Predigt zum 3. Adventssonntag - 15.12.2002

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Textlesung: Mt. 11, 2 - 6 (7 - 10)

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht:
Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
(Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht?
Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige.

Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist's, von dem geschrieben steht (Mal. 3,1): »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«
)

Liebe Gemeinde!

Das war die Botschaft des Johannes gewesen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Ich taufe euch mit Wasser; der nach mir kommt, wird euch mit Feuer taufen. Er hat die Wurfschaufel in der Hand; er wird seine Tenne fegen; er wird den Weizen in seine Scheune sammeln und die Spreu verbrennen... Gekommen war Jesus. Nicht gewaltig wie erwartet, sondern demütig und gering. Ein Mensch wie andere. Ein Rabbi wie viele. Ein Prophet, ein Prediger, ein Lehrer.

Für Johannes war das Himmelreich weiter entfernt, denn je. Er saß im Gefängnis. Herodes hatte ihn einsperren lassen. Die Macht des Tyrannen war ungebrochen. Und das, obgleich viele sagten, in Jesus wäre der Messias erschienen. Wir können uns die Zweifel des Täufers ausmalen, seine quälenden Fragen: Ist das der Heiland, dieser bettelarme Mensch aus Nazareth? War ich sein Wegbereiter? Wo bleibt denn der Himmel auf Erden, den ich ankündigte? Wo ist die Herrschaft Gottes? Warum liege ich in Ketten? - Und so läßt er Jesus fragen: Bist du's, der da kommen soll? Bist du der Heiland, der Messias, der Christus?

Sind uns diese Fragen so fremd? Wir, in unseren Gefängnissen des persönlichen Leids, der Angst, der Krankheit. Wir, im Kerker der Einsamkeit, des Alters, der körperlichen Gebrechen. Wir, in den Ketten eines sinnlosen Lebens, verstrickt in die Langeweile des Alltags, gebunden in den Fesseln des 'Immer-so-weiter'. Fragen nicht auch wir voller Zweifel: Bist du es, der da kommen soll? Bist du der Heiland, der mich endlich frei macht aus allem, was mich bindet und gefangen hält? - Was erwarten wir von Jesus?

Was wollte Johannes hören? Ein klares Ja! Ich bin's! Ich bin der Messias. Ich bin der Retter, dein Heiland! Jesus aber antwortet anders: Schau' hin, was geschieht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt. War das die Antwort, die Johannes hören wollte? Er sah nichts davon. Er lag im Kerker. Er erfuhr keines der Wunder. Er mußte glauben, was man ihm sagte.

Sind wir besser dran? Wo stehen denn Tote auf? Wo werden den Blinden die Augen geöffnet? Wo beginnen Lahme zu laufen? Wir sehen auch nichts davon. Ja, damals mag's geschehen sein. Damals mögen Aussätzige rein, Taube hörend geworden sein. Doch - weiß ich das? Hilft mir das? Ist es mehr als bloßes Hörensagen? Ja, die seine Wunder erlebten, die sie am eigenen Leib erfuhren, die konnten's glauben. Die mußten glauben, daß er der war, auf den sie gewartet hatten. Er überzeugte sie mit seinen Wundern. - Aber war das wirklich so? War er der Wundertäter, der sich überall, wo er hinkam, erst einmal durch ein Zeichen auswies? - Hören und sehen wir nach drei der Geschichten, die von ihm erzählt werden:

Da trat eine Frau an Jesus heran, die litt am Blutfluß seit 12 Jahren. Und sie rührte die Quaste seines Kleides an. Denn sie sagte bei sich selbst, wenn ich nur sein Kleid anrühre, werde ich gesund. Jesus aber wandte sich um, sah sie an und sprach: Sei getrost, dein Glaube hat dich gerettet. Der Glaube an Jesus vollbringt also das Wunder.

Da saß ein blinder Bettler am Wege. Und Jesus begann und sprach zu ihm: Was willst du, daß ich dir tun soll? Der Blinde aber sagte zu ihm: Rabbuni, daß ich wieder sehen kann. Da sprach Jesus zu ihm: Geh hin, dein Glaube hat dich gerettet. Nicht die Machttat Jesu ruft den Glauben hervor. Der Glaube ist schon da - und empfängt das Wunder.

