Predigt zum Drittl. So. im Kirchenjahr - 11.11.2012 Textlesung: Hiob 14, 1 - 6 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, „damit er sich wie ein Tagelöhner sei- nes Tages freue.“* Liebe Gemeinde! Ein seltsamer Predigttext ist das schon! Sehr ernst und nicht gerade geeignet, die Güte und beson- ders die Gerechtigkeit Gottes zu unterstreichen. Im Gegenteil. Ein zutiefst resignierter Hiob wirft Gott vor, dass er ungerecht ist. Wie soll er denn rein sein, wenn er Kind unreiner Eltern ist? Warum also zieht Gott ihn vor sein Gericht, wenn er ihn doch so geschaffen hat, wie er nun einmal ist: Un- vollkommen, fehlbar...eben ein Mensch!? Er wünscht sich nur eins von Gott: Dass er ihn in Ruhe lässt, wenigstens am Abend des Tages, dass er sich wie ein Tagelöhner nach getanem Tagwerk von Gottes ständiger Aufsicht und Beurteilung erholen kann. Wie gesagt: Sehr ernste Verse! Man fragt sich schon, was haben sie in der Reihe der zum Predigen vorgeschlagenen Texte zu suchen? Was für ein Bild von Gott wird hier vermittelt? Wie wenig lie- bevoll und gnädig wird der Gott hier gesehen, den Jesus später seinen und unseren Vater nennt!? Sollen wir wohl von unserem Gottvertrauen abgebracht werden? Sollen wir unseren Glauben fahren lassen? Aber was haben wir dann noch, um es an seine Stelle zu setzen? Liebe Gemeinde, ich gehe eigentlich davon aus, dass wir alle mit Gott in unserem Leben auch gute Erfahrungen gemacht haben. Und ich denke, dass uns gerade am Sonntag(morgen) der Sinn eher nach Lob und Dank steht, als nach Klage und Vorwürfen gegenüber Gott. Lob für die schönen Au- genblicke und die frohen Stunden der vergangenen Woche. Dank für die Bewahrung in Gefahr, vor Unglück und Krankheit. Was fangen wir also an mit diesen Klageversen des Hiob? Wozu sollen sie uns dienen, wohin sollen sie uns führen? Wäre es nicht besser, wir nähmen uns einen anderen Text vor, über den wir gemeinsam nachdenken? Verse, die unseren Glauben an Gottes väterliche Güte aufbauen und stärken? - Vielleicht. Auf der anderen Seite kennen wir doch auch Tage und Stunden, ja, sogar Monate und Jahre unseres Lebens, da hätten wir einstimmen können in die Klage Hiobs. So fest, wie er heute ist, war unser Glaube doch nicht immer! Es gab auch in unseren Jahren Erlebnisse, Ereignisse, die unser Gottver- trauen schwer erschüttert haben. Ja, vielleicht sind sogar heute einige unter uns, die gerade durch eine solch dunkle Zeit gehen müssen, wie Hiob sie durchleben musste? Es gibt ja eine Grenze für das, was wir im Glauben erklären und ertragen können. Der Schritt vom Zweifel zur Verzweiflung ist klein. Haben wir nicht auch schon manchmal gedacht, wenn Gott doch nur von mir abließe und mich nicht mit seinem Urteil und seiner Strafe verfolgte? Und da sehen wir jetzt die Verse, die wir heute bedenken sollen, noch einmal ganz anders: Ist das nicht wirklich erstaunlich, dass wir solche Worte und Gedanken in der Bibel finden: „Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Ist es darum nicht ganz selbstverständlich, dass wir so sind, wie wir sind? Und bist nicht du, Gott, verantwortlich dafür, denn du hast den Menschen doch so ge- schaffen?! [...] So blicke doch weg von ihm“, damit er sich wie ein Tagelöhner seines Tages freue. Gib uns doch wenigstens jeden Tag ein paar Stunden, in denen du uns nicht mit deinen Augen ver- folgst. Sagen wir es ruhig noch deutlicher, denn so ist es gemeint: Lass uns in Ruhe, Gott! Doch, das ist eigentlich kaum zu glauben, dass solche Worte in der Heiligen Schrift zu finden sind. Ich kenne kein anderes Buch, das Urkunde einer Religion wäre, in dem wir vergleichbare Texte fin- den, so hart gegenüber Gott und so anstößig. Aber diese Worte sind halt auch ehrlich! So wie Hiob fühlten und fühlen sich manche Menschen bis heute immer wieder. Und die Bibel, das heilige Buch der Christen, klammert diese Gefühle eben nicht aus, verschweigt sie nicht, sondern spricht sie an, lässt sie gelten und gibt