Predigt zum Reformationsfest - 31.10. oder 4.11.2012 Textlesung: Gal. 5, 1 - 6 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Liebe Gemeinde! Die Frage, die gerade in Politik und Gesellschaft diskutiert wird, ob die Beschneidung Körperver- letzung ist oder nicht, ob sie also rechtlich zu verurteilen ist und möglicherweise verboten werden müsste oder ob das Rechtsgut der freien Religionsausübung höher steht, hat Paulus zweifellos nicht interessiert. Ihm geht es um etwas ganz anderes. (Trotzdem möchte ich die Gelegenheit ergreifen und ein paar Worte zu dieser Frage sagen - ich spreche dabei ausschließlich über die jüdische Form und Tradition der Beschneidung: Rein rechtlich ist die Beschneidung Körperverletzung. Sie wird an Knaben, ohne deren Willen vor- genommen, sie ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und sie ist nicht rückgängig zu ma- chen. Gerade das letzte hat auch damit zu tun, dass ein Mensch seine Religion frei wählen kann, was ihm in unserem Grundgesetz garantiert ist. Diese Freiheit aber besteht nach der Beschneidung nur noch eingeschränkt. Ob die religiös motivierte Beschneidung von Medizinern vorgenommen wird oder von geschulten Religionsvertretern macht dabei keinen wesentlichen Unterschied. Auf der anderen Seite aber gäbe es eine gute Möglichkeit das rechtliche Problem zu entschärfen: Die Beschneidung der Jungen könnte in ein späteres Lebensalter verlegt werden. Ähnlich der evan- gelisch-christlichen Konfirmation würden dann möglicherweise die jungen Männer bei ihrer Bar- Mizwa (Eintritt in die religiöse Mündigkeit) im Alter von um die 13 Jahren beschnitten. Dann aller- dings nach bewusster und freier Entscheidung der jungen Männer! Das Argument, hier würde die jüdische Tradition und biblische Vorschriften missachtet, sticht nicht, hat man doch vor einigen Jahren in vielen jüdischen Gemeinden auch eine Bath Mizwa eingeführt, also die Feier der Religi- onsmündigkeit der Mädchen. Die Bath Mizwa ist genauso unbiblisch und kann auf keine längere Tradition verweisen wie auch die Beschneidung von 13-jährigen Jungen. Hat es eine Reformation in Sachen Bath Mizwa gegeben, warum sollte nicht eine Reformation der Beschneidungspraxis möglich sein?) Worum es Paulus geht, sagt er gleich am Anfang der Verse, die uns heute zu bedenken vorgelegt sind: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Und seine Worte passen so recht zum Reformations- fest, das wir evangelische Christen heute feiern! Freiheit hat uns Jesus Christus gebracht. Freiheit wollte er schon den Juden bringen, als er damals über diese Erde ging. Freiheit wovon? Freiheit vom Gesetz! Aber „Gesetz“ trifft es nicht ganz. Eigentlich müssten wir sagen: Freiheit von den über 600 Einzelvorschriften des Gesetzes, wie sie in der Torah, den fünf Büchern Mose aufgeschrieben sind. Manchmal klingen die für unsere Ohren schon ein wenig seltsam. So war es verboten, am Sabbat zu heilen oder eine Last zu tragen, gleich zwei Gebote, gegen die Jesus bei der Heilung des Kranken am Teich Betesda (Jh.5,2-16) verstößt, wenn er den Kranken gesund macht und ihn heißt: „Nimm dein Bett und geh hin!“ Und beide Verfehlungen werden Jesus von den frommen Juden auch sogleich vorgehalten. Von dieser Gesetzlichkeit, die Menschen knechtet, wollte uns Jesus frei machen. Aber nicht, dass nun jeder machen soll und darf, was er will. Jesus hat der Gnade Gottes den Platz dort gegeben, wo vorher die Gesetzlichkeit ihren Anspruch auf unbedingten Gehorsam erhoben hat. Und um uns die Tür zur Gnade Gottes aufzuschließen, ist er, angeklagt durch das Gesetz, am Kreuz gestorben. Ein hoher Preis, den Christus dafür gezahlt hat, die Gesetzlichkeit zu überwinden und den Menschen zu zeigen, dass Gott ein gnädiger Gott ist und kein harter Richter und kein Rechenmeister. Für Paulus ist der Preis zu hoch, als dass alle, die durch Christus zur Freiheit befreit sind, nun wieder in die Ge- setzlichkeit zurückfallen. Deshalb schreibt er: „So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ Ein Teil des Jochs dieser Knechtschaft ist für ihn die Beschneidung. Wer sich beschneiden lässt, wenn er doch eigentlich Christ sein will, der verlässt sich nicht mehr allein auf die Gnade Gottes, sondern will durch sein Tun nach dem Gesetz und indem er dessen Vorschriften erfüllt, die Gerech- tigkeit und Gnade bei Gott gewinnen. Das aber ist unmöglich, sagt Paulus - und wieder nimmt er die Beschneidung als Beispiel: „Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.