Predigt zum Sonntag „Invokavit“ - 17.2.2013 Textlesung: Lk. 22, 31 - 34 Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst. Liebe Gemeinde! Wahrhaftig! Es wird nicht mehr lange dauern, da wird der Satan die Jünger „sieben wie den Weizen“. Er wird sie prüfen, in tiefste Erschütterung und Verwirrung stürzen. Auch Simon Petrus, der hier so großspurig redet, kann dann der Prüfung nicht standhalten. Er wird beobachten, wie sie Jesus in Gethsemane verhaften, er wird ihm in sicherem Abstand bis zum Palast des Hohenpriesters folgen und dann wird er im Hof vor dem Palast vor Angst schlottern, den Herrn verleugnen und schließlich davonlaufen. Und der Hahn wird dreimal krähen und Petrus wird bitterlich weinen. So- weit die Geschichte der Angst und des Versagens des Petrus, des Ersten unter den Jüngern Jesu. Aber was fangen wir damit an? Wir sagen jetzt mit Recht: So etwas würde Jesus mit uns niemals erleben! Und wir können das sagen, weil wir noch nie so hart geprüft wurden und weil uns nach menschlichem Ermessen eine solche Prüfung niemals bevorstehen wird. Noch einmal: Das ist sicher richtig. Aber es kann uns nicht beruhigen und wir können uns jetzt nicht zufrieden in unserer Kirchenbank zurücklehnen. Denn eigentlich ist es bei uns heutigen Christinnen und Christen viel schlimmer - vielleicht nicht mit der Angst, aber mit dem Versagen. Aber weil das so hart gesprochen ist, will und muss ich erklären, wie ich das meine. Ich erzähle dazu drei kleine Geschichten von heutigen „Prüfungen“: - Werner G. arbeitet als Buchhalter mit 12 Kolleginnen und Kollegen in einem Großraumbüro. Er ist Kirchenvorsteher in seiner Kirchengemeinde und würde sich selbst als christlich und gläubig bezeichnen. Der Bürochef, er sitzt in einem eigenen Zimmer nebenan, hat die Gewohnheit mehr- fach täglich im Großraumbüro „nach dem Rechten zu sehen“, wie er das nennt. Neulich nun hat er die Gelegenheit eines solchen „Kontrollgangs“ genutzt, um eine der Mitarbeiterinnen wegen ihrer sechswöchigen Krankheitszeit vor aller Ohren anzusprechen und moralisch zur Schnecke zu ma- chen. Sie hätte die gesetzlichen Bestimmungen ja bis zum äußersten ausgenutzt und die Kollegen hätten ihre Arbeit mitmachen müssen. Werner weiß, dass die Frau, der hier so hart zugesetzt wird, wirklich sehr krank war. Und er weiß auch, dass der Chef das weiß. Darum müsste er eigentlich ein Wort sagen. Vielleicht so eines: „Aber Chef, sie kann doch nichts dafür, wenn sie krank ist. Und wir haben die Mehrarbeit ja auch ganz gut geschafft. Hauptsache ist doch, dass sie jetzt wieder ge- sund und wieder da ist!“ Ja, so etwas müsste er sagen. Aber er schweigt. Und alle anderen schweig- en auch. - Gisela K. hat seit ihrer Heirat ein ganz schlechtes Verhältnis zu ihrem Vater. Er war damals gegen die Ehe mit ihrem Mann und war weder bei der standesamtlichen noch bei der kirchlichen Trauung dabei. Über 30 Jahre ist das her. Seitdem haben sie sich nicht mehr gesehen, nur aus der Ferne bei der Beerdigung ihrer Tante. Jetzt hört sie von ihrer Mutter, ihr Vater hätte einen Schlaganfall gehabt und es ginge ihm sehr schlecht. Alles, was er sich noch wünscht wäre, noch einmal seine Tochter zu sehen. Er wolle sich mit ihr aussöhnen. Gisela ist Christin. Der Wunsch des Vaters berührt sie. Aber das, was er ihr angetan hat damals, kann sie nicht vergessen. Immer noch tut die Verletzung sehr weh. Außerdem hat sie sich damals geschworen, den Kontakt mit dem Vater für immer abzubrechen. Andererseits...es wäre ihre christliche Pflicht. Wenn er nun stirbt, bevor sie noch einmal gesprochen haben? Sie spürt, sie müsste zu ihm gehen. Sie will nur noch ein paar Tage vergehen lassen. Dann kommt der Anruf der Mutter. Es ist zu spät. - Wilfried P. ist im Ruhestand und bezieht eine recht kleinen Rente. Als fleißiger Kirchgänger trifft er sonntäglich Friedrich, seinen ehemaligen Abteilungsleiter, von dem er weiß, dass er finanziell viel besser gestellt ist als er selbst. Er empfindet das als ungerecht und es wurmt ihn enorm. Neulich hat er über Friedrich ein Gerücht in die Welt gesetzt: Er hätte in seiner aktiven Zeit einmal in die Firmenkasse gegriffen. Das