Predigt zum 1. Adventssonntag - 1.12.2013 Textlesung: Hebr. 10, 19 - 25 Weil wir denn nun, liebe Brüder, durch das Blut Jesu die Freiheit haben zum Eingang in das Hei- ligtum, den er uns aufgetan hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch das Opfer seines Leibes, und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes, so lasst uns hin- zutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser. Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht. Liebe Gemeinde! Ein neues Kirchenjahr beginnt und damit die sechste und letzte Reihe der biblischen Texte, die uns, die wir predigen sollen, übers Jahr von unserer Kirche zu predigen vorgeschlagen sind. Und - viel- leicht haben Sie das eben beim Hören der Verse aus dem Hebräerbrief schon empfunden - die Texte dieser 6. Reihe sind schwierig zu verstehen - und zu predigen! Ich bin ganz offen: Darum sind sie auch bei vielen, die im Dienst der Verkündigung stehen, gefürchtet. Es scheint, als hätte man in diese letzte Reihe alle Texte hineingegeben, die noch übrig geblieben sind, nachdem man die bekannteren in den ersten fünf Reihen untergebracht hatte. Warum erzähle ich Ihnen das jetzt? Weil ich gleich einige Dinge an dem für heute vorgeschlagenen Text erklären muss, die man nicht gleich begreift. Und weil wir doch eigentlich am Beginn der Ad- ventszeit einfachen Verse erwarten, die leicht sind und uns zu Herzen gehen. Wir wollen sehen, ob auch aus diesem schwierigen Text noch ein paar „adventliche Gedanken“ entstehen können? „Weil wir denn nun, liebe Brüder, durch das Blut Jesu die Freiheit haben zum Eingang in das Hei- ligtum, den er uns aufgetan hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch das Opfer seines Leibes, und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes...“ Die „Hebräer“, denen der Schreiber des gleichnamigen Briefs geschrieben hat, wussten sofort, worum es hier geht: Das „Heiligtum“, wir sagen auch das „Allerheiligste“ im jüdischen Tempel zu betreten, war nur dem Hohenpriester gestattet. Ein einfaches Mitglied der jüdischen Gemeinde durfte niemals durch den „Vorhang“, der das Heiligtum versperrte, hindurch- und hineingehen. Jesus als der große Hohepriester aber hat durch sein Blut, also durch das Opfer seines Leibes am Kreuz von Golgatha, den Eingang ins Allerheiligste erlaubt und eröffnet. Anders gesagt: Jetzt darf jeder Mensch direkt, ohne dass ein Priester oder sonstiger religiöser Würdenträger vermittelt, zu Gott kommen. Wirk- lich: Ein „neuer, lebendiger Weg“! Vielleicht können wir jetzt nicht ganz ermessen, was das heißt? Aber stellen Sie sich nur vor: Da hat ein Mensch sein ganzes Leben bisher immer einen Vermittler gebraucht, der für ihn bei Gott ein Opfer bringt, bei Gott für ihn eintritt, wenn er gesündigt hat und bei Gott für ihn betet... Durch Je- sus Christus hat dieser Mensch nun freien Zugang zu Gott, kann für sich selbst opfern, um Verge- bung bitten und die Vergebung empfangen und im Gebet das Gespräch mit Gott suchen und auf- nehmen. Das war für jüdische Ohren so etwas wie eine religiöse Revolution. Die Hohenpriester im Tempel waren mit Sicherheit entsetzt über solche umstürzlerischen Gedanken! Das gefährdete ihre Macht und ihren Einfluss, ja, sie wären eigentlich ziemlich überflüssig gewesen. Aber es kommt noch toller: „...so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser.“ Hier werden die Gläubigen auch noch ermutigt und aufgefordert, davon reichlich und vertrauensvoll Gebrauch zu machen, den direkten Weg zu Gott zu gehen, um bei ihm Verge- bung zu erlangen. Es genügt, wenn sie mit dem unschuldigen Blut Jesu Christi „besprengt“ sind, es braucht keine priesterliche Fürsprache oder gar ein Opfer dazu. Der Mensch muss kein „böses“ also schlechtes „Gewissen“ haben, denn er ist befreit von Sünde und Schuld, durch Jesu Blut und ge- waschen am Leib mit reinem Wasser - wobei sicher an die Taufe gedacht ist. Und um die Taufe und das bei dieser Gelegenheit von den Täuflingen ausgesprochene Glau- bensbekenntnis geht es auch weiter: „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat...