Predigt zum 1. Sonntag nach Trinitatis - 2.6.2013 Textlesung: Mt. 9, 35 - 38. 10,1 - 7 Und Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, gen- annt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus; Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet. Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Liebe Gemeinde! Ich glaube, die Namensliste der Jünger können wir heute getrost außer Acht lassen. Die ist nicht so wichtig. Aber etwas an dieser Geschichte ist nicht nur wichtig, ich finde es entscheidend, es ist für mich wie ein Stück aus der Mitte des Evangeliums und es rührt mich immer wieder, wenn ich es lese oder höre. Ich meine das: Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Ja, mich rührt und erfreut es, dass Jesus einer war (und ist!), den es jammert, dass so viele Menschen ein armes, unerfülltes, krankes, behindertes und wie sie es selbst empfinden wenig schönes und kaum lebenswertes Leben führen - und oft führen müssen. Und wie leicht und wie oft gehen die Zeitgenossen aus unserer so kalten Gesellschaft doch über die Nöte, die Sorgen und den Kummer dieser Menschen hinweg. Je- sus aber liegt an diesen Menschen, ja, wir können sagen, gerade an ihnen. Und einige Worte, die uns von ihm überliefert sind, sprechen davon. Eines steht schon in der Geschichte, die wir gerade gehört haben: ...geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Ein anderes sagt uns auch, warum er die Jünger gerade zu den Schwächsten der damaligen Gesellschaft geschickt hat: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“ (Lk. 5,31) Und schon das Alte Testament zeigt uns den Vater Jesu Christi immer wieder als einen Gott, der eine besondere Neigung zum Kleinen und Geringen hat. Denken wir nur an Jakob, einer der zwei Söhne des Isaak, der im Gegensatz zu seinem Bruder Esau ein ziemlicher Schwächling war - trot- zdem wird er, nicht Esau, der Stammvater des Volkes Israel. Oder denken wir an Josef, den jüng- sten, etwas sonderbaren Sohn des Jakob. Er wird als Sklave nach Ägypten verkauft und trotzdem rettet er später seine ganze große Sippe vor dem Verhungern! Und auch David gehört in diese Rei- he: Er, als der Kleinste der Familie, der nur ein Schafhirte gewesen ist, wird König von Israel. Schließlich nimmt auch der Apostel Paulus in seinen Briefen diese Hang Gottes zu den Schwachen und Geringen auf und stellt ihn in seiner Theologie immer wieder heraus: „Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben.“ (Röm 5,6) „Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist.“ (1.Kor 1,27) Diese Neigung Gottes und seines Sohnes zum Schwachen und Kleinen, zum Armen und Geringen, zum Behinderten und Kranken zieht sich durch die Geschichte der Christenheit - bis heute! Für al- le, die an Gott und seinen Sohn Jesus Christus glauben, gehört sie zur Mitte des Evangeliums. Da- rum ist es für uns Christinnen und Christen Aufgabe und Auftrag, dass wir uns zu den Schwachen, Kleinen und Geringen halten. Und bitter nötig ist es auch. Ich glaube nämlich, nein, ich sehe und empfinde es jeden Tag, dass viele Mitmenschen arm, schwach und freudlos sind. Bitte denken Sie jetzt nicht, ich wolle mich über diese Menschen erheben oder ich hätte Freude daran, mich zu ihnen sozusagen „gnädig“ herabzubeugen. Mich beschleicht eher eine gewisse Traurigkeit, wenn ich zum Beispiel sehe, wie viele Kinder aufwachsen, ohne dass ihnen einmal eine Mutter oder ein Vater von Jesus erzählt, mit ihnen betet und ihnen Gott bekannt macht. Und es sind durchaus viele von diesen Kindern getauft und die Eltern und Paten haben einmal versprochen, ihre Kinder im Glauben der Christen zu erziehen! Traurig macht mich auch, wenn ich die Jugendlichen erlebe, die trotzdem sie konfirmiert worden sind, überhaupt keinen Bezug mehr zum christlichen Glauben haben. Darin offenbart sich oft nachträglich, dass die Eltern und Paten in ihrer Kindheit nie das Interesse an Glaubensdingen geweckt haben, dass sie darum in der Konfirmandenzeit eigentlich kein Interesse an der Sache hat- ten und dieses Interesse auch nicht durch einen oft sehr guten Konfirmandenunterricht geweckt werden konnte. (Andere - eher materielle - Interessen aber hat es meist sehr wohl gegeben!) Schließlich gibt es ja auch viele Erwachsene, Menschen im mittleren Alter und wirklich Alte, die ohne den Halt des Glaubens durchs Leben gehen. Wer weiß, ob es diesen Glauben in der Kinderzeit