Predigt zum Sonnt. „Kantate“ - 6.5.2012 Textlesung: Apg. 16, 23 - 34 Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen, und von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offenstehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ih- nen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war. Liebe Gemeinde! In dieser kleinen Geschichte geschehen erstaunliche, ja, unglaubliche Dinge: Zuerst beten Paulus und Silas und loben Gott, zwei Männer also, die gerade „hart geschlagen“ und „in den Block gelegt“ worden sind. Schon darüber müssen wir staunen. Dann geschieht ein Erdbeben, die Türen des Gefängnis’ springen auf, die Fesseln fallen ab und die Gefangenen sind frei. Aber sie laufen nicht fort! Der Aufseher kann es nicht fassen! Gerade wollte er sich in sein Schwert stürzen, da ruft ihm Paulus zu: „Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier!“ Schließlich nimmt der Aufseher die Männer bei sich auf, lässt sich und seine Familie taufen und ist darüber voller Freude! Wir werden nun gewiss unterschiedlicher Meinung sein, was denn das Erstaunlichste war, was da in jener Nacht passiert ist. Einige werden sagen: das Erdbeben und die Befreiung der Gefangenen. Andere werden meinen: Am meisten muss man darüber staunen, dass dieser doch sicher hartgesot- tene Aufseher sich und die Seinen taufen lässt. Ich will alle diese unglaublichen Dinge jetzt nicht gegenüberstellen und mir dann anmaßen, zu beurteilen, was davon am unglaublichsten ist. Aber die biblischen Geschichten, gerade die des Neuen Testaments, wollen uns ja immer etwas mitgeben, was wir beherzigen sollen. Darum will ich jetzt über das sprechen und mit Ihnen nachdenken, was uns von alledem zweifellos am meisten zur Nachahmung empfohlen ist: Ich meine die Tatsache, dass die Männer - befreit von ihren Fesseln und angesichts offener Türen - nicht davonlaufen. Sicher denken Sie jetzt, wie und wo wir etwas Derartiges schon erlebt haben oder erleben könnten? Und sicher stellen Sie dann die Frage, was wir am Verhalten des Paulus und des Silas also „na- chahmen“ könnten? - Nun, ein wenig in unsere Welt und unser Leben übertragen müssen wir dieses Verhalten schon! Vielleicht so: Unvermittelt wendet sich das Blatt. Wir werden von Unterlegenen zu denen, die auf einmal den anderen überlegen sind. Eben noch waren wir ohnmächtig, jetzt haben wir den längeren Hebel in der Hand, haben die Macht, jetzt kommt es auf uns an. - Aber wir nutzen das nicht aus! Wir zahlen es denen, die uns zuvor unterdrückt und klein gemacht haben, nicht heim. Wir rächen uns nicht für das, was uns angetan worden ist. - Nicht wahr, so etwas könnten wir nachahmen! Und erstaunlich wäre es auch! Denn wir tun es meistens nicht. Wie wir denken und was wir tun, sieht eher so aus: Endlich hat der und der einmal Schwäche gezeigt! Jetzt bin ich dran. Dem werde ich jetzt auch einmal eins auswischen, das vergisst er nicht so schnell! Oder so: Da hat die Nachbarin doch einmal Pech gehabt! Jetzt muss sie von ihrem ho- hen Ross herunter. Der ganze Ort lacht über sie. Und ich will sie jetzt auch einmal spüren lassen, wie das ist, wenn man andere immer von oben herab behandelt! Was wäre denn, wenn wir es anders machten, wenn wir nicht so reagieren würden, wie eben beschrieben? - Erst einmal wäre es eben erstaunlich - nicht nur für den, der uns so ganz anders erlebt, als er es erwarten musste. Aber es wäre auch erstaunlich - oder sagen wir hier besser: es wäre wohl völlig unverständlich - für alle, die in unserer Nähe unser Verhalten mitbekommen. Sicher würden wir solche Worte hören können: Du schonst diesen Menschen? Ausgerechnet ihn? Hast du vergessen, was er dir angetan hat? Wenn du ihm jetzt mit gleicher Münze zurückzahlst, wäre das nur recht und billig! Das kannst du doch nicht machen! Es ist doch nur gerecht, wenn du jetzt einmal zeigst, wer am Drücker sitzt! Aber es gibt noch etwas was wir erleben würden, das wäre für uns selbst erstaunlich - oder sagen wir jetzt besser: es wäre für uns erfreulich, ja, beglückend! Ich meine die Freude, das gute Gefühl, das uns erfüllt, wenn wir so großzügig und so selbstvergessen handeln. Wer es einmal damit probiert hat, der wird das nur bestätigen können: Das fühlt sich ganz wunderbar an, wenn man eben nicht mit gleicher Münze zurückzahlt oder gar noch gemeiner