Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis - 2.11.2014 Textlesung: 2. Kor. 3, 3 - 9 Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, ge- schrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen. Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. Wenn aber schon das Amt, das den Tod bringt und das mit Buchstaben in Stein gehauen war, Herr- lichkeit hatte, so dass die Israeliten das Angesicht des Mose nicht ansehen konnten wegen der Herrlichkeit auf seinem Angesicht, die doch aufhörte, wie sollte nicht viel mehr das Amt, das den Geist gibt, Herrlichkeit haben? Denn wenn das Amt, das zur Verdammnis führt, Herrlichkeit hatte, wieviel mehr hat das Amt, das zur Gerechtigkeit führt, überschwängliche Herrlichkeit. Liebe Gemeinde! Am vergangenen Sonntag haben wir auf die Geschichte gehört, auf die Paulus hier zurückgreift: Mose bekommt auf dem Berg Sinai von Gott zwei Tafeln mit den 10 Geboten, die für den Bund Gottes mit seinem Volk Israel gelten sollen. Aber es ist der „Alte Bund“, der vom Gesetz bestimmt ist, in dem es nach den Buchstaben geht, die auf steinernen Tafeln geschrieben stehen. Paulus ist Diener des „Neuen Bundes“, der das Evangelium von Jesus Christus zur Grundlage hat, das Gottes Geist in die Herzen der Menschen schreibt. Der Dienst des Apostels an den Christen aus der Gemeinde von Korinth war, dass er dabei mitgeholfen hat, dass sie jetzt ein „Brief Christi“ sind, geschrieben nicht mit Buchstaben aus Tinte, sondern „mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln“, nämlich ihre Herzen. „Denn der Buch- stabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ Wir können auch sagen: Der Buchstabe, also das Ge- setz verurteilt den Menschen zum Tod, der Geist aber, der von der Erlösung durch Jesus Christus spricht, macht lebendig. - - - Eigentlich könnten wir’s jetzt dabei bewenden lassen, denn das ist die Botschaft, die uns der erste Teil des Abschnitts aus dem 2. Korintherbrief ausrichten will. Aber ich habe doch den Verdacht, dass nicht jeder und jedem klar geworden ist, was dabei den Unterschied macht: ob wir uns nun mehr auf den Buchstaben des Gesetzes verlassen oder auf den Geist vertrauen. Und dass uns das nicht so recht klar ist, ist keine Schande! Denn es gibt durchaus auch Christen, die davor warnen, den „Buchstaben“ nicht ernst zu nehmen und dagegen zu erwarten, dass der Geist Gottes uns im- mer zum rechten Glauben und zum gottgefälligen Leben führt. So lesen wir etwa bei Matthäus (Mt.5,18): Denn wahrlich, ich sage euch: „Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz...“ Das heißt doch nichts anderes als dies: Der Buchstabe, das Gesetz behält seine Gültigkeit bis zum Ende der Welt. Und es gibt auch einige Stel- len in der Bibel, die davor warnen, nur nach dem Geist zu fragen, denn es gehört eine besondere Gabe „die Geister zu scheiden“ dazu, um zu erkennen, welcher Geist von Gott und welcher ein Lü- gengeist ist. Bevor die Verwirrung nun noch größer wird, will ich diese Gedanken einmal ins wirkliche Leben übertragen. Vielleicht wird dabei deutlich, worum es bei diesen Fragen im tiefsten Grunde geht: - Da ist eine Frau in einem kleinen Dorf irgendwo in Deutschland von der die Gerüchte gehen. Ihr Mann hat sie vor ein paar Jahren mit drei kleinen Kindern sitzen lassen und ist untergetaucht und drückt sich so auch um die Unterhaltszahlungen, die er eigentlich leisten müsste. Sie hätte schon mehrfach nicht die Arbeit angetreten, die ihr von der Arbeitsagentur besorgt worden wäre, so wird im Ort erzählt. Ihr Haushalt sei verwahrlost und die Kinder bekämen nicht die Pflege und Fürsorge, die sie brauchen. Außerdem fragt man sich, auf welche Weise die Frau überhaupt das Geld zum Lebensunterhalt zusammenbekommt, um das kleine Haus zu halten, sich und ihre Kinder zu klei- den und zu ernähren? Nur wenige fragen nach den Schwierigkeiten, die es doch sicher bedeutet, unter den gegebenen Umständen sich und die drei Kinder durchzubringen. Auch nach dem Mann und seinem verantwortungslosen Verhalten fragt kaum jemand im Ort. Wie es bei dieser Frau und ihren Kindern zugeht, darf einfach nicht sein! Da müsste doch das Jugendamt eingreifen! Es gibt schließlich Gesetze! Es gäbe allerdings auch eine ganz andere Sicht auf das Leben der Frau und ihrer Kinder. Menschen mit dieser anderen Sicht würden auch eine ganz andere innere Haltung einnehmen. Sie würden sich nicht an Vorverurteilungen beteiligen. Sie würden das Gespräch mit der Frau suchen und einmal fragen, wie sie helfen können. Und sie