Predigt zum 3. Sonntag nach Trinitatis - 6.7.2014 Textlesung: Hes. 18,1-4.21-24.30-32 Und des Herrn Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf gewor- den“? So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umge- hen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben. Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat. Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der Herr, und nicht viel- mehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt? Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben. Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der Herr. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der Herr. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben. Liebe Gemeinde! Das sind sehr drastische Worte, die der Prophet Hesekiel dem Volk Isael hier ausrichtet: "Jeder, der sündigt soll sterben! ...in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben. Da- rum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel..." Wie können wir das mit dem Gott reimen, den Jesus Christus seinen und unseren Vater nennt, der barmherzig ist und gnädig, der seine Menschen liebt und es gut mit ihnen meint? - Oder ist das doch ein anderer Gott, der hier spricht? Es klingt jetzt vielleicht seltsam, aber diese harten Worte haben auch eine ganz andere Seite und sie haben eine andere Absicht, als die, den Menschen anzukündigen, dass sie sterben müssen. Ja, es geht überhaupt nicht darum, dass alle Sünder und Übertreter des göttlichen Gesetzes gleich sterben müssten, sondern es geht um Befreiung und Leben. Gehen wir einmal von diesem Sprichwort aus, das am Anfang steht: „Die Väter haben saure Trau- ben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden“? Wenn wir das in unsere Zeit übertragen, könnte das vielleicht so lauten: Die Väter (und Mütter) haben Schuld auf sich gela- den und die Kinder müssen es ausbaden. Noch kürzer könnten wir das auch so sagen: Kinder haften für ihre Eltern! Schlimm wäre es, wenn dieses Sprichwort, wenn diese Gedanken gelten würden! Wie gut ist es darum, dass der Gott, der durch den Propheten Hesekiel redet, dieses Sprichwort verwirft: „So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch um- gehen in Israel.“ Wenn wir jetzt noch das „Sterben müssen“, dass hier angedroht ist, mit „bestraft werden“ ersetzen, dann hört sich die Botschaft des Propheten gar nicht mehr so drastisch an und wir bleiben doch bei dem, was er dem Volk Israel von Gott sagen will: Jeder, der sündigt soll bestraft werden! ...die Strafe für seine Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er tragen. Darum will ich euch bestra- fen, ihr vom Hause Israel... - Ich glaube, langsam kommen wir dem auf die Spur, was der Prophet eigentlich meint, was die Absicht seiner Worte ist - und das ist eben nicht zuerst hart und dras- tisch, sondern es befreit und lässt aufatmen - damals wie heute: Keiner muss für seine Eltern ein- stehen, wenn es um deren böse Taten geht. Keiner muss auch Rechenschaft dafür ablegen, was sei- ne Kinder Böses tun. Jeder steht vor Gott persönlich mit dem, was er sündigt, aber auch dem, was er an Gutem tut. Ja, er muss die Strafe für seine Sünde tragen. Aber er erhält auch den Lohn für sei- ne guten Taten. Er allein, kein anderer, der vor ihm war oder der nach ihm kommt, nicht Kinder für die Eltern, nicht Eltern für die Kinder. Als Menschen, die das Evangelium von Jesus Christus kennen, können wir das vielleicht immer noch nicht ganz als Botschaft und Willen unseres himmlischen Vaters annehmen. Wir denken bei „Sünde“ und „Schuld“ immer zugleich auch an die Vergebung, die es doch auch gibt, seit unser Herr für uns ans Kreuz ging. In der Welt des alten Israel aber war es ein totaler Bruch mit der Ver- gangenheit, von dem abzurücken, was wir heute mit Kollektivschuld oder Generationenhaftung be- nennen würden. Das galt wie ein ehernes Gesetz: Die Kinder wurden für das zur Rechenschaft ge- zogen, was die Eltern an Schuld aufgehäuft hatten. Der Sohn, die Tochter musste für den Vater o- der die Mutter büßen, bezahlen, einstehen und die Strafe tragen. Aber Gott sagt dazu nein durch seinen Propheten: „Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg!