Predigt zum 21. Sonnt. nach Trinitatis - 9.11.2014 (Alternative zum Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr liegt vor!) Textlesung: 1. Kor. 12, 12 - 14. 26 - 27 Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist ge- tränkt. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied. Liebe Gemeinde! Gewiss wünschten sich das auch einige, die heute hier unter der Kanzel sitzen: Dass mit dem Leib und den Gliedern die ganze Menschheitsfamilie gemeint wäre. Und das ist ja auch ein schöner Ge- danke: Alle Menschen werden Brüder ... und Schwestern. Weiße, Schwarze, Rote, Gelbe... Alle ge- hören zusammen. Niemand bleibt draußen. Keiner ist mehr als der andere. Keiner weniger, gerin- ger. Ein schöner Traum. Aber eben nur ein Traum. Wenn wir noch einmal genau auf die Worte des Paulus achten, dann wird uns deutlich, dass er nur von denen spricht, die zu Jesus Christus gehören: „Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist ge- tränkt.“ Nun ist auch das noch eine ziemlich unrealistische Vorstellung, unter allen Getauften, allen Glieder des Leibes Christi, könnte das einmal wahr werden: „...wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ Wir sind - was ja auch gut ist! - einfach zu viele! Und wir sind ja auch zerstreut über den ganzen Globus. Und die Art und Weise, wie wir unser Christentum leben, ist sehr unterschiedlich - und da meine ich nicht nur die großen Konfessionen, sondern die vielen Gemeinden in vielen Ländern mit ihrer ganz eigenen Entstehung und Geschichte, ihrem religiösen - oft noch heidnischen - Umfeld und ihrer ganz unterschiedlichen Betonung bestimmter christlicher Themen und gottesdienstlicher Gebräuche. So ist es etwa in den Armenvierteln der Dritten Welt weniger die Frage, ob der Heilige Geist von Gottvater oder von Jesus Christus ausgeht. Dafür aber bestimmt besonders die Liebe Jesu zu den Armen, Schwachen und den Außenseitern die Gottesdienste, die Predigten und das religiöse Den- ken der Menschen, die zur christlichen Gemeinde gehören. Und so haben die schwarzen Gemeinden in Amerika in ihren Gottesdiensten meist eine größere Beziehung zu Gesang und Tanz als wir sie etwa in einer deutschen Landgemeinde haben. Ja, wir können uns das wohl kaum vorstellen, wie lebendig ein Sonntagsgottesdienst in einer amerikani- schen Gemeinde sein kann, wie viel Gemeinschaftsgefühl da aufkommt und wie ergriffen die Men- schen sind. Umgekehrt könnte sich ein Christ aus einer solchen amerikanischen Gemeinde wohl auch nicht vorstellen, wie still und ernst es in unseren gottesdienstlichen Feiern zugeht. Aber wir wollen das gar nicht vergleichen oder gar bewerten, was denn besser ist oder den Christen und ihrem Glauben eher angemessen. Wir dürfen vielmehr sicher sein, dass jede christliche Ge- meinde sich die Lebensformen, die christlichen Themen, die Gebräuche und den Gottesdienst sucht, die ihr entsprechen und gefallen. Wir wollen dabei tolerant sein und wir dürfen auch Tole- ranz erwarten. Der christliche Glaube hat viele Ausdrucksformen und Gott, unser Vater, hat viele unterschiedliche Kinder. Aber - und das eint uns Christen - wir sind alle getauft, alle mit einem Geist getränkt und gehören alle zu einem Leib, dem Leib Christi. - Was kann uns das also jetzt sa- gen: „...wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.“ Ich denke, das kann nur heißen, dass wir von unserer Gemeinde ausgehen, und fragen: Wie ist das denn hier in ............. ? Leiden wir wirklich mit, wenn ein Glied unserer Gemeinde leidet? Freuen wir uns mit denen aus der Gemeinde, die geehrt werden? Ja, spürt man überhaupt etwas davon dass wir alle Glieder eines Leibes sind, Glieder am Leib unseres Herrn? Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen mit diesen Fragen geht. Aber mir scheint es, dass wir von dem noch sehr weit entfernt sind, was Paulus von den Gliedern des Leibes Christi erwartet. „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit.