Predigt zum 12. Sonnt. nach Trinitatis - 26.8.2012 Textlesung: Apg. 3, 1 - 10 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gin- gen. Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie er- kannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war. Liebe Gemeinde! Eine schöne Geschichte! Wenn ich das sage, ist das ohne jede Ironie gemeint! Die Geschichte ist wirklich schön! Außerdem ist sie ermutigend und so, dass sie uns anspornt, es wie Petrus und Jo- hannes zu machen - und auch das meine ich ernst! Vielleicht wird es uns nicht gelingen, die Füße und Knöchel eines von Mutterleib Lahmen fest zu machen, sodass der gehen und stehen und umher- springen kann, aber wir können ihn auf dem Weg, heil und gesund zu werden, gewiss ein ganzes Stück voranbringen und begleiten. - Wie das gehen soll, fragen Sie? Schauen wir, wie es bei Petrus und Johannes ging: Die Beiden blicken den lahmen Bettler an und Petrus spricht mit ihm. Und er ist dabei ganz offen und ehrlich. „Silber und Gold habe ich nicht“, sagt er. Jetzt könnten die beiden Männer eigentlich weitergehen, denn etwas anderes als ein paar Münzen hat der Bettler sicher nicht erwartet. Aber Petrus spricht weiter mit ihm und tut dann, was den Lahmen gewiss sehr verwundert hat: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf.“ Sowohl, dass Petrus etwas zu ihm sagt als auch, dass er ihn anfasst, waren Zeichen einer ungewöhnlich herzlichen Zuwendung. Ein Lahmer - auch noch von Mutterleib an - galt für die Juden als einer, an dem Gott die eigenen Sünden oder die der Eltern heimsuchte. Und als Sünder war er unberührbar und hätte nicht in den Tempel hineingehen dürfen - was er dann als Geheilter ja tut. - Soweit die schöne Geschichte. Aber kann sie uns wirklich anspornen, es Petrus und Johannes nachzutun? Wie könnte eine solche Geschichte heute aussehen? Vielleicht so: Die Frau an der Kasse im Supermarkt, die jeden Tag von acht bis 12 Dienst hat, ist immer so abwei- send. Wenn zwei Kassen geöffnet sind, stellen Sie sich darum meist an der anderen Kasse an. Da müssen Sie zwar etwas länger warten, aber die Kassiererin ist viel netter und lächelt auch einmal. Wie wär’s, morgen bleiben Sie auf der Seite der anderen, die so unfreundlich ist? Vielleicht grüßen Sie die Frau mit einem lauten: „Guten Morgen!“ Darauf wird sie sicher antworten. Beim nächsten Mal schaut sie vielleicht schon auf, wenn sie wieder in der Reihe stehen. Und sie wartet auf Ihren Gruß. Es mag sein, es vergehen ein paar Wochen, aber irgendwann wird sie zuerst grüßen und sogar dabei lächeln. Und wer weiß, wenn Sie dann einmal ganz früh am Morgen kommen, sind Sie der einzige Kunde an ihrer Kasse. Das gibt dann Gelegenheit ein paar Worte zu wechseln und vielleicht hören Sie dann sogar etwas über Dinge, die Ihnen verständlich machen, warum die Frau immer so verschlossen und abweisend war. - Sie meinen, das wäre doch wohl etwas übertrieben, wenn Sie das Gespräch mit einer solchen Frau suchen? Immerhin ist sie doch nur Kassiererin in einem Super- markt? Petrus und Johannes hätten auch an dem lahmen Bettler vorbeigehen können. Sie haben es aber nicht getan und deshalb ist er gesund geworden. Ein Nachbar, der in Ihrer Straße schräg gegenüber wohnt, gilt als wortkarger Sonderling. Er wird von allen in der Straße gemieden. Man wird einfach nicht warm mit ihm. In diesem Jahr sind Sie mit der Ausrichtung des Straßenfestes Anfang September (?) dran. Was keiner in den vergangenen Jahren je gemacht hat, Sie machen es: Sie gehen an die Tür des Sonderlings und überreichen ihm eine Einladung. Kann sein, er will erst nicht kommen. Aber Sie sprechen davon, wie schön das Straßenfest immer ist und dass er doch auch in der Straße wohnt und dass Ihnen daran liegt, dass möglichst alle dabei sind und dass auch er kommt... Wenn er immer noch zögert, überreden Sie ihn! Lassen Sie sich nicht abwimmeln! Er wird kommen. Machen Sie’s ihm dann leicht. Bitten Sie ihn an Ihren Tisch und stellen Sie ihm die anderen Leute vor. Wenn eine Stunde vergangen