“ Und für uns heute hört sich das so an: Jede und jeder ist für sein eigenes Tun vor Gott ver- antwortlich, nicht für das, was andere - und wären es die Eltern - getan haben. An dieser Stelle kommt der Prophet, der viele hundert Jahre vor Jesus Christus gelebt hat, an seine Grenze. Wir aber dürfen es so sagen und ergänzen: Jede und jeder ist für ihr und sein eigenes Tun vor Gott verantwortlich, aber wir haben Jesus Christus, der für uns die Sünde auf sich genommen und am Kreuz abgetragen hat. Wer an ihn glaubt, dass er uns durch sein Sterben von Sünde und Schuld erlöst hat, der wird frei und muss sich vor Gottes Gericht nicht fürchten. Liebe Gemeinde, als heutige Christinnen und Christen nennen wir ganz selbstverständlich, wenn die Rede auf unsere Sünde und Schuld kommt, Jesus Christus als den Herrn, an dessen Kreuz unser Schuldschein hängt. Vielleicht aber ist uns das schon wieder zu „selbstverständlich“? Und viel- leicht geht das ja doch auch ein wenig zu schnell und zu leicht? Wenn wir noch einmal daran denken, dass nach der geltenden Rechtsauffassung im alten Israel auf den Schultern eines Menschen nicht nur die eigene Schuld lastete, sondern möglicherweise auch noch die der Vorfahren, dann könnte uns neu deutlich werden, was uns mit unserem Herrn Jesus Christus eigentlich von Gott geschenkt ist: Eben nicht nur die Vergebung unserer eigenen Schuld, sondern aller Schuld, auch der unserer Eltern oder unserer Kinder und aller anderen, für die in Isra- el einmal gehaftet werden musste. Von daher kommt es aber auch, dass in unseren Tagen den eigenen Sünden und der eigenen Schuld, aber auch der Schuld überhaupt ein nur noch sehr geringes Gewicht beigemessen wird. Wie schnell kommt uns das doch heute in den Sinn, dass uns durch Christus ja die Vergebung aller Schuld geschenkt ist. Dabei kann sehr leicht in den Hintergrund treten, was unseren Herrn diese Vergebung gekostet hat! Im alten Israel dagegen, war das noch ein sehr viel größeres Problem, seine eigene oder die Schuld der Eltern loszuwerden. Aber auch nach dem, was Jesus verkündigt hat, ist das nicht so rasch gegangen: Wenigstens um die Vergebung bitten müssen wir, wie wir aus dem Gebet wissen, das er uns gelehrt hat und das „Va- terunser“ heißt. Nicht einmal eine solche Bitte aber, halten wir heute oft noch für nötig, um Verge- bung zu erlangen: Denn durch Jesu Tod am Kreuz sind wir ja mit Gott im Reinen und das ein für alle Mal! Durch ein solches Denken ist in der Geschichte der Christenheit oft genug eine „Glaubens“-haltung entstanden, die Sünde und Schuld allzu leicht genommen hat. Als ein Beispiel dafür fällt mir der Ablasshandel durch die Kirche zur Zeit Martin Luthers ein: Da konnte man doch tatsächlich Ab- lass, also Vergebung für noch nicht getane Sünden erhalten! Und mit der Zahlung von ein paar Gulden konnte man die Eltern und andere schon Verstorbene aus dem Fegefeuer befreien. So billig war die Gnade, die uns Jesus Christus verdient hat, damals geworden. Aber ich finde, auch in der gegenwärtig - und schon seit einigen Jahren - laufenden theologischen Diskussion um den „Sühnetod Christi“ wird die Sünde der Menschen zu wenig ernst genommen. Die Frage nach dem Sühnetod Christi ist im Grunde die Frage, ob Jesus als ein Opfer für die Schuld der Menschen am Kreuz gestorben ist. Es mag theologisch schwer zu denken sein, dass Gott seinen Sohn für die Menschen opfert, also gleichzeitig die Sünde der Menschen heimsucht und die Strafe dafür auf sich nimmt. Es ist aber seelsorgerlich heilsam und befreiend das - etwa im Abendmahl - zugesprochen zu bekommen und zu erfahren. Liebe Gemeinde, kein Mensch muss für die Schuld anderer haften. Aber es gibt diese Schuld. Da- rum hören wir noch einmal auf Gottes Wort, wie es uns der Prophet ausrichtet: Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. Werft von euch al- le eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. AMEN