen Jesus im Tempel" - nicht nur für seine Mutter! - weit über sich hinausweist, so ist das doch in vielen Geschichten, die uns von Jesus erzählt werden: Mitten im Leben salbt ihn eine Frau in Bethanien für sein Begräbnis; als er noch mit seinen Jüngern zusammen und als Heiland und Lehrer unterwegs war, spricht er es mehrfach an: Der Menschensohn muß viel leiden und sterben...; und auch in seinen Gleichnissen ist es doch schon verborgen, daß es um mehr geht als dieses Leben: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht!"

Und jetzt endlich, liebe Gemeinde, wird es ganz persönlich, denn ist nicht auch Gottes Geschichte mit uns immer eine, die über sich hinaus reicht, bis an das Ende der Welt, der Zeit - und eben auch unseres Lebens? Wenn wir noch jünger sind, fällt uns das gewiß sehr schwer, so zu denken, es so zu sehen. Aber je älter wir werden, umso klarer muß uns das doch sein, oder besser: müßte es uns werden: Alles Leben läuft auf den Tod hin. Aller Anfang trägt schon das Ende in sich. Und auch das stimmt doch und wir müssen es immer wieder schmerzlich erfahren: Alles zieht Wirkungen nach sich! Nichts ist heute und jetzt abgeschlossen. Jede Schuld hat Folgen, alles Böse belastet unser Gewissen. Jedem ungerechten Wort, das wir sagen, jeder Tat, die schlecht war, wohnt auch schon die Reue inne und oft die Strafe. Nichts kann nur von dem her betrachtet werden, wie es sich heute darstellt. Alles hängt zusammen: Hinter der Krippe Jesu steht schon das Kreuz. Wenn wir heute wissentlich den falschen Weg gehen, werden wir nicht ans Ziel kommen, jedenfalls nicht zu dem rechten. Wer seinen Glauben wegwirft, dem wird er irgendwann fehlen. Noch das ausschweifendste Leben, das Alter und Krankheit immer verdrängt hat, mündet in Abschied und Tod.

Aber warum führe ich ihnen das so deutlich, ja schmerzhaft vor Augen und Ohren? Wissen wir das nicht alle? Doch, wir wissen es, aber wir wollen es oft - und für lange - nicht wissen. Und noch etwas: Wir gehen mit unserem Denken immer wieder nicht oder nur sehr ungern bis ans Ende dieser Gedanken. So war es schon bei Maria, als sie ihren zwölfjährigen Sohn im Tempel findet. Sie wußte es doch, daß einmal der Tag kommt, da aus dem Staunen der Gesetzeslehrer Angst um ihre Macht, Haß auf Jesus und der Plan, ihn zu Töten, entstehen würde. Und als sie später in den letzten Tagen vor der Kreuzigung in seiner Nähe war und seinen Weg mitverfolgte, da wußte sie es doch genau, das würde, das mußte in den Tod führen. Und eben so genau wissen wir es doch auch immer schon, wenn wir uns falsch verhalten, daß uns daraus schlimme Folgen, Schmerzen und vielleicht Qualen des Gewissens entstehen werden.

Es gibt aber einen Unterschied: Was Maria nämlich nicht wußte, jedenfalls nicht mit der selben Gewißheit, wie wir es wissen können, ist dies: Daß hinter dem Tod, den sie mit "Entsetzen" auf ihren Sohn zukommen sieht, die Auferstehung und die Ewigkeit stehen wird! Das hatte sie zwar - wie auch die Jünger - von Jesus gehört: "...und am 3. Tag werde ich auferstehen..." Aber geglaubt hatte sie es nicht, wie es die Jünger nicht geglaubt hatten. Wir aber leben nach Ostern. Wir kennen eben nicht nur die Geschichte bis zum Tod, bis zur Schuld, bis zur Qual des Gewissens und den Schmerzen der Seele - wir kennen auch den Schluß, das wirklich ganz wunderbare, herrliche Ende: Dieser Jesus ist eben nicht im Grab geblieben, in das man ihn gelegt hatte. Er ist auferstanden und lebt...bis heute! Und er ist aufgefahren in die Herrlichkeit eines ewigen Lebens beim Vater... Und damit wissen wir eben auch davon, daß Vergebung unsere Schuld aufhebt, daß ein zerschlagenes Gewissen auch wieder ganz und ruhig werden und der Schmerz der Seele geheilt werden kann.

Darum haben wir keinen Grund bei Angst und Entsetzen stehen zu bleiben, wie Maria damals im Tempel und später unter dem Kreuz. Wir wissen, daß Jesu Sache nicht zu Ende war, als er auf Golgatha seine letzten Worte gesagt hat. Für uns weitet sich der Blick über den Kreuzeshügel hinaus in die ewige Welt, in der alles neu wird, sich vollendet und in der es keinen Schmerz, keine Schuld, keine Krankheit und keinen Tod mehr geben wird.

Wahrhaftig, was uns vom zwölfjährigen Jesus im Tempel erzählt wird, ist nicht nur so eine Geschichte. Wir können an ihr begreifen, wie weit und groß Gottes Liebe ist, daß es niemals Anlaß für uns gibt, daß wir uns entsetzen weil Jesu Weg eben nicht nur von der Krippe zum Kreuz, sondern bis in die Ewigkeit des Vaters führt. Unser Glaube verbindet unseren Weg mit seinem.