Predigt zum Gründonnerstag - 17.4.2014 Textlesung: Hebr. 2, 10 - 18 Denn es ziemte sich für den, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, dass er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden voll- endete. Denn weil sie alle von einem kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, und spricht (Psalm 22,23): „Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen.“ Und wiederum (Jesaja 8,17): „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen“; und wiederum (Jesaja 8,18): „Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.“ Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er’s gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Ge- walt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden. Liebe Gemeinde! Es ist nicht einfach, herauszubekommen, worum es hier eigentlich geht. Und glauben Sie ja nicht, ich hätte das gleich begriffen, was uns der Schreiber des Hebräerbriefs vermitteln will. Nun könn- ten wir sagen: Was wollen wir uns mit einem Text abmühen, den wir nicht verstehen können. Nehmen wir lieber einen anderen Bibelabschnitt vor, der es uns nicht so schwer macht. Andererseits haben sich die Kirchenleute von der liturgischen Kommission, die uns diesen Text für den Gründonnerstag alle sechs Jahre verordnet haben, sicher etwas dabei gedacht, wenn sie uns über diesen Text nachdenken lassen wollen. - Und wirklich: Nach mehrfachem Lesen kommt man langsam dahinter, was uns hier vermittelt werden soll. Keine Angst, ich will jetzt den Predigttext nicht auch vor Ihnen noch drei, vier Mal lesen. Sinnvol- ler scheint es mir, wenn ich Ihnen vortrage, was mir nach mehrmaligem Lesen an diesem Text auf- gegangen ist. Dazu sollen mir die wichtigsten Sätze aus diesem Abschnitt des Hebräerbriefs helfen: „Denn es ziemte sich für den, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, dass er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete.“ Hier ist von Gott und von Jesus Christus die Rede. Die Empfänger des Herbräerbriefs haben offenbar nicht verstanden, warum Gott seinen Sohn Jesus hat leiden und sterben lassen. Unbegreiflich war ihnen auch, dass Jesus kein Engel war, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, der gelitten und Angst und Schmerzen empfunden hat und gestorben ist, wie eben Menschen sterben - nur noch viel grausamer und schrecklicher als die meisten anderen. Hierzu lesen wir im Hebräerbrief die Erklärung: „Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er’s gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten.“ Das ist schon klar, dass nur ein Sohn Gottes, der ganz ins Menschenleben eingeht, dem Teufel und dem Tod den Schrecken und die Macht nehmen kann. Wäre Jesus „nur“ ein Engel gewesen, dann hätten seine Gegner gesagt: Er hat ja gar nicht richtig gelitten! Denn Engel sind ja nicht von dieser Welt und sie stehen auch über den Dingen dieser Welt und sterben können sie sowieso nicht! Und die Menschen, die an Jesus geglaubt haben, hätten so gedacht: Wie soll er uns retten, wie soll er uns vom Tod erlösen? Er hat doch keine Ahnung von unserem Leben und die Furcht, die wir vor dem Tod empfinden, kann er nicht nachfühlen. Er kommt aus der herrlichen Welt Gottes und er kehrt dorthin zurück. Und er weiß das auch, darum sind seine Leiden, seine Schmerzen und sein Tod eigentlich gar nicht echt. Dagegen stellt der Hebräerbrief etwas anderes: „Denn Gott nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher musste Jesus in allem seinen Brüdern (den Men- schen) gleich werden...