“ - Es mag ja sein, dass wir heute oft gar nicht mehr erfahren, wenn es einem Mitchristen schlecht geht. Daran können wir nichts ändern. Und es ist sicher auch häufig so, dass die leidenden Menschen gar nicht wollen, dass wir von ihrem Leid wissen. Das müssen wir respektieren. In solchen Fällen können wir unser Mitleiden nur üben, in- dem wir für die beten, die Leid tragen, auch wenn wir sie nicht kennen und auch wenn sie uns ihr Leid nicht offenbaren wollen. Es gibt nun aber sicher genug Mitchristen deren Leid wir sehr wohl gesehen und die sich nicht ge- scheut haben, davon zu sprechen, darüber zu klagen und um Hilfe zu bitten. Wie haben wir rea- giert? - Haben wir so getan, als hätten wir nichts gehört? Haben wir uns eingeredet, andere hätten doch mehr Möglichkeiten, die besseren Beziehungen, größeres Talent in gerade diesem Fall zu hel- fen? Überhaupt ist das ja eine beliebte Ausflucht, wenn wir uns angesprochen und gefordert fühlen, dass wir uns hinter der mehr oder weniger großen Zahl der anderen möglichen Helfer verstecken. Nur: Die anderen machen es genauso und dann bleibt am Ende keiner übrig, der hilft. Vielleicht haben wir ja auch schon einmal geholfen - das aber am Ende bereuen müssen: Es gab kein bisschen Dankbarkeit. Wir wurden ausgenutzt, weit über das Maß der Hilfe hinaus, die wir ei- gentlich geben wollten. Damals haben wir uns geschworen: Das passiert uns keine zweites Mal! Sagen Sie: Liegt nicht jeder Fall anders? Können wir wirklich unsere verweigerte Hilfe damit be- gründen, dass wir schon einmal hereingefallen sind? War es nicht gut, geholfen zu haben, auch wenn kein Dank zurückkam? Auch - vielleicht gerade - im Umgang mit leidenden Menschen - müssen wir auch vergeben können. Was sagt Jesus auf die Frage: „Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal?“ Er antwortet: „Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.“ (Mt.18,21f) Wie steht es damit bei uns: „Wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ - Mir fällt ein, wie sehr die Kandidaten für den Kirchenvorstand immer wieder mit der Enttäuschung rin- gen, wenn sie nicht gewählt worden sind. (Das ist sicher nicht nur bei uns so!) Von Mitfreude kann da keine Rede sein. Es ist halt doch - bei aller Arbeit die das Amt macht - eine Ehre, gewählt zu werden. Und wenn man bei der Wahl nicht genügend Stimmen bekommt, dann empfindet man das so, als wäre einem ein Stück der eigenen Ehre abgeschnitten worden. Aber warum eigentlich? Es soll doch demokratisch zugehen - auch und gerade in der Gemeinde. Und wenn andere in der Ge- meinde bekannter sind oder eine größere Verwandtschaft haben, dann ist das doch ganz klar, dass sie mehr Stimmen erhalten als wir, die wir noch neu in der Gemeinde sind oder keine so große „Hausmacht“ haben. Überhaupt geht es doch in erster Linie darum, dass eine Gemeinde einen guten Kirchenvorstand bekommt. Und wenn das bei der Wahl zustande kommt, ist das gewiss ein Grund zu Freude. Und schließlich ist es bei jeder Wahl so, dass auch einige nicht gewählt werden. Mit der Frage, ob sie geeignet sind, hat das nichts zu tun und mit „Ehrabschneidung“ schon gar nicht. Nun gibt es auch noch ganz andere Gelegenheiten, bei denen Gliedern der Gemeinde Ehre zuteil wird: Wenn sie ein Jubiläum feiern können oder einen hohen Geburtstag haben. Wenn sie einen Gottesdienst musikalisch oder durch sonst einen Beitrag mitgestalten. Oder wenn sie für die Reno- vierung der Orgel oder die neue Bestuhlung des Gemeindehauses eine größere Spende gemacht ha- ben. Ich meine, auch bei all diesen Gelegenheiten, bei denen Menschen ehrend bedacht oder er- wähnt werden, ist die Freude eigentlich viel angemessener und tut uns selbst auch viel besser als Missgunst oder Neid. Mit diesen Worten des Paulus schließt der Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief, den wir heute be- denken: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.“ - Wir vergessen so leicht in dieser von Individualismus und Vereinzelung geprägten Zeit wie gut das ist, zu einer Gemeinschaft, eben unserer Kirchengemeinde hier in ......... zu gehören. Und das ist eben nicht irgendeine Gemeinschaft. Es ist der Leib Christi, an dem jede und jeder ein gleichberechtigtes Glied ist, keiner mehr und keiner weniger als der oder die andere. Sicher kann und muss noch viel in unserer Gemeinde geschehen, dass wir das am Sonntag und im Alltag wirklich spüren können: Wir gehören zusammen. Wir haben einen Herrn. Wir stehen füreinander ein. Keiner wird allein gelassen. - Bitten wir den Heiligen Geist, dass er uns immer mehr zur Gemeinschaft des Leibes Christi macht. AMEN