würden einfach mehr Verständnis für ihre Lage entwickeln und erkennen, dass die Frau es nun wirklich nicht leicht hat. Vielleicht würde sich dann ja auch ein Ansatzpunkt ergeben, der Frau das schwierige Leben zu erleichtern: Ein Kindergartenplatz, den sie nicht bezahlen muss. Eine Hausaufgabenbetreuung in der Nachbarschaft für ihre beiden Kinder, die schon in die Schule gehen. Eine Arbeitsstelle in der Nähe, dass die Frau nicht so lange Fahrzeiten auf sich nehmen muss, die sie mehr als nötig von ihren Verpflichtungen als Mutter abhalten. Und mehr Freundlichkeit im Umgang mit ihr und ihren Kindern würden die Menschen mit der anderen Sicht gewiss auch aufbringen. - Da gibt es einen Mann in einer Kirchengemeinde, der jeden Gottesdienst wahrnimmt, treues Mit- glied im Bibelkreis ist und sich auch durch Mitarbeit beim Gemeindebrief und tätige Hilfe bei der Ausrichtung des jährlichen Gemeindefestes große Verdienste erworben hat. Allerdings ist ihm in seinem religiösen Eifer kaum ein Mitchrist „fromm“ genug. Die Mitarbeiterinnen im Kindergottes- dienst erzählen seiner Meinung nach nur „schöne Geschichten“, ohne die jungen Gemeindeglieder aber auch über den Ernst der Entscheidung für Jesus Christus aufzuklären. Die Kirchenvorsteherin- nen und Kirchenvorsteher der Gemeinde geben selbst viel zu wenig Zeugnis für ein gottesfürchtiges Leben. Kommt hie und da ein fremder Prediger zur Vertretung des Ortspfarrers, dann ist der ihm mit Sicherheit viel zu lasch in seiner Forderung, die Gebote Gottes zu achten und spricht viel zu viel von Vergebung statt von der Sünde. Der Mann könnte die Menschen seiner Gemeinde wohl auch ganz anders wahrnehmen. Er würde dann vielleicht erkennen, dass die Kinder große Freude an den „schönen Geschichten“ der Bibel haben und nur deshalb so zahlreich zum Kindergottesdienst kommen und dass durch die „schönen Geschichten“ bei den Kindern viel mehr davon hängenbleibt, wie Gott zu seinen Menschen steht. Vielleicht würde ihm auch deutlich, dass die Leute aus dem Kirchenvorstand gerade durch ihre fröhliche Art ihr Christentum zu leben, die Menschen viel neugieriger auf den Glauben machen und die Kirche viel anziehender. Schließlich müsste er auch zugeben, dass die Prediger, die von der Freude und von der Vergebung mehr reden als von der Sünde, auch die gottesdienstliche Gemeinde mehr ansprechen als es einer mit der Sünde und dem ständigen Hinweis auf die Gebote Gottes könnte. Und vielleicht würde er sogar begreifen, dass die Freude und fröhlich zu sein über die Erlö- sung von Sünde und Tod ganz und gar kein Zeichen für die Gottlosigkeit der Menschen ist, viel- mehr für ihre Nähe zu Gott. Liebe Gemeinde, sicher könnte ich noch einige Beispiele geben, in denen deutlich würde, wie im praktischen Leben der Buchstabe dem Geist und das Gesetz dem Evangelium entgegensteht. Aber ich glaube, die zwei Beispiele haben genügt. Sie zeigen auch, ohne das Wort ein einziges Mal zu nennen, worauf es ankommt, wenn wir unsere Wahl treffen: Ob wir unseren Glauben als Christen mehr auf den Buchstaben und das Gesetz oder den Geist und das Evangelium gründen wollen. Wo- rauf es ankommt, das Wort, das nicht genannt wurde, ist ... die Liebe! Ohne die Liebe zu den Mitmenschen im Herzen zu haben, fragen die Leute aus dem kleinen Dorf nur was bei der Frau und ihren Kindern los ist, was versäumt wird und wie fragwürdig der Lebens- wandel der Frau ist und dass die Kinder nicht anständig erzogen und versorgt werden. Die Liebe aber fragt danach, warum das so ist und wie man helfen kann und sie ist bereit, sich selbst in der Hilfe einzubringen. Ohne die Liebe zu den Mitmenschen im Herzen zu haben, fragt der Mann aus der Kirchengemeinde nach dem, was dem Menschen auferlegt ist: Die Sünde zu meiden, die Gebote zu halten, den Ernst, die Glaubensentscheidung für Christus zu treffen. Die Liebe würde auch die andere Seite sehen: Die Freude an der Erlösung durch Jesus Christus und Gottes Vergebung. Die Freude daran, Gottes geliebtes Kind zu sein, sich, was auch immer kommt, keine Sorgen machen zu müssen, vielmehr sich fröhlich auf Gott verlassen zu können mit einem ewigen Leben vor Augen... Liebe Gemeinde, bitten wir Gott, dass auch bei uns geschieht, was Paulus so beschreibt: „Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.“ Schenke uns Gott, dass der Geist dort in unseren Herzen diese Worte schreibt: „...dass wir tüchtig sind...zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buch-stabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ AMEN