“ Wir können uns jetzt sicher denken, warum der Schreiber des Hebräerbriefs seine Leser auffordert, daran festzuhalten, was sie bei ihrer Taufe versprochen haben. Der Druck von Seiten der Hohenpriester und auch der jüdischen Gemeinde, zu der sie einmal gehört haben, wird groß gewesen sein, dass sie die Priester wieder als die recht- mäßigen Vertreter bei Gott in Sachen Opfer, Vergebung und Fürbitte anerkennen und zum früheren Glauben zurückkehren. Und gewiss hat es viele Christen gegeben, die dem Druck nicht standge- halten, vielmehr „gewankt“ und sich so von Jesus Christus losgesagt haben. Bei diesen Menschen hat auch der Hinweis nichts genützt, dass Christus treu ist und sich treu erwiesen hat bis zum Tod am Kreuz. Es fällt uns jetzt auch nicht schwer zu verstehen, warum wir hier jetzt solche Sätze lesen: „...lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen...“ Liebe Gemeinde, spätestens hier ist die Stelle in diesen Versen, an der wir heutigen Christinnen und Christen angesprochen sind. Und es ist auch die Stelle, an der es „adventlich“ wird. Aber eins nach dem anderen. Ich denke, ich bin nicht allein, wenn ich sage: Auch in unseren Tagen stehen wir unter großem Druck von außen. Es ist sicher ein anderer Druck als der, von dem der Hebräerbrief spricht. Aber er ist nicht weniger stark und er greift nicht weniger unsere christlichen Überzeugungen an. Um es genau zu sagen: Vieles von dem, was zu einem christlichen Denken und Leben gehört, hat es in un- serer Gesellschaft schwer, zunehmend schwer. Und auf unseren Glauben und unsere Hoffnung schauen manche Zeitgenossen eher verächtlich herab. Aber ganz konkret: Nehmen wir einmal das „Auf-einander-Achthaben“, von dem der Hebräerbrief schreibt. Wer kann oder will sich das leisten, auf andere zu achten, wenn es in seinem Betrieb für ihn heißt, entweder seinen Arbeitsplatz mit Klauen und Zähnen verteidigen oder ihn einem anderen zu überlassen und ausgemustert zu werden? Oder wenn eine sowieso nur einen Monatslohn verdient, mit dem sie gerade so leben kann oder der sogar noch „aufgestockt“ werden muss... Wie soll sie da noch die Mitmenschen im Blick haben? Und nicht nur im Arbeitsleben, in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen haben wir oft Nachteile, wenn wir nicht genug auf uns selbst, sondern „auf einander achthaben“. Und einander „anreizen zur Liebe und guten Werken“ kommt auch schnell an die Grenze, wenn nämlich wir in dieser doch sehr kalten Zeit am eigenen Leib eher die Ellenbogen der anderen erfah- ren als ihre Liebe und ihre guten Werke. Aber hier kommt nun der entscheidende Hinweis: „...lasst uns nicht verlassen unsre Versammlung- en, wie einige zu tun pflegen...“ Wo viel Druck von außen entsteht, ist es gut, sich zusammen- zuschließen. Wenn es schwer wird, den Glauben durchzuhalten und die eigenen Wertvorstellungen zu bewahren, hilft uns die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, dass wir standhaft bleiben. In einer dieser „Versammlungen“ sind wir jetzt. Und vielleicht können wir heute hier ja etwas davon spüren, dass uns die Nähe von Mitmenschen, die gewiss die gleichen Sorgen haben und ähnlichem Druck ausgesetzt sind, gut tut. Es ist vielleicht nicht so, dass diese Sorgen und der Druck von außen geringer werden. Aber wir können ihm leichter widerstehen und ihn leichter tragen, wenn wir wissen, andere tragen auch und tragen mit uns. Und vielleicht dürfen wir es ja auch immer wieder einmal erleben, dass wir Gottes Segen und Hilfe erfahren, wenn wir eben nicht aufhören, „auf einander acht zu haben“ und wenn wir gegen allen Druck bei der „Liebe und den guten Werken“ bleiben und den Ellenbogen der anderen nicht mit den eigenen begegnen. Noch ein- mal: Sicher ist es nicht, dass wir uns durch unser christliches Verhalten nicht doch eher Nachteile einhandeln. Aber es lohnt sich, es immer wieder damit zu versuchen. Es bringt uns einander näher. Es fördert die Gemeinschaft zwischen uns. Und das schönste ist vielleicht, dass es uns innerlich zu- frieden macht, unseren Glauben und unsere Hoffnung stärkt. Sie fragen jetzt sicher noch, was daran denn „adventlich“ sein soll? - Ich finde, diese Zeit auf Wei- hnachten hin, spricht - wenn sie leider auch oft viel Hektik mit sich bringt - doch auch immer wied- er besonders unser Herz und unsere Gefühle an. Und vielleicht macht uns das ja aufgeschlossener für die Gemeinschaft, die wir in den „Versammlungen“ unserer Gemeinde in diesen Adventstagen finden können. (Beispiele aus der eigenen Gemeinde nennen: Adventsandachten, -stündchen usw.) Von diesen „Versammlungen“ kann hoffentlich viel Ermutigung, Hilfe und Freude ausgehen. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine gute, frohe und gesegnete Adventszeit! AMEN