Und Jesus kam in seine Vaterstadt, und er konnte dort kein Zeichen tun, und er verwunderte sich wegen ihres Unglaubens. - Ein drittes Beispiel für diese Sache: Nur der Glaube erfährt das Zeichen. Woher kommt dieser Glaube? Aus dem Hören!: "Gehet hin und saget dem Johannes wieder, was ihr hört und seht." Erzählt ihm von all den Wundern, die geschehen: Aussätzige werden rein, Tote stehen auf und - das größte der Wunder steht am Schluß - den Armen wird das Evangelium gepredigt, die Botschaft, die alle froh machen will, die sie hören: Gott wird einer von uns! Er thront nicht mehr weit weg im Himmel. Er wird Mensch - wie wir. Er geht den Ausgestoßenen nach. Er sagt denen, die am Sinn ihres Lebens verzweifeln, daß es Sinn hat. Er nimmt sich der Schwachen an. Er verkündet gerade den Armen das Heil. Wie anders als durch diesen Jesus selbst hätte diese gute Nachricht deutlich werden können? In diesem Menschen, schwach wie wir, ohnmächtig wie wir, wird Gott einer von uns. Selig, wer sich daran nicht ärgert. Der Glaube an ihn weiß: Der, auf den wir warten, ist schon da. Jesus ist der, der da kommen soll.

Wenn wir ihm Glauben schenken, werden auch heute all die Wunder möglich, von denen wir hören: Blinden, die keinen Lebenssinn mehr sehen, gehen die Augen auf. Sie erkennen, daß ihr Leben lohnt. Lahme, die den Weg zu ihren Mitmenschen immer scheuten, gehen auf ihren Nächsten zu. Taube, die nie ein Ohr für die anderen hatten, werden hellhörig für fremde Nöte und Sorgen. Aussätzige, belastet mit Schuld und Makel, werden rein und haben einen neuen Anfang. Tote, unfähig zu allem Guten, erwachen aus ihrer Starre, werden lebendig zum Dienst am Menschen. Der Glaube an Jesus macht das möglich. Die Wunder, die er an uns tun will, geschehen - gestern, heute, morgen und jeden Tag:

Hören und sehen wir's nicht - nur weil es vielleicht nicht in den Zeitungen steht:

Die Botschaft der Gottesliebe wird weitergesagt - auch in unseren Tagen.

Menschen horchen auf und ändern ihren Sinn. Verstoßene Kinder finden jemanden, der sie liebt.

Farbige Studenten bekommen ein Zimmer. Deutsche und Ausländerkinder dürfen zusammen spielen.

In den Familien werden abends wieder Gespräche geführt, der Fernseher bleibt aus.

Ehepartner blicken sich nach einem Streit wieder in die Augen und wagen ein Lächeln.

Der Leistungsdruck läßt nach, der Konsum sinkt - und Menschen sind trotzdem glücklich.

Man kann atmen in den Innenstädten und in den Vororten wird's wohnlich.

Auf dem Rasen dürfen Kinder spielen. Verfeindete Nachbarn reichen sich die Hand.

Man spricht wieder miteinander und tauscht einen freundlichen Blick.

Ghettos gehören der Vergangenheit an. In Altersheimen läßt sich's leben.

Süchtige kommen los, Depressive legen die Schlaftabletten beiseite.

Traurige lachen, Verhärtete können weinen. Besserwisser hören wieder zu.

Gleichgültige falten die Hände. Abgeordnete vertreten die Interessen der Schwachen.

Der Gegner kommt zu Wort. Kapital fließt in die Entwicklungsländer.

Gespräche über den Frieden sind ernst gemeint, und haben spürbare Folgen.

Allen wird das Evangelium verkündigt: Die Botschaft, daß Jesu Herrschaft die ganze Welt erneuert.

Liebe Gemeinde, wenn das keine Wunder sind.

Jesus kommt ohnmächtig und schwach, damals wie heute. Er zwingt sich uns nicht auf mit Macht und Gewalt. Er blendet uns nicht mit glänzendem Auftreten. Er will unseren Glauben, unser Herz.

Sagt weiter, was ihr seht und hört. Helft mit, daß seine Wunder heute unter uns geschehen!