ist, wird er vielleicht von sich erzählen: Von besseren Zeiten, die er gesehen hat, von dem Schicksalsschlag, der ihn furchtbar getroffen hat, von Jahren der Arbeitslosigkeit... Auch hier werden Sie dann besser verstehen, warum der Mann sich so zurückgezogen und mit niemandem gesprochen hat. - Zugegeben: Sie müssen den Mann nicht zum Straßenfest einladen. Das wird auch ohne ihn schön werden, ja, vielleicht noch schöner und entspannter. Petrus und Johannes hätten den Lahmen auch links liegen lassen können. Dass sie sich ihm zuwenden, lässt ihn gesund werden. Nun sagen Sie vielleicht: Die Kassiererin in Ihrem Supermarkt ist immer freundlich und Sie haben schon über manchen Scherz von ihr gelacht. Und in Ihrer Straße sind alle Nachbarn sehr nett, man grüßt sich und von einigen wissen Sie auch viel von ihrer Lebensgeschichte. Auch würde sich bei einem Straßenfest keiner ausschließen. Und dann: Weder die Kassiererin noch der wortkarge Nach- bar sind doch lahm! Liebe Gemeinde, dem letzten Argument will ich klar widersprechen: Menschen, die nicht lachen können, die keine Lebensfreude haben, die sich von allem zurückziehen, was Gemeinschaft heißt und die mit niemandem reden wollen, sind sehr wohl lahm oder sagen wir treffender: gelähmt! Sie verharren in einem Zustand, der nicht gesund ist. Sie bewegen sich nicht mehr fort von dem, was sie irgendwann einmal betroffen, verletzt oder traurig gemacht hat. Wie sich bei einem Lahmen die Beine nicht mehr rühren können, so rühren sie sich geistig oder seelisch nicht mehr. Und aus sich selbst kommen sie auch nicht aus diesem Zustand heraus. Das Wort, das sie aus diesem Leben er- löst, muss ein anderen ihnen sagen. Die Geste, die sie heraus- und unter die anderen Menschen zu- rückholt, muss ein anderer machen. Das Gespräch, das sie befreit, müssen wir anderen beginnen. Aber was die Kassiererin und den wortkargen Nachbarn angeht, gebe ich Ihnen Recht: Mit denen haben und kriegen Sie wahrscheinlich nie zu tun. Und doch gibt es andere, ähnliche Menschen auch in Ihrer Nähe: Das mag Ihr Patenkind sein, das irgendwann - war das vor fünf oder schon vor 10 Jahren? - verstummt ist und niemanden mehr an sich herangelassen hat und Sie wissen bis heute nicht warum? Das mag der Kollege sein, der seit bald 20 Jahren mit Ihnen im selben Büro sitzt, der immer wirkt, als hätte er an einer schweren Last zu tragen. Aber danach gefragt haben Sie ihn noch nie! Oder das kann Ihre Tochter, Ihr Sohn, Vater oder Mutter und sogar Ihr Ehepartner sein, die ir- gendwann in der letzten Zeit nicht mehr so fröhlich wirken, vielmehr so, als wäre in Ihrem Leben etwas Schlimmes passiert, das sie nicht allein verarbeiten können. Aber eine Gelegenheit, darüber zu sprechen, hat sich halt nie ergeben. Petrus hat es so gemacht, er spricht den Lahmen an: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir!“ Er macht den ersten Schritt auf den zu, der allein nicht laufen kann. Er spricht den zuerst an, der von sich aus keine Worte findet. Er öffnet sich dem zuerst, der in sich ver- schlossen ist. Er sagt zu ihm: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf.“ Vielleicht ist uns das zu „fromm“, so zu sprechen. Aber auf jeden Fall tun wir das „im Namen Jesu Christi“, der uns gerade zu den Men- schen gesandt hat, die sich allein nicht helfen können und uns den Auftrag gegeben hat, die in die Gemeinschaft zu holen, die den Weg unter die anderen Menschen allein nicht gehen können. Wie gesagt, vielleicht wird es uns nicht gelingen, die Füße und Knöchel eines von Mutterleib Lah- men fest zu machen, sodass der gehen und stehen und umherspringen kann, aber wir können ihn auf dem Weg, heil und gesund zu werden, ein ganzes Stück voranbringen und begleiten. - Wie das geht, werden wir sehen, wenn wir auf die zugehen, die gelähmt sind durch böse Erfahrungen und Schick- salsschläge, wenn wir unser Herz für die öffnen, die sich vor den Menschen verschlossen haben und wenn wir die ansprechen, die selbst keine verbindenden Worte mehr finden können. AMEN