war frei erfunden, aber es hat sich wie ein Lauffeuer in der Ge- meinde verbreitet. Die Leute hören ja immer gern, dass einer, der sich ehrlich und wohlanständig gibt, Dreck am Stecken hat. Es dauert nur zwei Wochen, dann ist Friedrich nicht mehr in der Kirche zu sehen. Wilfried hört von ihm, dass er sich gegen das Gerücht gewehrt hat, aber dass ihm keiner glauben will. Irgendwie gefällt ihm das nun auch nicht mehr, dass er Friedrich ohne jeden Grund so viel Leid zugefügt hat. Er möchte gern wieder gut machen, was er Friedrich angetan hat. Aber wie soll man ein Gerücht wieder zurückholen? Und auch noch ohne selbst in seiner Glaubhaftigkeit beschädigt zu werden? Wilfried hält lieber den Mund. Liebe Gemeinde, nein, Angst ist hier nicht so sehr im Spiel. Dafür aber um so mehr Versagen. Wir mögen denken, Petrus hätte mit der Verleugnung seines Herrn, dem er doch Treue geschworen hat- te, viel größere Schuld auf sich geladen als die drei Menschen aus meinen Geschichten. Und das mag stimmen. Allerdings war das im Leben des Petrus wohl das einzige Mal, dass er derart versagt hat, aber ich behaupte: Bei uns kommt so etwas oder Ähnliches dafür viel häufiger vor. Aber warum habe ich Ihnen diese drei Geschichten eigentlich erzählt? Will ich sagen, dass wir im Grunde nicht besser sind als Petrus damals? - Ich antworte: Ja, das will ich sagen! Wie oft schweigen wir, wo wir reden müssten? Wie oft aber reden wir auch, wo wir besser geschwiegen hätten? Wie feige sind wir doch manchmal, sagen nicht, was gesagt werden muss. Wie viele Gerüchte gehen von uns aus - gar nicht nur, wenn wir bewusst die Unwahrheit verbreiten. Oft entsteht ein Gerücht auch, wenn wir nur Vermutungen oder Ahnungen weitergeben und unser Gegenüber nimmt es gleich für bare Münze? Wenn das Gerücht erst unterwegs ist, hält es keiner mehr auf. Das ist, als hätten wir Federn in den Wind geworfen. Wir können sie nicht mehr einsammeln. Klärende Worte erreichen nur wenige von denen, die dem Gerücht aufgesessen sind. Wie viele Gelegenheiten zur Versöhnung haben wir wohl schon verstreichen lassen? Wie oft haben wir die Hand ausgeschlagen, die ein anderer uns gereicht hat? Wie lange tragen wir etwas nach, was weit in der Vergangenheit geschehen ist. Oft wissen wir nach Jahren nicht mehr genau, was ei- gentlich Ursache des Zerwürfnis’ war. Manchmal haben wir die Abneigung gegen bestimmte Menschen gar schon von unseren Eltern oder Großeltern geerbt. Einen Strich machen wir trotzdem nicht drunter! Nein, nur weil Petrus vor seinem Herrn, Jesus Christus, versagt hat, ist er nicht schlechter als wir. All unser Versagen ist im Grunde auch eines vor unserem Herrn, denn wir verlassen damit die Spur, in der er uns vorausgegangen ist. Und es ist eben nicht christlich, andere Wege zu gehen, als die, die er uns gewiesen hat. Petrus hat Schuld auf sich geladen. Er hat seinen Herrn verleugnet und ihn damit ans Kreuz gebracht. Wir haben auch Schuld auf uns geladen. Wir haben manchesmal versagt, Leid und Kummer über andere Menschen gebracht und uns nicht als Nachfolger unseres Herrn bewährt. Auch für uns geht Jesus Christus den Weg hinauf nach Golgatha. Zu Petrus sagt Jesus: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre“, und er meint wohl damit: Auch wenn du mich verleugnen wirst, so wird es für dich doch mit mir und im Glau- ben an mich weitergehen. Weiter sagt er: „Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Nachdem Jesus auferstanden ist, wird diese „Bekehrung“ wahr, wenn Jesus dem Petrus am See Tiberias erscheint und ihn dreimal so anspricht: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!“ (Jh.21,15ff) Dreimal hatte er geleugnet, Jesus zu kennen. Dreimal muss er jetzt die peinliche Frage über sich ergehen lassen. Dann aber ist die gute Bezi- ehung wiederhergestellt. Und es wird wahr, dass Petrus die Brüder stärkt. Nicht anders will unser Herr es mit uns halten: Wenn wir in unserem Leben vor seinem Anspruch versagen, dann wollen wir zu ihm hingehen und ihn um Vergebung bitten. Ich glaube fest, wenn es uns ernst damit ist, dass uns leid tut, was wir getan haben, dann wird er uns die Schuld abnehmen. AMEN