Predigt zum Sonntag „Sexagesimae“ - 3.2.2013 Textlesung: Jes. 55, 6 - 12 Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. Denn meine Gedan- ken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. Liebe Gemeinde! Schon seit Jahrzehnten waren einige Tausend Israeliten in Babylon gefangen. Es war besonders die Oberschicht, die man dorthin deportiert hatte. Es ging ihnen nicht schlecht dort, nicht so schlecht jedenfalls, wie es das Bild von den Kindern Israel, die „an den Flüssen Babylons saßen und wein- ten“, glauben machen will. Sie durften ihre Religion ausüben, Häuser bauen und Handel treiben. Was ihnen fehlte, war die Heimat, die Nähe des Tempelbergs Zion und die Stadt Jerusalem, die für sie die religiöse und kulturelle Mitte gewesen war. Sie hatten große Sehnsucht. Viele aber hatten die Hoffnung längst aufgegeben, dass sie noch einmal ihre Heimat sehen würden. Und den Prophe- ten Gottes, die ihnen versprachen, dass Gott ihre Gefangenschaft bald beenden werde, glaubten sie nicht mehr. In diese Hoffnungslosigkeit hinein spricht Jesaja: „Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.“ Der Prophet erinnert mit diesen Worten daran, dass die Verschleppung nach Babylon ja einen Grund hatte: Die Gottlosigkeit des Volkes, üble Taten und böse Gedanken und vor allem Abfall von Gott und die Hinwendung zu fremden Göttern. Als die Babylonier über ihr Land herfielen, wussten sie noch sehr genau, wofür Gott sie bestrafte. Ich denke mir, in der langen Zeit in der Fremde seitdem, hatten die Israeliten das vergessen! Nach einigen Jahren wird ja oft auch bei uns die Erinnerung an das, was wir einmal getan oder unterlas- sen haben, blasser. Und gerade die bösen Taten und die bösen Worte, die wir gesprochen haben, vergessen wir gern. - Gott vergisst nicht - aber er vergibt. Hier ist die Bedingung dieser Vergebung, die damals wie heute gilt: „Der Gottlose lasse von sei- nem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN...“ Gott will ech- te Reue, er will dass wir umkehren zu ihm. Dann kann das geschehen: „Gott wird sich erbarmen, denn bei ihm ist viel Vergebung.“ Aber solche Prophetenworte waren sicher eine Zumutung damals! Die Israeliten in Babylon trauten Gott nicht mehr zu, das er ihre Hoffnung noch einmal wahr machen würde. Und es gab wohl in der Fremde Babylons auch keine Anzeichen dafür. Das überstieg darum einfach die Vorstellungskraft der Menschen, dass sie je nach Hause zurückkehren sollten. Und Gott weiß das, denn er lässt ihnen sagen: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege [...], sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Ob sie ihrem Gott nun geglaubt haben? Wir wissen es nicht. Auch müssten wir es wohl verstehen, wenn sie immer noch zweifeln. Das wäre vielleicht bei uns nicht anders. Gott aber gibt ihnen noch ein Wort, das sie in ihrem Vertrauen zu ihm bestärken soll: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie frucht- bar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“ Dass Gottes Wort, das schon die Welt geschaffen hat, auch die Heimkehr nach Israel ermöglichen konnte, fiel den Menschen in der Fremde Babyloniens nicht so schwer. Und Gott lässt es Jesaja nun auch noch einmal ganz deutlich aussprechen: Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. Liebe Gemeinde, wo sind wir gefangen? In unseren Sorgen um unseren Arbeitsplatz? In unseren Ängsten vor dem Alter und der Pflegebedürftigkeit? In einer unvergebenen Schuld, die uns seit Jahren quält? In einem Kummer, der uns schon lange nicht mehr ruhig schlafen lässt? In der Schwermut, die uns die Tage vergällt. In unserer Furcht vor Krankheit und Tod? Und es gibt noch manches mehr, was uns wie eine schwere Last auf der Schulter liegt, uns den Le- bensmut nimmt und unser Herz abschnürt und unsere Seele umklammert. Vielleicht haben wir auch lange und oft gebetet, dass wir freikommen. Aber geschehen ist nichts. Haben wir falsch gebetet? Hat Gott nicht gehört, nicht hören wollen? Oder wollte er nicht helfen? Ganz gewiss haben wir auch immer wieder gefragt, warum wir in unserem Gefängnis bleiben müs- sen? Dabei ist uns sicher das eine oder andere eingefallen, was in unserer Lebensgeschichte nicht so war, wie es hätte sein sollen. Vielleicht haben wir auch Schuld empfunden und gedacht, dass wir wohl auch Strafe verdient hätten? Im Laufe der Zeit aber haben wir diese Gedanken verdrängt und noch später ... vergessen. Und vielleicht ist das der Grund, warum wir bis heute nicht freigekom- men sind? Denn wirklich angegangen sind wir unsere Ängste nicht. Wirklich bereut haben wir un- sere Schuld nie. Und wirklich nach der Ursache unserer Sorgen, unseres Kummers, unserer Schwermut und unserer Furcht gesucht, haben wir auch nicht. Vielleicht ist heute der Tag, an dem wir uns erinnern und von Gott erinnern lassen: „Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist.“ Schauen wir wieder einmal in die Tiefe unseres Herzens, dort wo die fast vergessenen und verschütteten Gedanken liegen. Wir rühren nicht gern daran, aber es ist heilsam und wird uns gut tun! Kein anderer Mensch erfährt ja davon und Gott weiß ohnedies, wie es tief drinnen in unserer Seele aussieht. Aber er will, dass wir wahrnehmen, was sich da alles unbearbeitet und unvergeben angesammelt hat. Und er hat auch für uns diese Botschaft: „Ich werde mich euer erbarmen, denn bei mir ist viel Vergebung.“ Was die Bedingung ist, haben wir gehört: „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN...“ Vielleicht sind wir ja nicht „gottlos“ und wir würden uns auch gegen die Bezeichnung „Übeltäter“ verwahren. Aber eins stimmt gewiss: Un- ser Verhältnis zu unserem Gott ist nicht so, wie es sein soll, sein könnte... Denn in seiner Nähe weichen die Sorgen. Bei ihm verlieren wir die Angst. Der Kummer vergeht und selbst die Furcht vor dem Tod kann uns nicht länger gefangen halten. Wir werden frei bei Gott. Er holt uns heraus aus unserem Kerker, in dem wir schon seit Jahren sitzen. Erinnerung an das, was wir schon so lan- ge mit uns herumschleppen, ist der Anfang. Echte Reue, wo wir Schuld auf uns geladen haben, ist der Schlüssel zu unserem Gefängnis. Umkehr zu Gott ist der Weg, den wir einschlagen müssen. Noch zweifeln wir, dass wir frei kommen können. Aber hören wir doch: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR.“ Lassen wir unsere Zweifel fallen! Lang genug haben sie uns belastet und von der Umkehr abgehalten. Es kann gelingen, es wird gelingen: Unsere Gefangenschaft hat ein Ende. Glauben wir dem Wort Gottes, der uns frei machen will: „Das Wort, das aus meinem Munde geht [...] wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“ Dass die Berge und Hügel frohlocken, dass die Bäume auf dem Feld in die Hände klatschen, wer- den wir nicht erleben, aber in uns wird eine unbändige Freude sein, wir werden aufatmen, Gott nah sein und frei. AMEN