ihnen in den 42 Ka- piteln des Hiobbuches großen Raum. Was uns das sagen kann? - Zunächst einmal ist das doch sehr entlastend zu lesen oder zu hören, dass auch andere Menschen, die den Gott Israels ihren Vater nennen, ihn nicht immer verstanden haben. Aber das ist ja viel zu schwach ausgedrückt! Sie haben ihn eben nicht mehr als Vater sehen können, haben sich von ihm bedrückt und ungerecht behandelt gefühlt, sich voller Angst vor seinem unbegründeten Zorn zurückgezogen und wollten ihr Leben - zumindest zeitweise - lieber fern von ihm, ohne seine Kontrolle und Aufsicht führen. Es ist also keine Schande, wenn auch wir einmal solche Gefühle haben, wenn wir uns von Gott zu- rückziehen, weil wir nicht verstehen, warum er uns dies oder das schickt, warum er uns schwere Krankheitszeiten oder Behinderung auferlegt, warum uns das Unglück trifft und sich Schmerz und Trauer bei uns einstellen. Wir dürfen auch solche Gefühle haben! Wir müssen uns dafür nicht schämen und wir dürfen sogar darüber reden. Ja, das ist ganz wichtig, dass wir auch solche Erfah- rungen vor anderen ansprechen, Schicksalsschläge, die uns Gott verdunkelt haben, denn nur so wer- den wir auch von anderen hören können, dass auch sie solche Zeiten kennen, in denen Gott ihnen ganz fremd und dunkel war. Es tut gut, wenn wir mit unseren Erfahrungen in diesen finsteren Zeiten nicht allein sind! Es tut gut zu wissen, dass wir auch dazu stehen dürfen, wenn wir uns für eine Zeit von Gott abwenden. Aber, das ist wichtig: „für eine Zeit“! Wenn es über Jahre andauert, wenn es gar bis ans Ende unse- rer Tage währt mit unserem Rückzug, unserer Abkehr von Gott und dass wir ihn nicht mehr zum Vater haben wollen, dann haben wir uns auf einem Weg verlaufen, der wohl nicht wieder in die Nä- he Gottes zurückführen wird. Denn ich glaube fest, auch das, was wir nicht verstehen und kaum er- tragen, ist uns von Gott geschickt. Auch die Tage der größten Gottesfinsternis haben ihren Sinn, auch wenn wir ihn nicht erfassen können und selbst wenn uns das, was wir erleiden müssen, von der Hand des Vaters treibt. Und auch da bin ich sicher: Die dunklen Tage des Zweifels und der Ver- zweiflung haben irgendwann ein Ende! Was mich darin bestärkt ist dies: Dass Sie, liebe Gemeinde, heute hier sind. Denn Sie alle oder doch die meisten von Ihnen haben schon solche dunklen Zeiten erlebt. Und - auch da bin ich gewiss - Gott selbst hat diese Zeiten auch wieder vorübergehen lassen. Und vielleicht hat die eine oder der andere hinterher sogar eine Ahnung davon bekommen, warum Gott auch solche finsteren Zeiten schickt? Etwas ganz Wichtiges können wir nicht aus den Versen entnehmen, die uns heute zu predigen und zu bedenken vorgelegt sind. Da müssen wir auf den letzten Seiten des Buches Hiob lesen - und das wollen wir jetzt noch tun. So steht es im letzten Kapitel dieses Buches: „Und der HERR wandte das Geschick Hiobs und gab Hiob doppelt soviel, wie er gehabt hatte. Und es kamen zu ihm alle seine Brüder und alle seine Schwestern und alle, die ihn früher gekannt hatten, und aßen mit ihm in sei- nem Hause und sprachen ihm zu und trösteten ihn über alles Unglück, das der HERR über ihn hatte kommen lassen. Und der HERR segnete Hiob fortan mehr als einst.“ Liebe Gemeinde, nein, geklärt ist hier immer noch nicht, warum all die Schicksalsschläge über Hiob gekommen sind. Wir erfahren nichts darüber, warum Gott ihn so geschlagen hat, dass er nur noch seine Ruhe vor ihm haben wollte. Gottes Gedanken sind für uns unergründlich. Seine Wege können wir nicht verstehen. Aber halten wir fest: Nach der dunklen Zeit wird es wieder hell für Hiob. Ja, es wird eine bessere Zeit als vorher, eine Zeit voller Güte und voller Geschenke Gottes. Dasselbe ist auch uns verheißen. Die finsteren Tage gehen vorbei. Kein Leid dauert ewig. Wir wer- den uns auch wieder freuen und dankbar zu Gott, unserem Vater, aufschauen können. AMEN * wörtliche Übersetzung, abweichend vom Luthertext 1984