auf eine Gemeinheit antwortet. Das tut uns selbst sehr gut, wenn wir den mit Freundlichkeit und Güte überraschen, der uns mit Bosheit und ohne Erbarmen begegnet ist. Das Alte Testament nennt eine solche Handlungsweise „feurige Kohlen“ auf das Haupt eines Menschen „häufen“ (Spr.25,22), womit gemeint ist, dass der andere Mensch beschämt werden soll, weil er jetzt spüren muss, wie unbarmherzig er selbst uns gegenüber war. Ich würde es vielleicht lieber so sagen: Wir helfen dem anderen Menschen dazu, dass er erkennen kann, wie gut Freundlichkeit tut, wo er hart war und wie das die Beziehung zwischen uns verbessert und tiefer macht, wenn wir auf den groben Klotz nicht den groben Keil setzen. Übrigens hat ein solches Verhalten gegenüber unserem Nächsten, wenn wir also feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln, schon im Alten Testament die Verheißung: „...und der Herr wird dir’s vergel- ten!“ Ich will das einmal ganz kindlich naiv sagen: Tut schon die Freundlichkeit, wo wir auch mit Härte reagieren könnten, unserem Mitmenschen und uns selbst wohl, gibt uns Freude und ein gutes Gefühl - so gefällt sie auch noch dem lieben Gott, sodass er uns dafür belohnen will, wenn wir uns so verhalten! Liebe Gemeinde! Zwei Dinge müssen jetzt noch besprochen werden. Das erste, was ich meine, ist, wovon wir in die- sen Zeilen gelesen haben: „Und der Aufseher führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. [...] Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ih- nen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.“ - Das hat eine große Wirkung, wenn wir nachahmen, was Paulus und Silas uns in dieser Ges- chichte vormachen: Eben nicht davonlaufen, nicht die Gunst der Stunde nutzen, nicht auftrumpfen, nicht heimzahlen und ebenso vergelten, wie man uns getan hat... Das überrascht die Menschen, die so etwas an uns erfahren. Das bringt sie zum Nachdenken und eben auch zum Staunen. Und es kann sie - wie bei dem Aufseher aus dieser Geschichte - zu Jesus Christus und zum Glauben an ihn führen. Denn sie müssen sich doch sagen: Der Herr, an den diese Menschen glauben, der sie dazu bringt, sich so zu verhalten, der muss sehr mächtig sein und sehr viel Kraft schenken, sodass man sogar die Sorge und die Angst ums eigene Leben vergessen kann. Und tatsächlich: So ein Herr ist Jesus Christus ja auch und wir dürfen uns ja auch auf ihn verlassen und brauchen keine Angst um uns selbst haben, was auch geschieht und wie freundlich wir auch auf die Bosheit oder die Härte anderer reagieren. Wir vergeben uns dabei nichts, im Gegenteil: Es hat auch noch seinen Lohn, denn „der Herr wird’s uns vergelten“! Das Zweite, was ich noch ansprechen möchte, ist ein Gedanke, der die Geschichte von Paulus und Silas ergänzen kann: Warum denn eigentlich nur auf Härte und Unbarmherzigkeit mit Nächsten- liebe und Freundlichkeit antworten? Warum nicht unsere Mitmenschen überhaupt mehr mit Güte überraschen und mit freundlichem Verhalten in Erstaunen versetzen? Die Frau, den Mann, die Kinder immer wieder einmal loben und ihnen für das danken, was wir bis heute als selbstverständ- lich angesehen haben. Im Betrieb den Mitarbeiter einmal nach seiner Familie fragen, auch wo das bisher nicht unsere Art war. Im Verein oder in der Nachbarschaft die Freude darüber äußern, dass man schon so lange ein gutes Verhältnis und Miteinander hat. Und und und... Es wird uns noch eine Menge mehr einfallen, was uns Anlass für eine nette Bemerkung und ein kleines Dankeschön gibt. Ich glaube, auch ein solches Verhalten hat die Verheißung Gottes, dass wir dafür nicht ohne Lohn bleiben. Dieses Lohn wird vielleicht so aussehen, dass in unserer Familie, an unseren Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft und in unserem Verein ein neuer guter Geist einzieht. Aber auch wenn wir nicht an diesen Lohn denken, es passt auch als Christinnen und Christen gut zu uns, wenn wir auf diese Weise ein wenig von der Freude verbreiten, die wir angesichts einer solchen Zusage empfinden dürfen: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!“ Und wenn Gott will, wird diese Freude auch unsere Mitmenschen ergreifen, so wie damals den Aufseher, nachdem er mit Paulus und Silas so wunderbare, erstaunliche Dinge erlebt hat: „Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.“ AMEN