“ Ich finde, das ist einleuchtend. Und ich glaube auch ganz fest, dass es so gewesen ist: Jesus war ein Mensch, auch noch einer, der in eher ärmlichen Verhältnissen geboren und aufgewachsen ist. Ich glaube überdies, dass er am Anfang seiner Wirkungszeit in Palästina noch gar nicht wusste, welches Schicksal auf ihn warten würde. Dass ist ihm wohl erst nach und nach klar geworden. Ich denke mir das so, wie wenn wir durch verschiedene Entscheidungen, die wir treffen, auf einen bestimmten Lebensweg geraten. Irgendwann merken wir, dass es kein Zurück gibt, dass die Weichen gestellt sind, dass diese oder jene Folgen unserer Entscheidungen zu erwar- ten sind und dass es auf ein ganz bestimmtes Ende hinausläuft. Und wir können und vielleicht wol- len wir es auch gar nicht mehr ändern. Irgendwann hat Jesus gewusst, dass sein Predigen und sein Wirken nur in Leiden und Tod enden kann. Und es gab eben keinen Ausweg. Er konnte sich nicht wie vielleicht ein Engel das gekonnt hätte, vor dem Leiden in Gottes Himmel flüchten. Er war so weit gegangen, wohl wissend, dass er seinem Schicksal nicht entkommen konnte. Und an diesem Punkt seines kurzen Lebens in dieser Welt, ist ihm gewiss auch klar geworden, worum es Gott eigentlich ging: „Er musste in allem sei- nen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes.“ Das ist die Bestimmung dieses Menschen, Jesus von Nazareth, gewesen, dass er als ein Bruder der Geschwister, die zu ihm gehören, wie ein treuer Hoherpriester durch sein Opfer am Kreuz die Sünde seiner Schwestern und Brüder weggenommen und sie so von Tod und Teufel erlöst hat. Und es ist schon so, wie wir hier weiter lesen: Denn worin er selber gelitten hat und versucht wor- den ist, kann er helfen denen, die versucht werden. Das haben zum Beispiel Pfarrerinnen und Pfar- rer erfahren, dass ihre Hilfe und Seelsorge an leidenden Menschen viel wirkungsvoller ist, wenn sie selbst auch schon das Leiden kennengelernt haben. Und wenn sie über Versuchungen reden, die sie selbst schon erlebt haben, dann sind sie als Warner vor den Versuchungen, die andere empfinden, viel glaubhafter. Aber damit haben auch die meisten von Ihnen schon Erfahrungen gemacht: Ein Mensch, der selbst einen Angehörigen verloren hat und durch die Trauerzeit gegangen ist, kann anderen in der Trauer viel besser beistehen. Und einem, von dem man weiß, dass er selbst schon Versuchungen erlegen ist und sie dann doch überwunden hat, dem nimmt man viel leichter ab, dass er uns auch zu unseren Versuchungen etwas zu sagen hat. Aber stimmt das denn für Jesus, dass er auch versucht worden ist? - Mir fallen dazu zwei Gelegen- heiten ein. Einmal - und das passt zu diesem Gründonnerstagabend - hat Jesus im Garten Gethse- mane mit Gott im Gebet so gerungen: „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vo- rüber...“ (Mt. 26,39) Wenn das keine Versuchung war, sich doch noch seinem Schicksal zu entzie- hen! Und dann am Kreuz, als ihn die Schmerzen des Todeskampfes fast dazu bringen, sein Ver- trauen in seinen himmlischen Vater aufzugeben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver- lassen?“ (Mk. 15,34) Auch das eine Versuchung...allerdings auch eine, die Jesus bestanden hat. Aber wir sehen, dass wir in Jesus Christus wirklich einen Herrn haben, der uns durch sein eigenes Leiden und die eigenen überwundenen Versuchungen helfen kann, mit unserem Leiden und unseren Versuchungen fertig zu werden. Liebe Gemeinde, ich könnte mir denken, dass Sie jetzt noch fragen, wo eigentlich der Bezug des Textes aus dem Hebräerbrief zum Gründonnerstag ist. In der Versuchung Jesu im Garten Gethse- mane, sich vor dem Leidenskelch zu retten, kann der Bezug ja nicht liegen. Das wäre zu wenig. Aber mit einem anderen Kelch hat es zu tun, nämlich mit dem, den wir heute miteinander teilen: Dem Kelch des gemeinsamen Abendmahls. Den einen von uns mag dieses Mahl eine Bestätigung sein, dass Jesus unser „treuer Hoherpriester vor Gott ist, zu sühnen die Sünden“ aller Menschen. Andere mögen sich darüber freuen, dass unser Herr uns zur „Herrlichkeit führt“ und der „Anfänger unseres Heils“ ist. Wieder andere feiern am Tisch des Herrn, dass wir alle zusammengehören, weil wir alle „Kinder Gottes“ sind, und keine „Knechte“, über die der „Tod Gewalt“ hat und „die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein“ müssen. Was auch immer uns das Abendmahl bedeutet, wir wollen fröhlich und mit guten Gedanken an den Tisch unseres Herrn treten und danach ein Stück Freude mit nach Hause nehmen. AMEN