“ Warum das so ist, sagt er auch: „Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.“ Das ganze Gesetz aber zu halten, ist nicht möglich, das wussten auch schon die Juden seiner Zeit, so wie wir heute wissen, dass wir nicht einmal die 10 Gebote auch nur annähernd erfüllen können. Und jetzt werden die Worte des Paulus hart, sehr hart: „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.“ Wir haben also die Wahl: Ent- weder wir verlassen uns allein auf das, was Jesus Christus am Kreuz vollbracht hat oder wir werden keine Gnade bei Gott finden. Liebe Gemeinde, genau an dieser Stelle denken wir ja wie von selbst an das, was Martin Luther in seinem Kampf um den rechten Glauben durchlebt und durchlitten und was dann zur Reformation geführt hat. Und genau diese Verse aus dem Galaterbrief, die wir heute hören, waren es, die Luthers Frage: „Wie werde ich gerecht vor Gott?“ beantwortet haben: Wenn wir die Gnade Gottes finden wollen, dann dürfen wir sie nicht in der Erfüllung des Gesetzes, sondern im Kreuz Christi suchen, indem wir uns im Glauben auf ihn verlassen und allein auf ihn vertrauen! „Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss“, sagt Paulus. Und dann bemüht er noch einmal das Beispiel der Beschneidung als eine Vorschrift des Gesetzes: „Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Hier wollen wir die Zeit und die Lebenswelt des Paulus verlassen und am Gedenktag der Reforma- tion danach fragen, wie Martin Luther das wohl ausgedrückt hätte, denn Beschneidung und Unbe- schnittensein waren für ihn keine Themen. Vielleicht hätte er es so gesagt: „Denn in Christus Jesus gilt weder ob wir die 10 Gebote peinlich genau erfüllen noch ob wir auch einmal gegen sie versto- ßen etwas, sondern allein der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Dabei hätte er sehr wohl ge- wusst, dass wir - wie schon die Juden ihre Gesetzesvorschriften - die Gebote niemals so befolgen können, dass wir nicht auf Gottes Gnade angewiesen bleiben. Wer von uns hat in seinem Leben nie gelogen? Wer hat noch nie Begehren gespürt, wenn er neidvoll das große Eigentum eines Nächsten betrachtet hat? Und noch an vielen anderen Stellen werden wir es immer wieder spüren: Zu hundert Prozent kann kein Mensch die 10 Gebote erfüllen. Wir können also niemals bei Gott durch das Ge- setz gerecht werden. Wir brauchen seine Gnade und die hat uns Jesus Christus am Kreuz erworben. Und wir bekommen sie durch Glauben und Vertrauen auf ihn. Hier hat es immer wieder und bis heute Spötter und Kritiker des christlichen Glaubens gegeben, die gesagt haben: „Das ist ja einfach, wenn man das nur glauben muss! Ihr macht es euch zu leicht mit dem Gesetz und den Geboten. Warum soll Gott gnädig sein, wenn ihr euch nicht einmal darum be- müht?“ Würden sie die ganze Wahrheit begreifen, dann gäbe es bei den Spöttern wohl nur noch Kopfschütteln. Denn selbst den Glauben an Gottes Gnade müssen wir nicht selbst aufbringen, wir können es auch gar nicht. Er kommt nicht durch unsere Mühe zustande: Der Glaube ist ein Ge- schenk! - Alle, die glauben können, wissen das. Alle, die (noch) nicht glauben können, dürfen wis- sen, dass es einen Weg gibt, der auch nicht schwer ist, um - so Gott will - zum Glauben zu gelan- gen. Ich meine das Gebet. Warum soll ich nicht beten können, auch wenn mir die Tür zum Glauben heute noch verschlossen ist? Warum sollte Gott uns nicht erhören, von dem Jesus so gesprochen hat: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ ( Mt.7,7) Wer den Glauben geschenkt bekommen hat, der versteht auch, was wir in den heutigen Versen am Schluss lesen, dass ein Mensch der glaubt, dann nämlich nicht etwa die Hände in den Schoß legt, sondern „durch die Liebe tätig ist.“ Die Schlussworte dazu wollen wir heute am Reformationstag unserem Reformator Martin Luther überlassen. In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ schreibt er: „Ein Christen- mensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan - durch den Glauben. Ein Chris- tenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan - durch die Liebe.“ AMEN