einmal gegeben hat? Und wenn ja, wer weiß, warum bei ihnen die Brücke zum Glauben der Kindheit einmal eingestürzt ist? Wer weiß aber auch, ob sie im Laufe der Jahre, die sie in dieser Welt noch haben, noch einmal einen Anfang in ihrer Beziehung zu Gott finden? Und ja, alles das finde ich traurig und es sagt mir, dass viele Menschen etwas Wichtiges entbehren, etwas, von dem ich weiß, dass viel Kraft und viel Lebensmut davon ausgeht und uns aus der Schwäche holt und uns zu starken, selbstsicheren und eben glaubensgewissen Menschen macht. Nun würden die Menschen, die ich eben angesprochen habe, das ganz sicher völlig anders sehen. Sie würden bei uns von einer völlig falschen Sicht sprechen, die sie als schwach oder gering ein- schätzt oder meint, über sie traurig sein zu müssen. Ich will im Einzelfall auch niemandem unter- stellen, dass er darunter leidet, kein Verhältnis zum Glauben und zu Gott zu haben. Trotzdem aber bleibt es dabei: Es gibt viele, die ohne eine Beziehung zu Gott leben. Und es sind viele unter ihnen, die daran leiden. Und es ist einfach so, dass unzählige Menschen - auch ganz in unserer Nähe - denen gleichen, von denen Jesus hier spricht: ...sie waren verschmachtet und zer- streut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Aber bei dieser wenig hoffnungsvollen Erkenntnis müssen und dürfen wir nicht stehenbleiben. Hören wir doch: Da sprach Jesus zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Ar- beiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. Aber mit der Bitte um Arbeiter in Gottes Ernte ist es wohl nicht getan! Der Auftrag Jesu für die Jünger damals ist ganz konkret: Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. Liebe Gemeinde, ich weiß, solche Aufträge sind für uns eher entmutigend - weil wir glauben, sie ja doch nicht erfüllen zu können. Und sie fördern bei uns auch leicht die Untätigkeit, weil wir uns sagen: Was ich sowieso nicht erfüllen kann, ist wohl auch gar nicht an mich gerichtet. Aber es gibt noch ein anderes Verständnis, was der Auftrag, den Jesus seinen Jüngern hier erteilt, für uns heißen könnte. Eigentlich ist es uns doch ganz selbstverständlich, dass es Menschen gibt, die einen stärkeren und die einen schwächeren Glauben haben. Darum gehen wir doch auch ganz selbstverständlich davon aus, dass der Glaube beim einen mehr, beim anderen weniger zustande bringt. Das sagt allerdings nicht, dass die einen Gott lieber wären als die anderen! Wir sind alle von Gott gleich geliebte Menschen. Aber was wir fertigbringen ist eben nicht gleich. Was ich sagen will: Die Jünger konnten durch die Macht, die ihnen Jesus gegeben hat, unreine Geister austreiben und Krankheit und Behinderung heilen. Was wir können ist aber auch nicht wenig: Wir können denen helfen, die schwach sind. Wir können für die reden, die sprachlos und vi- elleicht voller Angst sind. Wir können denen vorbehaltlos begegnen, von denen die Gerüchte gehen. Wir können Menschen Mut machen, die sich nicht trauen, ihr Leben anzupacken und viel- leicht umzukrempeln - und wir können die ersten Schritte mit ihnen gehen. Wir können denen, die in unserer Gesellschaft arm, klein und gering geachtet und gemacht werden, zeigen, dass wir sie genauso freundlich und gut behandeln und mit ihnen umgehen, wie mit denen, die für die Masse der Menschen mehr gelten, reich und angesehen sind. Und wir können auch das erfüllen, was Jesus hier zuletzt anspricht: Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Das könnte uns zu den Kindern führen, zuerst zu denen in unserer Familie und unserer näheren Umgebung, die noch nichts oder wenig von Jesus wissen und das Beten nicht gelernt haben. Und vielleicht finden wir auch einen Zugang zu den Ju- gendlichen, die oft trotz Konfirmandenunterricht bisher kein Interesse an Glaubensdingen gefunden haben. Sprechen wir sie doch bei Gelegenheit einmal darauf an, wie sie sich ihr Leben so vorstellen und was für sie wichtig ist. Und schließlich gibt es jeden Tag Gelegenheiten, auch mit denen zu re- den, die erwachsen, im mittleren Alter oder schon älter sind: Oft warten sie geradezu darauf, dass Menschen, von denen sie doch wissen, dass sie gläubig sind, einmal bei ihnen die Sache mit Gott ansprechen. Ich glaube, dass es manchen, denen wir so vielleicht in Glaubensdingen aufhelfen, dann so vork- ommen wird, als wäre das Himmelreich für sie wirklich näher herbeigekommen. AMEN